Überraschung: In 'Far Cry 5' sind wir selbst die Rechtsextremen
Joseph Seed, der "Vater" und Sektenführer von Eden's Gate || Alle Screenshots: 'Far Cry 5' | Ubisoft

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Überraschung: In 'Far Cry 5' sind wir selbst die Rechtsextremen

Das Spiel zeigt die USA zwischen nationalistischen Waffenfanatikern und psychotischen Sektenanhängern – und spielt sich wie ein Reichsbürger-Simulator.

Abwechslungsreich, wunderschön und stellenweise so abgründig, dass einem schlecht wird: Far Cry 5 ist ein fantastisches Spiel. Vielleicht das bisher beste der Reihe. Erstmals können Spieler Geschlecht und Aussehen ihres Charakters selbst wählen, um dann als Nachwuchspolizist den verschlafenen Landkreis Hope County im US-Bundesstaat Montana aus den Fängen einer Endzeit-Sekte zu befreien. Das "Project at Eden’s Gate" unter der Führung der Seed-Familie bereitet sich auf den Untergang der Zivilisation vor. Die Sekte rekrutiert ihre Anhänger im Zweifelsfall auch mit Gewalt. Es gibt wie auch in den vorherigen Teilen der Serie charismatische Psycho-Bösewichte, aggressive Wildtiere und jede Menge Explosionen. Neu ist allerdings, dass Spieler relativ frei entscheiden können, welche Missionen sie absolvieren wollen und welche nicht. Alles, was zur "Befreiung" von Hope County beiträgt, treibt die Geschichte voran.

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Trotz sinnvoller Neuerungen, interessantem Setting und all dem, was an Far Cry schon immer Spaß gemacht hat, zeigten sich Spieler nach der Veröffentlichung enttäuscht. Die ersten Trailer hatten den Eindruck erweckt, dass die Sekte exemplarisch für extremistische rechte Gruppierungen stünde, die aktuell weltweit an Einfluss gewinnen. Insbesondere Anhänger der Alt-Right fühlten sich dadurch provoziert und kündigten an, das Spiel zu boykottieren – auch wenn eine diesbezügliche Change.org-Petition eher nach Satire als ernst gemeintem Movement klang.

Widerstandskämpferin Grace Armstrong und ihr Scharfschützengewehr sind ein Herz und eine Seele || Alle Screenshots: 'Far Cry 5' | Ubisoft

Schlussendlich war die Aufregung umsonst. Far Cry 5 mit weißen, rechtsradikalen Trump-Wählern als ultimativem wie zeitgenössischem Feindbild existiert so nicht. Das wiederum ärgerte Spieler auf der linken Seite des politischen Spektrums. Statt übersteigertes Spiegelbild der Gesellschaft zu sein, drücke sich die Story vor einer klaren politischen Positionierung, kritisierten viele.

Trotzdem zeigt das Spiel überraschend aufschlussreich, wie Nationalisten denken und fühlen. Im bisher unvorhersehbarsten Storytwist der Spielereihe sind nämlich wir es, die auf der Seite übereifriger Patrioten und Verschwörungstheoretiker kämpfen. Überraschung!

Verschwörungstheorien und Hass auf allen Seiten

Der Widerstand in Hope Country rekrutiert sich primär aus fehlgeleiteten Wissenschaftlern, konservativen Christen, reaktionären Regierungskritikern, Waffenfanatikern und sogenannten Preppern, die sich auf den Kollaps unserer Gesellschaft vorbereiten. (Bei Vertretern letzterer Gruppe wurde 2017 in Mecklenburg Vorpommern eine Razzia durchgeführt. Sechs Männer wurden verdächtigt, im Falle eines Staatszusammenbruchs unter anderem linke Politiker töten zu wollen.)

Hope County muss sich selbst gegen die Eindringlinge, die Verrückten und Bösen, die ihr Land übernehmen, zur Wehr setzen, weil der Staat nicht eingreift. (Danke Merkel!) Das Spiel erklärt das mit einem unterbrochenem Internet- und Telefonnetz, man könne die Situation im Landkreis also nicht nach außen kommunizieren. Der einzigen Person von außerhalb, die zu Beginn des Spiels auftaucht – ein US-Marshall, der Kultführer Joseph Seed verhaften lassen will –, begegnen die örtlichen Polizisten allerdings misstrauisch. Die selbstorganisierten Bürgerwehren scheinen insgesamt recht glücklich darüber, selbst für "ihr Land" kämpfen zu müssen. Vertrauen in die Regierung hat hier niemand.

