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Polizeigewalt

Dieses Video zeigt, wie Polizisten auf Demonstranten einprügeln

Wir haben mit einem Betroffenen gesprochen. Die Polizei Göttingen ermittelt inzwischen gegen die Polizei Braunschweig.

Was genau geschehen ist, kann Marian Ramaswamy nicht sagen, so schnell ging es. "Ich bin Ordner, hören Sie auf, die Demo anzugehen", habe er noch gerufen, erzählt er VICE. Dann hätten Polizisten angefangen, auf ihn einzuschlagen. Die Beamten greifen ihn. Ramaswamy merkt, dass er hinter die Polizeikette geschleift wird. Sie drücken ihn zu Boden und ein Polizist setzt sich auf ihn. Er bekommt kaum noch Luft, weil ihm ein Mikro, das er zur Koordination der Demo trägt, in den Hals drückt. "Als ich versucht habe, den Polizisten, der auf mir sitzt, darauf aufmerksam zu machen, zog er mich schmerzhaft nach oben und fragte hämisch, ob es jetzt besser sei", erzählt Ramaswamy. Es war nicht besser, das Mikro drückt noch stärker als zuvor. Ramaswamy kommt laut eigener Aussage erst im Polizeiwagen wieder einigermaßen zu sich. Später erfährt er: Gegen ihn liegt eine Anzeige wegen Landfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung vor.

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Die Taten sind am vergangenen Samstag auf einer Demonstration in der Göttinger Innenstadt passiert. 600 Teilnehmer hatten sich versammelt, um gegen die bundesweite Durchsuchungsaktion der Hamburger Sonderkommission "Schwarzer Block" einige Tage zuvor auf die Straße zu gehen. Am Mittwoch wurde dann ein Video der Geschehnisse auf YouTube veröffentlicht. Darin ist zu sehen, wie der Kopf der Demo in der Roten Straße auf eine Polizeikette zugeht und diese leicht zurückdrängt. Ob die Gruppe von hinten gedrückt wird oder selbst auf die Beamten zugeht, ist im Video nicht erkennbar. Daraufhin schlagen einige Beamte der eingesetzten Braunschweiger Beweis- und Festnahmeeinheit (BFE) mit ihren Schlagstöcken die Demonstranten. Andere treten immer wieder scheinbar willkürlich auf die Menschen in der ersten Reihe ein, die hinter einem Banner stehen.

Das Video zeigt ebenfalls, wie Ramaswamy, durch eine weiße Armbinde klar erkennbar als Demo-Ordner, zwischen den teilweise vermummten Demonstranten und den schlagenden Polizisten steht. Mehrere Beamte schubsen ihn, einer prügelt mit seinem Schlagstock immer wieder mit großer Wucht auf ihn ein, bevor er Ramaswamy mit der linken Faust mitten ins Gesicht schlägt. Ramaswamy fällt zu Boden, wird von anderen Beamten weggetragen und durch ein Knie im Genick fixiert. "Hilfe", krächzt er deutlich hörbar in dem Video. "Ich wehre mich nicht." Anschließend wird er von zwei Beamten hochgehoben, sein Körper hängt aber nur noch schlaff herunter. "Der ist bewusstlos, holen Sie mal einen Krankenwagen", ruft ein Mann hinter der Kamera. Und immer wieder hört man eine Frau, mutmaßlich die Mutter von Ramaswamy, aufgebracht rufen: "Das ist mein Kind." Die Polizisten reagieren nicht, schirmen Ramaswamy stattdessen von den Umstehenden ab.

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Noch am Tag zuvor habe er an einem Kooperationsgespräch mit Polizei und Ordnungsamt teilgenommen, sagt Ramaswamy, das sei gut verlaufen. Bei der Demonstration selbst habe er es dann plötzlich mit einem anderen Einsatzleiter zu tun gehabt, der "nicht mehr so entspannt war". Als die ersten Demonstranten an der Spitze mit Polizisten aneinandergeraten, stellt sich Ramaswamy an der Seite zwischen Protestzug und Polizei. Auch mit dem Einsatzleiter versucht er zu kommunizieren, wie er VICE berichtet – ohne Erfolg. Kurz darauf liegt er auf dem Bürgersteig.

"Das Video spricht für sich", sagt Rechtsanwalt Sven Adam, der Ramaswamy vertritt, in einer Pressemitteilung. "Es wurde nun Strafanzeige wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung im Amt erstattet und eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Göttingen gerichtet auf Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser enthemmten Gewalt erhoben", so Adam, der das Video unverpixelt an die Staatsanwaltschaft übermittelt hat. Darin sei keine Straftat von Ramaswamy zu sehen. "Aber dafür erhebliche Gewalt von Polizisten gegen den Ordner und diverse Polizeikameras, die das Geschehen filmen." Auch gebe es ein Foto, auf dem einer der eingesetzten Beamten mutmaßlich einen Quarzhandschuh trägt, sagt der Rechtsanwalt gegenüber VICE. Deren Gebrauch ist für Polizisten verboten, der Bundesgerichtshof stufte sie 2012 als "gefährliches Werkzeug" ein.

