Success Johnson und Diana Namusoke vor einer Kirche
Success (links) und Diana kämpfen für ihr Aufenthaltsrecht | Alle Fotos: Viktoria Grünwald

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Asyl

Wie sich zwei lesbische Frauen gegen ihre Abschiebung wehren

Diana und Success droht in ihren Heimatländern der Tod. Doch die deutschen Behörden glauben ihnen nicht.

Success Johnson, 24 Jahre alt, pult ungeduldig einen Sonnenblumenkern aus seiner Schale und schiebt ihn zwischen die Lippen. Man sieht ihr an, dass sie keine Lust hat, die Geschichte ihrer Flucht schon wieder vor Menschen auszubreiten, deren Lebensrealität mit ihrer so viel gemeinsam hat wie ein bayerisches Ankerzentrum mit einem Berliner Boutique-Hotel. Success trägt beigefarbene Leggings mit Fake-Medusa-Logo von Versace. Unter den Trägern ihres blauen Tops stempeln fingernagelgroße Sternentattoos ihr Schlüsselbein. "Es ist mir unangenehm, über mein Leben in Nigeria nachzudenken", sagt sie. "Aber ich will versuchen, weniger nervös zu sein."

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Wir treffen Success in den Büroräumen einer evangelischen Kirche in Berlin-Kreuzberg. An der Wand hängt ein Poster der feministischen Schriftstellerin Audre Lorde, auf einem kleinen Beistelltisch stehen Tee und etwas Obst. Success und die 48-jährige Uganderin Diana Namusoke sitzen auf Bürostühlen. Diana wirkt schüchterner als Success: Ihre Hände liegen verschränkt in ihrem Schoß. Wir unterhalten uns auf Englisch. Während Diana erzählt, schüttelt hin und wieder ein leises Kichern ihren Oberkörper.

Diana hat Success vor sieben Monaten in München kennengelernt, in einer Beratungsstelle für lesbische Frauen. Seitdem sind die beiden befreundet – und kämpfen gegen die deutschen Behörden: Success und Diana mussten aus ihren Heimatländern flüchten, weil sie homosexuell sind und deswegen verfolgt und überfallen wurden. In Deutschland beantragten sie Asyl. Doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das BAMF, lehnt ihre Anträge ab. Die Behörden glauben den Frauen nicht, dass sie wirklich lesbisch sind. Und ordnen im vergangenen Herbst die Abschiebung an.


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An einem Tag Ende Oktober warnt Success' Anwältin sie davor, dass die Polizei sie bald aus ihrer Münchener Unterkunft abholen werde. Als die Beamten an ihrer Tür stehen, ist Success untergetaucht. Zwei Wochen später sitzt sie mit Diana in einem Auto nach Berlin: Die Kreuzberger Kirche hat den Frauen in letzter Minute Kirchenasyl gewährt und bringt sie in einem ihrer Gemeinderäume unter. Aktuell gebe es mindestens 855 Menschen in Deutschland, die Kirchenasyl genießen und auf dem Gelände unterschiedlicher Kircheneinrichtungen leben, schreibt der Verein "Asyl in der Kirche" auf seiner Website.

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Dianas und Success' Abschiebungen sind bis auf Weiteres ausgesetzt: Der Staat dürfte rechtlich gesehen zwar eingreifen, toleriert aber die Entscheidung der Kirche und deren Entscheidung, Kirchenasyl zu vergeben, so "Asyl in der Kirche" weiter. Doch Diana und Success wollen nicht nur die vorübergehende Sicherheit. Sie wollen sich in Deutschland frei bewegen können.

In Dianas und Success' Herkunftsländern sind homosexuelle Handlungen verboten

Success sagt, sie wisse seit ihrer Kindheit, dass sie auf Frauen steht. Doch in Nigeria ist Homosexualität illegal: In den nördlichen Bundesstaaten riskieren Schwule und Lesben den Tod durch Steinigung. 2014 trat ein Gesetz in Kraft, das selbst einfache Treffen unter gleichgeschlechtlichen Homosexuellen verbietet. Auch in Uganda stehen homosexuelle Handlungen unter Strafe. Medien outen dort Schwule und Lesben, Kirchen rufen zu Lynchmorden auf, der Präsident Yoweri Museveni bezeichnete Homosexualität im vergangenen Sommer als "Zwang aus dem Westen".

"Ich konnte in Uganda nie so leben, wie ich es wollte", erzählt Diana. Mit neun habe sie gemerkt, dass sie sich "für Ladys interessiere", als Teenagerin habe sie sich in eine Schulfreundin verliebt. Doch Diana habe Angst gehabt, über ihre Gefühle zu sprechen. Ihre Familie habe versucht, ihr heterosexuelle Beziehungen aufzudrängen und sie schließlich rausgeworfen. Diana sei in den Jahren danach immer wieder verfolgt und angegriffen worden. "Vor vier Jahren hat eine Gruppe auf mich gewartet, um mich zu verprügeln", sagt sie. "Sie haben mir die Zähne ausgeschlagen. Da hatte ich genug." Als Diana Uganda verlässt, ist sie 44 Jahre alt.

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"Ich habe heute zu niemandem aus meinem Leben in Uganda mehr Kontakt", sagt Diana.

