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Warum wir Maturabälle hassen und lieben

Mit Polonaisen, Mitternachtseinlagen und betrunkenen Maturanten verbindet uns eine besondere Form der Hassliebe.

Es ist der eine Abend während der Schulzeit, an dem man sich zum ersten Mal annähernd erwachsen vorkommt—nicht zuletzt, weil man einen Großteil der Organisation selbst über hatte, aber auch ein bisschen, weil das, was gefeiert wird, man selbst ist. Es ist der Abend, der sich so anfühlt, als hätte man was richtig Großes geschaffen.

Du bist also angehender Maturant der Tourismusschule Bad Oaschloch. Das ist schön für dich—du hast den Anfang vom Ende erreicht. Dieser Abend, an dem du deine sogenannte Reife feierst, wird ganz und gar dir gehören. Und von nun an sollst du jedes Jahr wieder zurückkehren, deine ehemaligen Lehrer busseln, sie freundschaftlich duzen und gemeinsam mit ihnen deine läppischen Errungenschaften seit dem Abschluss beschönigen. Es wird so super!

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Maturabälle muss man lieben. Grundsätzlich weil sie großartig sind, aber auch, weil einem jeder sagt, dass man sie gefälligst lieben muss und sonst ein Spielverderber ist. Das geht aber nicht, ohne sie auch ein bisschen zu hassen. Für alles, was sie verkörpern und für alles, was sie Tolles mit sich bringen: Vom Finden eines Ballthemas über stundenlange Polonaise-Proben bis hin zum verzweifelten Versuch, vor den Augen der Familie bei der Mitternachtseinlage irgendwie das Gleichgewicht zu halten. Aber alles der Reihe nach.

Das Thema

Screenshot via YouTube

Monate bevor die eigentliche Veranstaltung über die Bühne geht, liegt es in der Regel an den Maturanten, sich auf ein bestimmtes Motto festzulegen, das sich letztendlich durch sämtliche Aspekte des Ballabends ziehen wird. Sollte dieser Vorgang als Wettbewerb inklusive Abstimmungen aufgezogen werden, kann es gut sein, dass direkt Reibereien entstehen und die Schüler sich noch vor der Themenfindung bis aufs Blut zerfetzen. Irgendwas ist nämlich immer unfair, und dann rollen Köpfe. Ein Thema braucht man trotzdem.

Das bedeutet, ihr werdet euch viele Gedanken darüber machen müssen, unter welchen Titel ihr eure ganz persönliche Dernière stellen möchtet, und um an gute Vorschläge dafür zu kommen, werdet ihr viele Stunden damit verbringen, nach „Themen für Ball" zu googeln. Vor allen Dingen aber—und das ist der essentielle Teil—müsst ihr euch eine wichtige Frage stellen: Wie viele Wortspiele gehen sich mit eurem Schultyp aus?

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Hier mal ein paar Einwürfe—nur so, um Ideen zu sammeln. Diese Ballthemen sind zu 100% real und genau so passiert: „BORG to be Wild", „The Big BORG Theory", „VerBORGene Welten", „HAKropolis—Unser göttlicher Abgang", „BAKIPham Palace—Unser krönender Abschluss", „HAKtie—Unser Kurs steigt", „(H)aquarium—5 Jahre für die Fisch". Die HTLer scheinen diesbezüglich eher die faden Nocken zu sein und trauen sich allerhöchstens in Breaking Bad-Gefilde. Oder sie klatschen so was wie „Trust me I'm an Engineer" auf ihr Plakat.

Wenn der Schultyp nichts hergibt, kann man sich auch einfach auf den Ball als solchen konzentrieren. „BALLesque", „Rocky BALLboa", „DeziBALL—Jetzt wird's laut", „Champions League—Jetzt sind wir am Ball" „BalL dente—Endlich sind wir durch"; so diese Richtung. Alternativ bezieht man sich noch auf die Matura: „Hakuna Matura", „Matura mag man eben—77 Schnitten reißen ab", oder das wahrlich großartige „Matura heute, Captain Morgan". Alles geht. Ihr merkt aber auch schon: Hauptsächlich geht es hier wirklich darum, dumme Wortwitze zu finden.

