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Popkultur

Deadpool ist der Social Justice Warrior des Marvel-Universums

Nicht nur in 'Avengers: Infinity War' wird gestorben, sondern auch in 'Deadpool 2'. Nur lustiger – und mit gendergerechter Sprache.
Screenshot aus dem YouTube-Video "Deadpool 2: The Final Trailer" von 20th Century Fox

Früher wurde in Superheldenfilmen primär die Welt gerettet, 2018 wird vor allem eines: gestorben. Vor ein paar Wochen brachte Avengers: Infinity War Kinobesucher an den Rand eines Nervenzusammenbruchs und warf die Frage auf, wie masochistisch man eigentlich sein muss, um nach dem zweieinhalbstündigen Helden-Massaker zeitnah wieder Freude empfinden zu können. Ab Donnerstag läuft mit Deadpool 2 ein weiterer Marvel-Film in deutschen Kinos – und auch der beginnt mit einem Tod. Einem Suizid.

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Wade Wilson (Ryan Reynolds) aka Deadpool möchte sich nach einem dramatischen Schicksalsschlag selbst töten. Auf mehreren Tonnen Benzin liegend raucht er eine letzte Zigarette und schnippst sie in die hochentzündliche Flüssigkeit. In Einzelteilen wird der suizidale Superheld von seinem Kumpel Colossus aus den Überresten seiner Wohnung getragen und in die Villa der X-Men gebracht. Denn natürlich ist Deadpool, dessen Körper unglaubliche Selbstheilungskräfte besitzt und somit quasi unsterblich ist, nicht tot – er ist depressiv. Und er braucht eine neue Aufgabe.

Also wird Deadpool Praktikant bei den X-Men und soll eine Situation entschärfen, bei der ein Waisenjunge mit übermenschlichen Kräften droht, seine Betreuer zu töten. Doch der Antiheld schlägt sich überraschend auf die Seite des traumatisierten Russell (Julian Dennison) – und muss ihn anschließend auch noch gegen einen Cyborg-Soldaten aus der Zukunft (Josh Brolin als Cable) verteidigen. Dazu gründet er seine eigene eigene Superheldengruppe, die X-Force, von der vor allem die entspannte Domino (Zazie Beetz) im Gedächtnis bleibt. Ihre Superkraft? Sie hat einfach verdammt viel Glück.

Gegen Deadpool wirken die Guardians of the Galaxy wie Dieter Nuhr in Strumpfhosen

An sich klingt die Story so generisch, dass sie schon fast wieder selbst ein Meta-Witz sein könnte: Egozentrischer, kompromissloser Antiheld zerbricht fast an einem traumatischen Erlebnis. Sein Lebenswille scheint gebrochen, doch dann lernt er einen Waisenjungen kennen, der genau so kaputt ist wie er und kämpft sich durch seine aufblühenden Vatergefühle zurück ins Leben. Dass das Ganze trotzdem kein absolutes Schnarchfest ist, liegt daran, dass Deadpool 2 kein wirklicher Actionfilm ist – er ist eine Dekonstruktion des Superhelden-Genres.

Immer, wenn man als Zuschauer zu wissen glaubt, was in der nächsten Szene passiert, macht der Film eine 180-Grad-Wendung und teilt uns durch eine Aktion oder einen Kommentar von Deadpool mit: Wir wissen ganz genau, was ihr gerade denkt. Reingelegt. Zu meta oder selbstreferenziell wird das Ganze aber trotzdem nicht. Für Avengers: Infinity War erstellten Online-Magazine ganze Listen mit den Filmen, die man gesehen haben muss, um zu verstehen, wer Oberbösewicht Thanos ist und warum er einen kitschigen Goldhandschuh trägt, der aussieht, als hätte ihn Harald Glööckler entworfen. Deadpool 2 hingegen ist zwar definitiv lustiger, wenn man alle Anspielungen versteht – er funktioniert aber auch so.

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Der pansexuelle Superheld, der eigentlich gar kein Held ist, flucht, tötet und witzelt mit einer Nonchalance, gegen die die Guardians of the Galaxy wie Dieter Nuhr in Strumpfhosen wirken. Auch von klassischen Männlichkeitsklischees ist Wade Wilson deutlich weiter entfernt als seine Marvel-Kollegen Iron Man, Thor oder Captain America. Deadpool flirtet (trotz heterosexueller Beziehung) abseits aller Heteronormativität und lässt sich von seiner Freundin Vanessa (Morena Baccarin) mit einem Strap-on-Dildo penetrieren. Ein Akt, bei dem die Comic-Fans, die schon hinter den reinen Frauen-Screenings zu Wonder Woman eine feministische Verschwörung vermuteten, wohl endgültig Schnappatmung kriegen müssten.

Deadpool bekämpft das Böse mit geschlechtsneutraler Sprache

Tatsächlich sind die besten und überraschendsten Szenen im Film die, in denen Deadpool sich ernsthaft aufgebracht über sexistische und rassistische Klischees in Superheldenfilmen zeigt. Als er in einem futuristischen Mutantengefängnis gegen einen Weißen Mann mit Dreads kämpft, fragt er ihn, was eigentlich seine Superkraft sei: "Cultural appropriation?" Später nennt er seine eigene Superheldengruppe "X-Force" – bewusst geschlechtsneutral und mit dem Seitenhieb, dass "X-Men" die Frauen des Franchises ausschließen würde.

Ist Deadpool also der Social Justice Warrior des Marvel-Universums? Grundlegend auf der richtigen Seite, dann aber doch nicht radikal genug, um wirkliche Grenzen einzureißen? Ein bisschen, ja. Deadpool kann Regeln brechen, weil er als Low-Budget-Liebhaberprojekt gestartet ist und nicht von vornherein dahin konzipiert wurde, dem größtmöglichen Publikum zu gefallen. Deadpool ist aber auch deswegen deutlich freier von Konventionen, weil er für Weiße, heterosexuelle Männer, die nach wie vor als Comic-Hauptzielgruppe gelten, nur wenig Abschreckendes beinhaltet. Deadpool 2 ist nicht Teil einer popkulturellen Revolution. Es spricht Dinge an und legt den Finger in Wunden – nur, um ihn schnell wieder rauszuziehen, bevor es so richtig weh tut.

Trotzdem zeigt Deadpool 2 mit seiner betont zur Schau gestellten "Wokeness" immerhin eines: Es ist nicht notwendig, ein sexistisches, rassistisches, homophobes Arschloch zu sein, um lustig zu sein. Deadpool tritt nicht nach unten, er dekonstruiert und hinterfragt vor allem sich selbst und sein Umfeld. Da können sich die "Was darf man denn jetzt überhaupt noch sagen?"-Rufer ruhig eine Scheibe abschneiden. Wenn die Krokodilstränen nach dem Ende von Infinity War dann endlich mal getrocknet sind.

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