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Popkultur

Der Night King ist der mit Abstand langweiligste Bösewicht in 'Game of Thrones'

Genau wie dem Auge Saurons in 'Herr der Ringe' fehlt es ihm vor allem an einer Sache: einem interessanten Motiv.
Illustration von Noel Ransome

Falls du die siebte Staffel Game of Thrones noch nicht zu Ende gesehen hast: Weiterlesen auf eigene Gefahr.

Der Night King ist ein gänzlich unzweideutiger und allmächtiger Bösewicht, wie wir ihn schon unzählige Male gesehen haben. Und ja, ich verstehe seine Figur: drohender Blick, unbeirrtes Voranschreiten und die Fähigkeit, ein Heer von Untoten zu kommandieren. Im Grunde ist er nichts anderes als das Auge von Sauron – bis auf die Tatsache, dass er zumindest nicht unbeweglich auf einem Turm festhängt.

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Genau deswegen vertrete ich auch die ziemlich unpopuläre Meinung, dass Herr der Ringe der letzte Müll war. Ein allmächtiger Feind tötet Clans und schmiedet Pläne, während sich unsere menschlichen und menschenähnlichen Helden um Banalitäten zanken. Sie bemerken die Gefahr jedoch noch, bevor es zu spät ist. Einstmalige Kontrahenten kommen in einem unerträglichen Kumbaya-Fistbumb-Augenblick zusammen und besiegen vereint besagten Feind. Auf dem Weg dorthin sterben vielleicht noch ein paar Helden oder bauen anderweitig Scheiße.


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In den letzten paar Staffeln Game of Thrones sind die komplexeren Figuren, egal ob gut oder böse, nach und nach vom Spielbrett geflogen und haben dem Night King mehr Platz gegeben. Jeder – OK, eigentlich nur Jon Snow – redet ständig darüber, wie allmächtig er ist. Dabei haben wir bis jetzt nur gesehen, wie er auf einem Pferd reitet, seine Armee der Untoten begutachtet, sich vor Wasser fürchtet, olympiareife Speerwurfskills abliefert und einen Zombiedrachen dazu bringt, ein Loch in eine Eiswand zu brennen. Letzteres ist dabei auch weniger sein Verdienst als Jon Snows Schuld. Je mehr Raum er in der Geschichte einnimmt, umso bekannter und vorhersehbarer kommt uns die Geschichte vor. Dabei war Game of Thrones gerade deswegen immer so gut, weil es von Anfang an mit unseren Erwartungen spielte und mit ausgelutschten Fantasy-Gepflogenheiten aufräumte.

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Jede Erzählung lässt sich grob in drei Akte aufteilen. Der Erste führt die Figuren und ihre Crews ein – hier die Starks, Arryns, Freys, Greyjoys, Lannisters, Targaryens und die externe Bedrohung, die White Walkers. Dabei dürfen natürlich auch ihre Beweggründe und Positionen auf dem Spielfeld nicht zu kurz kommen. Die Einen wollen überleben, die Anderen wollen Macht, aber am Ende geht es doch irgendwie nur um den Eisernen Thron.

Akt zwei taucht dann in finsteres Konfliktterritorium ab. Es gibt Vergewaltigung, Aufopferung, Verrat, echte Sympathieträger werden getötet, andere Figuren werden kastriert und ein paar richtige Arschlöcher müssen dran glauben. Währenddessen rückt im Hintergrund die weitestgehend ignorierte Bedrohung immer näher. Gerade diese Augenblicke zwischen Akt eins und zwei waren es, denen GoT seinen Status als Premium-Unterhaltung verdankt.

Die Narrative scherte sich nicht darum, bei welcher Figur du mitgefiebert hast. Nichts an der Serie war so gefällig wie in 08/15-Fantasy-Geschichten. Gute Menschen starben auf widerwärtigste Weise. Viele wurden für ihre Naivität gestraft – genau wie die Erwartungen der Zuschauer, denen ihre Naivität durch klassische Gut-gegen-Böse-Geschichten wie Herr der Ringe und Harry Potter anerzogen worden war. Und die Schlechten überlebten und gewannen auch noch an Macht und Einfluss. Nicht nur in der echten Welt, auch in Westeros siegte Macht regelmäßig über Anständigkeit.