Die sind natürlich auch nicht jedermanns Sache—manche sind aber auch echt tricky, das mit Captain Morgan vor allem, da muss man wieder so um die Ecke denken. Wer es lieber einfach mag, greift auf die klassischen Basic-Themen wie Casino, Zirkus, Epochen/Dekaden oder Nationen/Länder zurück. Wo wir gerade dabei sind, kann bitte mal wieder jemand Indien nehmen? Ich will Shishas und Bollywood.

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Die Polonaise

Screenshot via YouTube

Ballsaison kann Spaß machen. Man darf endlich wieder Dinge wie „schen onziagn, schiach wegstölln" posten und es wird vollkommen legitim sein. Minderjährige Schülerinnen dürfen sich aufbrezeln wie Frauen, die man früher nicht in die Kirche gelassen hätte und werden damit durchkommen. Bros müssen sich bezüglich Haargel-Mengen keine Grenzen setzen und können ungestraft ihre Hemdkrägen aufstellen. Vielleicht sogar #prom und #partyhard hashtaggen. Für eine überschaubare Gruppierung junger Menschen muss Ballsaison allerdings der reinste Psychoterror sein: Bräute.

So ziemlich jedes Brautmodengeschäft ist während der Ballsaison restlos ausverkauft, beziehungsweise leergeliehen. Maturantinnen oder solche, die von einem Maturanten als Tanzpartnerin für die Polonaise auserkoren wurden, müssen sich im Vorfeld um ein (meistens) weißes Kleid und passende Schuhe dazu kümmern. Und das machen sie nicht etwa koordiniert, sondern alle gleichzeitig und viel zu spät. Chaos. Panik. Sie finden dabei nicht mal mehr Zeit, sich diese absurden Hochsteckfrisuren mit Locken in der Größe von Knethaken machen zu lassen.

Die Polonaise selbst hingegen gilt als offizielle Eröffnung und ist immer einer der besten Teile des Balls. Verbeugungen, Drehungen, Reihen, Handschuhe, Schrittfolgen, klassischer und moderner Teil, vielleicht Hebefiguren, sofern genug Dünne dabei sind—Polonaisen sind nie wirklich eine Offenbarung, aber immer nett anzuschauen und außerdem die perfekte Gelegenheit, befreundete Maturanten durch peinliches Gekreische („Du geile Sau", etc.) bloßzustellen.

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Die heimlichen Treffen

Foto: Tim | Flickr | CC BY-SA 2.0

Maturanten haben am Abend ihres Abschlussballs vieles im Kopf. Die Polonaise-Schritte müssen sitzen, die eigenen Tischgäste sollen währenddessen die bestmögliche Verpflegung genießen und zu allem Überfluss passiert dann auch noch die unvermeidliche Wardrobe Malfunction. Gerissene Gürtel, gebrochene Stöckel—es braucht schon das ein oder andere Beruhigungsstamperl, um das alles zu packen.

Und die werden nicht etwa in aller Öffentlichkeit gehoben. Nein, ohne die geheimen, klasseninternen Treffen auf dem Schulklo, dem Raucherhof, dem Hintereingang oder der Garderobe, bei denen irgendein arger Spezial-Wodka oder der Obstler vom Onkel aus der Flasche getrunken wird, wäre ein Maturaball kein Maturaball. Ganz zu schweigen von der obligatorischen Schlange vorm Klo, weil drinnen gepudert wird.