Adam meint, dass es schwierig werden könnte, die beteiligten Polizisten zu ermitteln. In Niedersachsen gebe es keine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte. Zu den Anzeigen gegen seinen Mandanten sagt er zudem: "Leider ist es sehr häufig so, dass Polizeibeamte nach recht rüden Ingewahrsamnahmen quasi als Reflex eine Anzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte schreiben."

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Am Tag der Demonstration teilte die Polizei in einer Pressemitteilung noch mit, dass die Veranstaltung "weitestgehend störungsfrei" verlaufen sei. Demnach seien die Beamten unvermittelt von einer größeren Gruppe Demonstranten von hinten angerannt und angegriffen worden. In dem Video ist davon nichts zu sehen. Einer der mutmaßlichen Angreifer sei ergriffen und überwältigt worden. "Die Begutachtung des Demonstranten durch eine hinzugezogene Rettungswagenbesatzung ergab keine Hinweise auf bei dem Polizeieinsatz erlittene Verletzungen oder die zuvor beschriebene Bewusstlosigkeit", so die Polizei. Ramaswamy hingegen legte VICE ein Attest vor, das ihm am Folgetag Prellungen und andere Verletzungen bestätigte. Er ist derzeit noch krankgeschrieben und nimmt laut eigener Aussage Schmerzmittel.

Am Donnerstag widersprach die Polizei dann – aufgrund von "mangelndem Informationsfluss" – der eigenen Stellungnahme, dass es keine Störungen bei der Demo gegeben habe: "Zu diesem Zeitpunkt lagen dem Gesamteinsatzleiter die Schilderungen zu den Ereignissen aus der Roten Straße noch nicht vollständig vor", zitiert das Göttinger Tageblatt das Polizeipräsidium. Anwalt Sven Adam ist sauer, dass sich die Polizei trotz der mehr als dürftigen Informationslage noch am Tag der Demonstration zu Wort gemeldet hat: "Das war zum Teil schlichtweg falsch. Gerade bei der Pressearbeit der Polizei sollte doch eine besondere Sorgfaltspflicht herrschen."

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Gegenüber VICE erklärte die Pressestelle der Polizei: "Es gibt einen Strafantrag und dieser wurde von der Staatsanwaltschaft Göttingen übernommen. Wir können und dürfen dazu nichts mehr sagen." Die Staatsanwaltschaft Göttingen bestätigt, dass ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt gegen unbekannte Polizeibeamte eingeleitet wurde. "Der Anzeige war ein Video beigefügt, das den Tathergang darstellen soll", so ein Sprecher. Wegen der laufenden Ermittlungen könnten jedoch keine weiteren Auskünfte erteilt werden.

Laut Göttinger Tageblatt habe die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen die Mitglieder der Braunschweiger Einheit an die Polizeiinspektion Göttingen übergeben. Somit ermittelt jetzt die Polizei Göttingen gegen die Polizei Braunschweig.


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Anlass der Demonstration waren zwei Hausdurchsuchungen in Göttingen am Dienstag zuvor, die sich laut Polizeiaussagen gegen mutmaßliche Organisatoren der Hamburger G20-Proteste im Juli dieses Jahres richteten. Bundesweit nahmen Beamte am Morgen des 5. Dezembers insgesamt 24 Wohnungen und linke Zentren ins Visier. Nach Angaben der "Antifaschistischen Linken International" verletzten Beamte bei den Durchsuchungen in Göttingen zwei Personen, die Polizei widersprach dieser Aussage. Auch in diesem Fall werde es Anzeigen gegen Polizisten geben, sagt Sven Adam.

In einer der durchsuchten Göttinger Wohnungen lebt Ramaswamys Familie. Meinhart Ramaswamy ist Kreistagsabgeordneter der örtlichen Piratenpartei, seine Frau Annette Physiotherapeutin. Vor gut einem Jahr wurden sie vor eben jener Wohnung von einer Gruppe Neonazis aus dem Göttinger Umland bedroht. Damals wurde der Polizei vorgeworfen, nicht rechtzeitig vor Ort gewesen zu sein. Nun kamen die Beamten in den frühen Morgenstunden. Der Durchsuchungsbeschluss war gegen Annette Ramaswamy gerichtet, die selbst nicht wusste warum – sie sei beim G20-Gipfel nur mitgelaufen. Sie sagte dem NDR: "Was in diesem Durchsuchungsbefehl steht, damit habe ich überhaupt nichts zu tun. Das befremdet sehr und es macht Angst."

Angst macht auch, dass Polizisten nicht zum ersten Mal anonym auf Demonstranten einknüppeln. Es ist fraglich, ob die Polizisten in den Ermittlungen gegen ihre Kollegen wirklich etwas herausfinden können – und wollen.

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