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Refugees Welcome—aber bitte nicht in meinem Vorgarten

In Deutschland stehen wir zwischen grenzenloser Offenheit gegenüber Flüchtlingen und offenem Fremdenhass. Es gibt Mitgefühl und Spendenberge auf der einen Seite und Bürgerinitiativen gegen Flüchtlingsheime auf der anderen.

Die Menschen in Deutschland sind solidarisch mit Flüchtlingen (größtenteils), sie sind desinteressiert (meistens) und in wenigen Fällen sind sie auch offen fremdenfeindlich (oft nur dann, wenn in ihrer unmittelbaren Umgebung eine Flüchtlingsunterkunft eingerichtet werden soll, dann aber richtig). Anhand eines sehr unvollständigen Pressespiegels versuche ich, ein kleines Stimmungsbild der Deutschen zu zeichnen.
Die einfachste Art von moralischer Betroffenheit konnte ich in den bundesdeutschen Leitmedien lesen, als die Katastrophe weit, weit weg passierte. Anfang Oktober kenterte vor der italienischen Insel Lampedusa ein 20 Meter langes Boot mit 545 Flüchtlingen aus Eritrea und Somalia an Bord. Ungefähr 390 Menschen ertranken und alle Welt war tief erschüttert. Papst Franziskus sprach von einem „Tag der Schande“ und keiner widersprach. Was jahrelanges politisches Engagement nicht vermocht hatte, schaffte das Unglück in wenigen Stunden. Das Thema Flüchtlingspolitik war in aller Munde und hatte es endgültig in die Schlagzeilen der großen deutschen Blätter geschafft, obwohl es doch schon lange vorher zu sehen war. Bereits im April habe ich das Protestcamp am Oranienplatz in Berlin besucht und über den schier ausweglosen Kampf der Flüchtlinge berichtet.

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Doch trotz aller Bestürzung fiel die Kritik an der ignoranten Haltung der Europäer, also an der eigenen, ziemlich verhalten aus. Vielleicht hatten die Kommentatoren immer im Hinterkopf, dass die nächste Flüchtlingsunterkunft ja vielleicht schon bald in ihrem Stadtteil eröffnet werden könnte—was man in puncto Wertminderung der eigenen Immobilie vielleicht nicht ganz so geil finden könnte. Schließlich handelte es sich bei der ganzen Asyldebatte ja auch um ein Problem im eigenen Land. Bereits fünf Tage nach dem Desaster im Mittelmeer schwadronierte der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich in der Tageszeitung Die Welt weiter von „Armutseinwanderung in bundesdeutsche Sozialsysteme“. Unter der Überschrift „Friedrich fordert Härte gegen Einwanderer“ behandelte der Artikel so unterschiedliche Themen wie den Umgang mit Asylwerbern und Freizügigkeitsregelungen für EU-Bürger aus Bulgarien und Rumänien. Auch wenn der Tonfall noch immer meilenweit von den Polemiken entfernt ist, wie sie Anfang der 1990er Jahre in deutschen Medien zu lesen und zu hören waren, so spricht es doch Bände, dass das Wort „Sozialtourismus“ gerade zum Unwort des Jahres 2013 gewählt wurde—es erinnert doch an die „Scheinasylant“-Rhetorik längst vergangener Zeiten.

So konnte man bereits im August 2013 ebenfalls in der Welt von einem „Asylbewerber-Ansturm“ lesen, der die Kommunen „an die Grenzen ihrer Belastbarkeit“ bringe. Ein Sturm im Wasserglas allerdings, wenn man bedenkt, dass bei weltweit 45 Millionen Menschen, die sich auf der Flucht befinden, im Jahr 2013 gerade einmal 109.580 Menschen in Deutschland einen Erstantrag auf Asyl gestellt haben (In Österreich gab es mit Stand Juni 2013 insgesamt 21.639 offene Asylverfahren).

