Was mit meiner offenen Beziehung passierte, als ich mich verliebte
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Sex

Was mit meiner offenen Beziehung passierte, als ich mich verliebte

Sex mit anderen war erlaubt. Aber was passiert, wenn man anfängt, beim Anderen zu schlafen – ohne mit ihm zu schlafen?

Foto: …Lea… I Flickr I CC BY 2.0

"Katja, du bist verliebt", sagte mein Freund André*, als wir abends Pasta in unserer Küche kochen. Ich verschluckte mich an meinem Wein. Aber der Hustenanfall, der darauf folgte, war nicht der einzige Grund, warum mein Gesicht rot anlief und mir Tränen in die Augen stiegen. Denn André hatte Recht: Ich war verliebt. Und zwar nicht in ihn, sondern in meine Affäre Jan*. Gegen alle unsere Abmachungen und Sicherheitsvorkehrungen. Und ich wusste: Ich war nicht imstande, das mit Jan zu beenden.

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Als André und ich vor ein paar Jahren unsere Beziehung öffneten, war klar: Verlieben war das Schlimmste, was uns passieren konnte. Das wussten wir von den befreundeten Paaren, die versucht haben, ihre Beziehungen zu öffnen – und daran zugrunde gingen, weil jemand Neues, Aufregendes auftauchte. Sobald sich jemand ernsthaft verliebt hatte, waren alle Versuche, die Gefühle einzudämmen, erfolglos. Und damit meine ich nicht dieses angenehme Flattern in der Bauchgegend, sondern all den romantischen Scheiß, der zwangsläufig entsteht, wenn deine Gefühle erwidert werden. Wenn du nur noch bei diesem einen Menschen sein willst, und alle Anderen zu warten haben. Und natürlich ist klar, mit wem du den nächsten Wochenend-Trip machen willst.

Das ist die Autorin

Die Autorin | Foto: Marcus Möller

Dass man sich in jemanden anderen verliebt, ist kein Exklusivproblem von offenen Beziehungen. Dass kann jedem passieren. Ein kleines bisschen wollten mein Freund und ich uns gegenüber dem Schicksal aber dennoch absichern. So wie Anschnallen beim Autofahren, gewissermaßen. Wir dachten uns die Fünf-Dates-Regel aus: Nach fünf Treffen mit einer Person sollte Schluss sein. Zeit genug, sich zu beschnuppern, falls man nicht sofort miteinander ins Bett ging, und Zeit genug, es auszukosten, falls es besonders gut war. Und auf der anderen Seite zu wenig Zeit, um eine Parallel-Beziehung entstehen zu lassen.

Es stellte sich jedoch heraus, dass das Leben zu komplex war, als dass es durch Zahlen geregelt werden könnte. War Biertrinken mit einer guten Freundin, mit der hin und wieder was lief, nun ein Date oder nicht? Was war mit der Affäre, die langsam in eine Freundschaft abebbte? Und warum sollte man den Fick-Freund, der sowieso nur alle paar Monate geschäftlich in der Stadt war, nicht weiter treffen können?

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Nach einer Weile merkten wir, dass wir für alles und jeden Ausnahmen machen mussten und warfen die Fünf-Date-Regel über Bord. Eine andere Regel blieb: Sobald einer von uns merken würde, dass er sich verliebt, musste er die Sache beenden.

Die ersten zwei Jahre lief alles bestens. Wir dateten, vögelten und romantisierten sogar den ein oder anderen Menschen, ohne dass es auch nur in die Nähe von Verliebtsein gekommen wäre. Meistens entpuppten sich andere Menschen bei genauem Hinsehen sogar eher als Enttäuschung: Der Sex mit ihnen war vielleicht aufregend, aber lange nicht so intensiv wie in unserer Beziehung. Sie konnten witzig sein, aber sie hatten eben nicht unsere Art von Humor. Und die Gespräche wurden auch nicht zu tief – schließlich trafen wir uns für etwas anderes. André und ich lebten also selig in dem Wissen, die bestmögliche Beziehung mit dem bestmöglichen Partner zu haben nur mit der wohltuenden Möglichkeit, sich auch mal in Nachbars Garten umzuschauen.

Und dann kam Jan. Jan konnte nicht nur ficken. Wochenlang warb er um mich, als ob ich die Frau seines Lebens wäre. Holte mich zu Hause ab, wenn wir ausgehen wollten, schwärmte von meiner Schönheit und meinem Humor und scheute sich nicht, seine Gefühle zu zeigen. Es war eine Bilderbuch-Romanze. Ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich im Kopf meine Möbel in seiner bereits perfekt eingerichteten Wohnung platzieren könnte. Ich sehnte mich immerzu nach seinem Gesicht und seinem Schwanz. Der von meinem Freund interessierte mich immer weniger. Jan, Jan, Jan, pochte es immerzu in mir. Und je mehr André nörgelte, dass ich kaum noch zu Hause sei, desto lauter pochte es.

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Was folgte, war ein einziger Albtraum aus Schuld (weil ich mich nicht an unsere einzige Regel hielt) und Scham (weil ich das herunterspielte und damit die Grenze zum Lügen überschritt). André litt wie verrückt, wenn ich bei Jan war, aber er forderte nicht, dass ich mich von ihm trenne. "Das zwischen euch wird sich verändern, wenn die erste Verliebtheit abgeflaut ist", sagte er immer wieder, wobei nicht ganz klar war, wem von uns beiden er das einreden wollte.

Aber er behielt Recht: Nach ein paar weiteren Wochen setzte der ganz normale Prozess der Desillusionierung ein. Plötzlich erschien mir die Frequenz von Jans Stimme nervig, sein Musikgeschmack langweilig und der Turnbeutel, den er so gern auf seinem Rücken trug, infantil. Selbst der großartigste Sex der Welt war irgendwie gewöhnlich geworden.

Es war dieser Moment, in dem sich nach dem Abkühlen der ersten heißen Gefühle entscheidet, ob man zusammenbleibt oder nicht. Ob man in den anderen Menschen investiert oder weiterzieht. Und in diesem Moment wurde mir endlich klar, dass es nichts zu investieren gab. Weil da bereits jemand war, mit dem ich genau das hatte, was Jan mir immer in Aussicht gestellt hatte: Ich war die Eine für André. Und er war der Eine für mich. Wir hatten die Zeit der Illusionen schon lange hinter uns gebracht. Andrés Macken und sein Morgen-Atem waren keine Überraschungen mehr für mich.

Als die Sache mit Jan vorbei war, blieben André und ich erleichtert und etwas verwirrt zurück. Dass uns das passiert war, obwohl wir uns geschworen hatten, wachsam zu bleiben! Aber wir waren auch ein bisschen froh. Weil wir nun wussten, dass uns nichts so schnell umhaut. Nicht einmal die ganz große Verliebtheit. Und irgendwann wurde uns klar, warum sie uns im Gegensatz zu so vielen anderen nichts angehabt hatte: weil sie sein durfte. So lange, bis sie sich von selbst in Nichts aufgelöst hatte.

*Namen geändert

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