Sex

Darum masturbieren Instagrammerinnen mit Dildos aus Quarzkristallen

Die Esoterikbranche verspricht spirituelle Selbstheilung – tatsächlich kann das Sex-Spielzeug sogar gesundheitsgefährdend sein.
kristalldildo
Collage bestehend aus: Kristalle: imago images / Panthermedia | Frau: pexels.com

Es muss irgendwo im Internet vor einigen Monaten einen spirituellen Urknall gegeben haben, denn plötzlich finden sich in meinem Instagram-Feed überall Kristalle wieder: Im weichen Abendlicht glitzern Goddess Wands aus Bergkristall und Yoni Eggs aus Rosenquarz. Sie liegen auf Waldböden und auf Holztischen. Dezente Filter sind über die Fotos gelegt. Hashtags wie #crystalhealing, #soullove und #ecosexual flankieren die Posts.

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Wellness-Instagrammerinnen, die sich letztes Jahr auf den Dächern ihrer ausgebauten Hippievans fotografiert haben, Porridge löffeln im Herabschauenden Hund, setzen jetzt ihre Yoni Eggs und Dildos in Szene. Nicht diese Delfine und Würmer aus Plastik und Kautschuk. Sondern Sexspielzeuge, die gleichzeitig an Harry Potter-Fanartikel und Cleansing-Hotels der Bay Area erinnern.


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Das ist einerseits großartig: Denn das masturbierende Mädchen durfte es lange gar nicht geben. Unter den verschwitzten Laken des Spätkapitalismus hat es sich heimlich ein Update verpasst und schwappt in die Instagram-Feeds. Kristalldildo und Yoni-Ei versprechen neben einem Orgasmus beziehungsweise vaginaler Gesundheit das, was andere sich jahrzehntelang in Berghöhlenaskese inklusive Selbstgeißelung hart erarbeiten müssen: spirituelle Erleuchtung. Die Rettung der Seele durch Onanie. Aber das ist nicht nur Quatsch, sondern kann auch gefährlich sein.

Das Phänomen der kristallinen Penetration begann womöglich mit der Schauspielerin Gwyneth Paltrow. Ihr Jade Egg, ein vaginal einzuführender Alleskönner aus Halbedelstein, zu kaufen in ihrem Onlineshop, sollte Hormone ausbalancieren und das Herz stärken. Diese Behauptung brachte Gwyneth Paltrows Firma ein Gerichtsverfahren ein (weil die Gesundheitsvorteile nicht belegbar waren) – und verstärkte die Welle von influencenden Masturbatorinnen und einen neuen Mainstream-Glauben an Edelsteinen.

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Möglicherweise deutet aber das auch auf die unerfüllte Sehnsucht nach Natur und Ursprünglichkeit hin, der sich schon im Sukkulenten- und Pflanzenhype gezeigt hat. Zur Präsentation legen Shops ihren Yoni Wand oft auf Wohnzimmerpflanzen. In diesem Fall ist die Verbindung des dekorativen Lochmusters etwa der Monstera-Pflanze zum gezeigten Produkt zu erahnen: beides hat irgendwie mit Löchern zu tun.

Die Sukkulente erinnert uns daran, dass irgendwo, weit weit hinter dem Agenturgebäude, dem Arbeitsplatz der Großstädter, mal sowas wie Natur und freies Atmen existiert hat. Und die Kristalldildos sind vielleicht der nächste Schritt: Wenn naturentfremdete Agentur-Großstädter sich für jeden überstandenen Pitch-Stress einen Wolfsmilchkaktus auf die Fensterbank stellen, als stacheligen Ersatz für das gestrichene Wochenende am See, das wieder mal wegen des schwierigen Kunden ausgefallen ist – dann erreicht der Dildo, oder eher: der Kristallvaginalschmeichler einen neuen Status. Er ist die Sukkulente unter den Selbstbefriedigungswerkzeugen. Aber weil das, literally speaking, eher very special interest ist, bestellt man sich lieber Kristallspielzeuge im Internet. Das kostet.

Einen Bergkristalldildo gibt es bei mitra-objects.com für etwa 488 Dollar. Das Marketing dahinter: Der Dildo aus Kristall ist natürlich nicht nur ein Dildo. Es ist ein "investment in your sensuality", so preist goddesswands.com seine Produkte ab 100 Dollar an. Das Modell aus dem Gesteinsglas Obsidian etwa funktioniert als vaginale Traumatherapie ("releasing unwanted cords or buried trauma"). Den Preis für spirituelle Selbstheilung mit Happy End stellt man nicht in Frage. Man zahlt ihn. Das gilt für den Ablasshandel genau wie für den Orgasmus.

Bei all den Blumen in den Instagram-Feeds der Shops fühlt man sich wie in einem Bild von Georgia O'Keeffe. Die Künstlerin suchte in der Natur weibliche Formen. Doch während O'Keefes Werke obszöner und gleichzeitig erotischer sind als viele Pornos heute, sind die Instagram-Fotos der Kristalldildos am Sandstrand vor allem: lieblich und wahnsinnig gesund. Zumindest tun sie so. Greenwashing für Sexualität. Das Problem an den Natursteinen ist: Wie viele andere Mineralien werden sie manchmal unter fragwürdigen Bedingungen für Arbeiter und Umwelt abgebaut. Und die Natur, für die sie stehen, ist nicht immer angenehm – und zwar immer dann, wenn in den mitunter porösen Mineralien Bakterien entstehen. Die Gefahr bei etwa dem Gestein Jade, so die amerikanische Gynäkologin Jen Gunther: bakterielle Vaginose oder auch das toxische Schocksyndrom. Auf den Posts erfährt man darüber nicht viel; entzündete Genitalien sind nicht ganz so instagrammable wie Yoni Wands im Gegenlicht. Und vielleicht muss man sich nicht selbst heilen oder Engel sehen, wenn man masturbiert. Manchmal will man einfach nur kommen.

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