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Diese Fakten interessieren allerdings niemanden, wenn es darum geht, die „berechtigten Anliegen besorgter Bürger“ zu vertreten. Dabei wird allerdings penibel genau darauf geachtet, dass niemals der Eindruck entsteht, die Deutschen seien generell ausländerfeindlich oder gar herzlos und ohne Mitgefühl. Mit den bösen, bösen Nazis will keiner was zu tun haben, und als Beweis für Deutschlands Gastfreundschaft wurde die Ankunft von 110 Flüchtlingen aus Syrien wie ein Staatsakt inszeniert. Hans-Peter Friedrich selbst hieß die Ankommenden auf dem Flughafen Hannover persönlich willkommen. „Deutschland ist ein tolles Land“ lautete dann auch die passende Überschrift auf der Website der ZDF-eigenen „heute“-Redaktion.  Die Deutschen wollen doch gut sein, doch wie soll man das schaffen in einer Welt voller Sachzwänge. Das beschäftigt auch BILD-Chef-Kolumnist Franz Josef Wagner, der mit seinem Brief an überlebende Flüchtlinge auf Lampedusa eindeutig den Vogel abschoss. Am 15.10.2013 schrieb er:
„Liebe Lampedusa-Flüchtlinge, die gute Nachricht: Gestern haben es 137 von Euch heil übers Mittelmeer geschafft … auf einem nur 12 Meter langen Boot. Die schlechte Nachricht: Ihr hockt nun in einem überfüllten Auffanglager. Monatelang vielleicht. Ihr habt es geschafft und nicht geschafft. Ihr kommt mir vor wie Vögel, die gegen eine Fensterscheibe fliegen. In Lampedusa ist die freie Luft zu Ende. Ihr kriegt zu essen und zu trinken, aber in das reiche Europa, mit den maßgeschneiderten Hemden und Schuhen aus London und Mailand, dürft Ihr nicht. Die wenigsten von Euch kriegen Asyl und Arbeitserlaubnis. Die meisten sitzen im Lager, gerettet, aber irgendwie auch tot.
So viele sind ertrunken auf dem Weg zum Paradies. Am Ende steht das Auffanglager. Das ist die Situation. Was kann man tun als guter Mensch?
Ich denke, dass man sich umarmen muss. Wenn uns überhaupt etwas rettet in dieser Welt, dann ist es die Liebe. Herzlichst, Ihr F.J. Wagner“
In Berlin selbst erlebe ich seit Monaten eine kleine Medienschlacht um das von Geflüchteten errichtete Protestcamp auf dem Kreuzberger Oranienplatz. Dabei ist ebenfalls jede Menge Gefühl gefragt, wobei „BZ“-Kolumnist Gunnar Schupelius ganz vorne im Kampf für Law and Order mitmischt. Dabei gelingt dem Springer-Mann das Kunststück, gleichzeitig Hardliner zu sein und trotzdem Mensch zu bleiben. So besuchte Schupelius das in die Schlagzeilen geratene Flüchtlingsheim in Hellersdorf persönlich. Im Sommer hatte hier die NPD eine Bürgerinitiative aus der Taufe gehoben, die lautstark gegen das Heim protestierte. „Nein zum Heim“ skandierten die Anwohner, die teilweise gar keine waren. Der Slogan prangt noch heute auf zahlreichen Aufklebern, die rund um das Heim herum verklebt wurden und auch noch bei der letzten Demo zu sehen waren, die sich Anfang Januar gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Hellersdorf wandte und bei der immerhin 200 Menschen teilnahmen.

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Trotz der latent feindlichen Stimmung titelte Schupelius anlässlich seines Besuchs im September euphorisch „Aus Angst wurden Glück und Hoffnung“ und schrieb: „Niemand spricht hier über Neonazis. Im Spielzimmer türmen sich die Spenden: Schulranzen, Kinderwagen, Lego. Lehrer kommen und geben freiwillig Unterricht, Nachbarn bringen Blumen und Kuchen.“ Auch hier lautete der letzte Satz: „Deutschland ist schön.“

In der Hauptstadt verlaufen die Fronten in Sachen Flüchtlingspolitik analog zu den Parteilinien. Während die Grünen und die Linke sich eindeutig auf die Seite der protestierenden Flüchtlinge stellen, will die CDU das Camp auf dem Oranienplatz räumen. Dazwischen befinden sich die liberalen Bürger. Potentielle SPD- und Grüne-Wähler, denen der ewige Protest zwar auch auf die Nerven geht, die sich aber nicht dazu durchringen können,