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Einfach mal "Ja" sagen – egal ob zu gewalttätigen Endzeit-Sekten oder rechtskonservativen Doomsday-Gruppierungen

Deswegen haben die Bewohner von Hope County schon lange vor der Übernahme durch die Endzeit-Sekte angefangen, sich auf den Untergang der Zivilisation vorzubereiten. Dutch, der Mann, der uns zu Beginn des Spiels das Leben rettet, hockt scheinbar schon seit Jahren in seinem Bunker und will die Familie seines Sohnes davon überzeugen, sein Enkelkind nicht länger in eine öffentliche Schule zu schicken. Der Senatsanwärter Hurk Senior schimpft in einer Mission offen über “Obama lovin’ libtards”. Auf einer Anrufbeantworter-Nachricht befürchtet er außerdem eine Invasion durch Sozialisten und Personen abseits binärer Geschlechtsidentitäten. Später wird der Spieler aufgefordert, ihm zu helfen, indem er Sektenanhänger erschießt – schließlich würden die ihn nicht wählen. Da überrascht es beinahe nicht mehr, dass so mancher rechter Gaming-Vlogger die Auffassung vertritt, dass “Social Justice Warriors” nur deswegen ein Problem mit Far Cry 5 hätten, weil sie mehr mit den Bösewichten gemein haben als mit den Helden der Geschichte.

So amerikanisch die politischen Anteile der Story auch klingen mögen, es gibt auch Parallelen zum Rechtsruck in Deutschland. Die Ablehnung des Staats und der liberalen Weltoffenheit, der Wunsch nach Selbstverwaltung – klingt alles ziemlich nach Reichsbürgern. Einer ideologisch recht diversen Gruppierung aus “Abenteurern, Anarchisten und Rechtsradikalen”, wie das ZDF zusammenfasste, die eines gemein haben: Sie erkennen die Bundesrepublik nicht als Staat an, und damit auch keine staatlichen Behörden. Die Zahl der erfassten Reichsbürger hat sich alleine in Bayern im letzten Jahr verdoppelt. Sie sind bewaffnet. Und glauben, dass wir vor einer großen politischen Veränderung stehen.

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In Bolsterlang, einem Ort im bayerischen Allgäu, schlossen sich mehrere Reichsbürger zusammen, um sich gegen die Aufnahme von Geflüchteten (und “Grundstücksenteignungen durch die BRD”) stark zu machen. Im Rahmen eines Seminars wurde laut Informationen des Stern von einem nahenden gesellschaftlichen Umbruch gesprochen. "Das System wankt. Es ist nicht die Frage, ob es kippt, sondern nur noch WANN!"

Denkt euch Helikopter, ein Meer aus US-Flaggen und ein paar aggressive Truthähne dazu, und ihr befindet euch mitten in einer Mission von Far Cry 5. Erinnerung: Wir sind hier die Guten.

Es geht nicht um Glauben oder Politik, sondern um Angst

Überzeichnete patriotische Stereotype gibt es natürlich auch in anderen Spielen. GTA zum Beispiel lebt von einem ins Absurde verzerrten Abbild der modernen US-Gesellschaft. Außerdem sind die Bewohner von Hope County keine Neonazis. Islamfeindlichkeit, die auch in Deutschland den Diskurs von rechts stark prägt, fehlt ebenso wie klare rassistische Äußerungen. Sämtliche religiösen Anklänge, so unscharf sie bei Eden’s Gate auch sein mögen, orientieren sich am Christentum. Auch Hautfarbe und ethnische Zugehörigkeit scheinen in Far Cry 5 ganz bewusst keine Rolle zu spielen. Lediglich Jacob Seed, einer der Zwischenbosse im Spiel, klingt ein bisschen nach Drittem Reich und Herrenmenschen-Ideologie, wenn er davon spricht, dass schwächere Menschen zugunsten der stärkeren geopfert werden müssen.

Trotzdem kommt man irgendwann nicht mehr umhin, sich zu fragen: Wer sind hier eigentlich die Verrückten? Jene, die an einen gottgleichen "Vater" glauben, der sie nach allem Schrecklichen, das das Leben so zu bieten hat, zu innerem Frieden führt? (Auch wenn das bedeutet, dass sie alle abknallen, die ihnen dabei im Weg stehen.) Oder sind es die, die an eine weltweite politische Verschwörung glauben und sich deswegen mit Waffen und Essenskonserven unter der Erde verbarrikadieren? (Und alle abknallen, die ihnen dabei "ihr Land" streitig machen.) Bis an die Zähne bewaffnet sind beide Fraktionen. Und Teil eines weltoffenen, liberalen, demokratischen Staates wollen sie offensichtlich nicht sein.

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Bösewicht John Seed, Bruder von Kultführer Joseph Seed, unterscheidet sich auch dadurch von den Widerstandskämpfern, dass sein Folter-Bunker erheblich größer ist

Far Cry 5 mag oberflächlich betrachtet nicht "mutig" genug gewesen sein, um ein klares politisches Statement abzuliefern. Eine Projektionsfläche für die Ängste und Probleme, die mit dem weltweiten politischen Rechtsruck und dem Erstarken extremistischer Gruppierungen einhergehen, bietet das Spiel trotzdem. Wenn man sich damit denn auseinandersetzen möchte.

Oder man jagt ohne jeden Hintergedanken wilde Bären mit Sprengsätzen in die Luft, weil man seine komplette Sturmgewehr-Munition dabei verbraten hat, einen gegnerischen Helikopter vom Himmel zu holen, und der gezähmte Puma gerade damit beschäftigt ist, einem Sektenanhänger die Kehle durchzubeißen. Beides geht. Ist schließlich immer noch ein Videospiel. Und die echte Welt mit ihren ganz realen politischen und religiösen Extremisten ist deprimierend genug.

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