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Jetzt sind wir in der Ära des Night King und mit Staffel sieben im dritten Akt angekommen. Die ausdruckslose Urmacht verfolgt anscheinend nur das äußerst banale Ziel, die anderen Hauptspieler von der Karte zu tilgen. Er ist dermaßen eindimensional und oberflächlich, dass man ihn nur mit großer Mühe einen Bösewicht nennen kann. Viel mehr ähnelt er einer Naturgewalt. Wir wissen immer noch nicht, ob er Schmerz verspürt, irgendetwas fühlt oder das Konzept eines Verrats verstehen würde. Die White Walker sind nicht viel mehr als ein Tornado, der alles in seinem Weg zerstören kann.

Ramsay Bolton war ein Bastard, dessen eigene Unsicherheiten sich in seinem abgründigen Sadismus äußerten. Opfer wie Sansa Stark und Theon Greyjoy zu vergewaltigen oder zu foltern, gab ihm ein Gefühl von Macht und Status. Jede Zurückweisung war ihm eine willkommene Entschuldigung, seinen Unmut an jemand Schwächerem auszulassen. Du hast es irgendwie verstanden, aber aus dem gleichen Grund hast du ihn auch gehasst.

Joffrey hingegen war ein absoluter Soziopath – ein Produkt des Hauses Lannister (und zu einem gewissen Grad auch seines saufenden und grobschlächtigen "Vaters", dem verstorbenen Robert Baratheon). Er profitiert schlicht und einfach von dem Genpool einer inhärent bösen Familie. Auch er war absolut hassenswert, in seinen Handlungen aber trotzdem nachvollziehbar.

Dann war da noch Lord Petyr Baelish, der wohl zwielichtigste Typ in ganz Westeros. Er wollte Macht, aber ohne die damit einhergehende Aufmerksamkeit. Er ist der Typ, der die Figuren auf beiden Seiten des Spielfelds verschiebt, wenn niemand hinschaut. Gleichzeitig fürchtete er den Tod, was erklärt, warum er lieber im Hintergrund die Fäden gezogen hat, als sich selbst die Hände schmutzig zu machen.

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Je näher wir dem dritten Akt und der finalen Staffel kamen, desto mehr dieser nuancierten Figuren wurden abgeschlachtet. Plötzlich kommen alle zusammen und bewegen sich auf eine Seite des Spielfelds. Vergiss die ethische Grauzone: Du bist jetzt entweder bei den Guten oder Bösen. Plötzlich haben wir Leute, die verdammt noch mal hätten sterben sollen und jetzt auf absurdeste Weise dem Tod entgehen – siehe Jaime Lannister und die glorreichen Sieben. Oder unseren auserwählten Jon mit den neun Leben, der sich trotz Mantel in letzter Sekunde aus dem Eiswasser hievt. Früher hatte die Serie kein Interesse daran, ihren Zuschauern das Gefühl mitzugeben, dass doch noch alles gut werden kann. Jetzt, wo der Night King näherrückt, passiert es ständig.

Jedes verdammte erdenkbare Klischee ist in Staffel sieben eingetreten. Und der stetige Aufstieg von Saurons Auge – in seiner leicht verbesserten Ausführung, weil beweglich – ist eine Erinnerung daran, dass Game Of Thrones sein ursprüngliches Alleinstellungsmerkmal vor die Wand fährt. Ich kann durchaus mit ein paar Augenblicken der Genugtuung leben, aber ich will mich auch wieder unwohl fühlen. Und ich will endlich mal sehen, wie der Night King über jemanden lästert, eine interessante Motivation für sein Treiben offenbart und die Massen vernichtet. Warum nicht einen Zombie-Littlefinger einführen, der unter den Kommandeuren des Night Kings Intrigen stiftet?

Bitte, Game of Thrones, ich flehe dich an: Werde nicht wie Herr der Ringe.

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