den Räumungsbefehl zu erteilen. Ich sprach mit Anwohnern, die sich über den ständigen Lärm, die Streitigkeiten zwischen den Flüchtlingen, den Müll und die hygienischen Bedingungen beschwerten. „Protest schön und gut, aber warum so lange und warum ausgerechnet hier?“, hier auf „ihrem Oranienplatz“. Ihnen wird in der Berliner Zeitung eine Stimme gegeben, die zwar um Objektivität bemüht ist, Ende November allerdings unter der Überschrift „Der Oranienplatz muss geräumt werden“ klar gegen Camp und Proteste Stellung bezogen hat. Bereits die ersten Sätze ließen erkennen, wohin die Reise ging: „Die Flüchtlinge vom Oranienplatz haben die Deutschen auf ihr Schicksal aufmerksam gemacht. Das ist ein politischer Erfolg. Mehr ist mit dieser öffentlichen Aktion nicht durchsetzbar. Jetzt ist die Politik gefordert, die unhaltbaren Zustände in Kreuzberg zu beheben.“ Ganz nach dem Motto: Ja ja, wir haben's ja verstanden. Wir können leider nichts ändern und jetzt husch, husch zurück ins Körbchen. Ganz anders dagegen habe ich die Situation in Hamburg erlebt. Dort scheint die Protestbewegung auch mit ihren politischen Forderungen sehr viel Unterstützung—bis weit hinein ins bürgerliche Lager—zu erhalten. Ich sah jede Menge Lampedusa-Shirts und der Hass auf die SPD manifestierte sich in einer Unmenge „FCK SPD“-Aufklebern, die überall zu sehen waren.

Mag sein, dass der Protest dort durch die Einbindung in die St.-Pauli-Kirche von Anfang an in geordneteren Bahnen verlief und dadurch leichter zugänglich war. Oder aber die harte Haltung des Hamburger Senats führte dazu, dass sich die alternative Szene stärker positionierte. Während in Berlin das gute alte „Good Cop—Bad Cop“-Spiel gespielt wird, ist die Hamburger SPD einfach nur bad und machte sich so die Stadtteile St. Pauli, Altona und Sternschanze zum Feind. Eine ganze Latte Hamburger Prominenter von Jan Delay über Fatih Akin bis hin zu Bela B. (kein Hamburger, ich weiß) ließ sich in einer großen Fotoaktion und unter dem Titel „Wir sind Lampedusa“ ablichten. Die Hamburger Morgenpost stellte sich dagegen in weiten Teilen auf die Seite des regierenden Bürgermeisters Olaf Scholz und überschrieb einen Artikel zur Lage der Flüchtlinge in der St-Pauli-Kirche mit den Worten: „Ein Gotteshaus wird zum Ghetto“. Hin- und hergerissen zwischen ihrer traditionellen Rolle als fortschrittliche Arbeiterzeitung auf der einen Seite und Zentralorgan einer eher konservativen SPD-Regierung schlingert die „MoPo“ zwischen hanseatischer Weltoffenheit und kleinbürgerlichen Rufen nach der harten Hand. Nach dem Protest rund um die Rote Flora kurz vor Weihnachten druckte das Blatt beinahe kommentarlos jeden Polizeibericht und ließ in einem großen Exklusivinterview den Regierenden noch einmal persönlich zu Wort kommen. Dieser wurde nicht müde zu unterstreichen, wie hilfsbereit und aufnahmewillig die Hansestadt gegenüber Flüchtlingen sei. Scholz könne die Kritik an seiner Politik nicht verstehen und erklärte: „Es ist nicht in Ordnung, dass ein Senat kritisiert wird, der die deutschlandweit modernste Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik betreibt. Wir bringen mehr als 10.000 Flüchtlinge unter. Wir geben mittlerweile einen dreistelligen Millionenbetrag im Jahr für Flüchtlinge aus.“ Tenor auch in anderen Teilen Deutschlands. Humanitär habe man sich nichts vorzuwerfen und ansonsten könne man einem kleinen Teil von Protestierern keine Sonderrechte gewähren, weil vor dem Recht eben alle gleich seien. Die politischen Forderungen, die von diesen Gruppierungen erhoben würden, könne man als Kommunal- oder Landespolitiker ohnehin nicht lösen, da es sich hierbei um Bundes- wenn nicht sogar Europarecht handeln würde (so auch der Berliner Bürgermeister Wowereit). Fragt sich dann allerdings, wo man mit seinem Protest überhaupt anfangen soll, wenn nicht in den Städten und Gemeinden? Doch wie alles, was in der Flüchtlingspolitik passiert, dürfte auch hier die Antwort lauten: „Überall, bloß nicht bei mir.“