Vielleicht ist es das Gruppengefühl, vielleicht ist es auch einfach der Rausch, aber es sind diese Treffen, bei denen man immer noch einmal auf sich selbst und die gemeinsame Zeit anstößt, die einem Abschlussball diesen notwendigen Hauch Wehmut verliehen. Sie sind quasi das weinende Auge. Außerdem sind sie der Grund dafür, dass der erste Walzer mit Mama und Papa notgedrungen zum langsamen Schunkler wird und bis zur Mitternachtseinlage niemand mehr gerade stehen kann.

Die Mitternachtseinlage

Screenshot via YouTube

In jeder Maturaklasse dieses Landes gibt es—sofern es keine HTL ist—mindestens ein oder zwei lustige Mädels die in ihrer Freizeit steppen oder sonst irgendwie semi-professionelle Tänzerinnen sind. Manchmal reicht es auch schon, wenn sie Mitglied der Faschingsgarde sind. Diese Mädchen sind wichtig. Sie werden ungefragt zur Entwicklung einer Choreographie eingeteilt, die einfacher nicht sein könnte, aber trotzdem niemand packen wird. Eure Unfähigkeit wird diese Mädchen brechen, aber sie werden es trotzdem irgendwie hinbekommen, eine Abfolge von Bewegungen in eure Hirne zu brennen.

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Wurscht, letztendlich geht es bei Mitternachtseinlagen nicht um perfekt ausgeführte Schritte, sondern darum, wer sich am meisten zum Deppen macht. In Erinnerung bleiben einem schließlich die Darbietungen mit den lächerlichsten Kostümen, den abstrusesten Requisiten (können auch Lehrer sein) und dem höchsten Maß an Schamlosigkeit. Ausziehen kommt übrigens immer gut und bietet nebenher die ideale Möglichkeit für eine Reprise von „Du geile Sau".

Wenn alle Stricke reißen, macht man einfach einen möglichst aktuellen Hype nach. So um 2008 herum wurden beispielsweise sämtliche Mitternachtseinlagen in ganz Österreich in Jumpstyle ertränkt und bis aufs Letzte zerkrocht. Wir haben damals „Gangnam Style" getanzt—und mit „getanzt" meine ich eher gewackelt. Ich bereue nichts.

Die Disco

Foto: Leo Hidalgo | Flickr | CC BY 2.0

Irgendwo in der Location, die den Maturaball ausrichtet—die besten finden noch in Schulhäusern statt—, gibt es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen umfunktionierten Turnsaal oder Keller, ein leergeräumtes Klassenzimmer oder eine viel zu große Messehalle, die als Disco missbraucht wird. Wenn dann der ortsbekannte Lieblings-DJ noch die Best of Kronehit-Party-Playlist auflegt, zucken alle komplett aus.

Dekomäßig werden Diskos oft stiefmütterlich behandelt, weil dort sowieso alles zerrissen, gestohlen oder vollgekotzt wird. Ich war mal auf einem Maturaball, auf dem die Disco-Dekoration ungelogen aus weißen DIN A4-Zetteln bestand, auf denen in schwarzer Schrift Dinge wie „Sauft's mehr!" und „I like to move it, move it!" (wirklich in Anführungszeichen) geschrieben standen.

Auf die Disco muss man sich natürlich einlassen. Wenn man sich kurz in Erinnerung ruft, dass hier die beinahe abgeschlossene Schulzeit, und damit ein entscheidender Wendepunkt im Leben vieler junger Menschen, gefeiert wird, dann ist das recht einfach. Wenn man selbst einer von ihnen ist, dann sowieso. Unterm Strich ist der eigene Maturaball eines der wichtigsten Ereignisse während des geschützten Lebens in der Heimat-Blase und gleichzeitig auch der erste Schritt aus ihr heraus. Und wer das nicht als Grund zum Feiern sieht, der kann seinen Hemdkragen gleich oben lassen und für immer Knethaken-Locken tragen.

Franz auf Twitter: @FranzLicht


Header: Kareem Jujumediazone | Flickr | CC BY 2.0