Success ist erst 15, als sie aus Nigeria flüchtet. "Ich habe als Kind meinen Vater, meine Mutter und meinen Bruder an einem Tag verloren", sagt sie. Danach sei sie bei ihrer älteren Schwester aufgewachsen und derem Mann, mit dem die Schwester zwangsverheiratet worden war. Als ein Bekannter Success eines Tages anbietet, sie über Libyen nach Europa zu bringen, habe sie zugestimmt. Um ihre Schwester zu entlasten, sagt Success, und um sich selbst eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Doch kurz nach der Flucht aus Nigeria habe der Bekannte im Gegenzug für seine Hilfe eine Forderung gestellt. "Er hat entschieden, dass ich mit ihm schlafen muss", sagt Success. "Dabei wurde ich schwanger."

Ein Poster von Audre Lorde hängt im Kirchenraum

Die meisten Deutschen seien der Meinung, dass Menschen aus afrikanischen Ländern nur aus wirtschaftlichen Gründen flüchten, sagt Diana

Success' Augen wandern durch den Raum, als sie die Eckdaten ihrer Flucht erzählt: Wie sie 2010 in Spanien ankommt, ohne die Sprache zu sprechen. Wie allein und hilflos sie sich im fremden Land fühlt. Wie sie ihre Tochter zur Welt bringt. Und wie die spanischen Behörden ihr das Baby wegnehmen, weil die zu dem Zeitpunkt 16-jährige Success mit dem Kind auf der Straße lebt. Success muss ohne ihr Kind weiter in die Schweiz ziehen, und, als ihr Asylantrag dort abgelehnt wird, weiter nach Bayern. "Meine Tochter ist heute acht Jahre alt", sagt Success, "Ich weiß nicht, wie es ihr geht. Nur, dass sie noch immer in Spanien ist."

Dann atmet sie laut und zitternd aus.

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Das BAMF lehnt die Asylanträge der Frauen ab – weil sie gelogen haben sollen

Menschen, die wie Success und Diana aufgrund ihrer Sexualität in Gefahr sind, haben laut der Genfer Flüchtlingskonvention einen Anspruch auf Schutz. Ob die unterzeichnenden Länder einzelnen Personen Asyl gewähren, entscheiden Behörden wie das BAMF aber erst, nachdem sie den Fall geprüft haben. Im Asylgesetz heißt es, Bewerber und Bewerberinnen müssen vortragen, weshalb sie verfolgt werden oder warum sie in ihrem Herkunftsland in Gefahr sind. Sachbearbeitende sollen daraufhin entscheiden, ob die Angaben lückenlos erzählt und glaubhaft sind. Bei Success und Diana waren sie es offenbar nicht.

Tatsächlich haben die beiden Frauen nicht in jeder Anhörung dieselbe Geschichte erzählt: Diana sagt, sie habe im ersten Gespräch mit dem BAMF erklärt, dass sie wegen ihrer Homosexualität verfolgt werde. Beim zweiten Termin habe sie angegeben, dass sie in Uganda zwangsverheiratet werden sollte. Bei Success war es andersrum: Erst in ihrer zweiten Anhörung sagte die Nigerianerin, dass sie lesbisch ist und deswegen geflohen war.

Das BAMF äußert sich gegenüber Journalisten grundsätzlich nicht zu einzelnen Fällen. Für die Behörden scheint aber die fehlende Kohärenz in den Erzählungen von Success und Diana ein Zeichen dafür zu sein, dass die Frauen ihre Homosexualität als Vorwand nutzen – oder sogar erfunden haben. Doch so einfach ist es nicht.

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Diana und Success in der Kirche

Diana und Success sagen, dass sie sich teilweise nicht einmal vor den Übersetzenden outen konnten

In den Unterkünften und Ankerzentren, in denen das BAMF Success und Diana untergebracht hatten, lebten die Frauen auf engstem Raum mit anderen Geflüchteten aus afrikanischen Ländern. "Es war riskant, vor den anderen Nigerianern offen mit meiner Homosexualität umzugehen", sagt Success. Auch Diana habe Angst gehabt, dass die anderen Bewohnerinnen sie ächten oder angreifen würden. Nicht einmal mit ihrer Dolmetscherin, einer anderen Uganderin, habe Diana offen kommunizieren können. "Sie hat mir auf Luganda gesagt, ich würde lügen", sagt die 48-Jährige. Diana denkt, dass viele Übersetzende Homosexuellen gegenüber nicht neutral seien. "Und das spiegelt sich auch darin wieder, wie sie uns bei der Anhörung unterstützen."

Lesbische Asylbewerberinnen werden in den Unterkünften kaum geschützt

Die Ausländerbehörde ist gesetzlich dazu verpflichtet, lesbische oder schwule Asylbewerberinnen und Asylbewerber so unterzubringen, dass sie geschützt sind. Doch allein in München gab es 2017 nur zwei Unterkünfte für besonders schutzbedürftige Frauen. Aktivistinnen kritisieren, lesbische Geflüchtete seien nicht nur homofeindlichen, sondern auch sexistischen Gefahren ausgesetzt. Das führe dazu, dass die Geflüchteten nicht offen über ihre Fluchtursachen sprechen können.

Denn selbst wenn die Asylbewerberinnen in den Anhörungen des BAMF von Anfang an dieselbe Geschichte vorlegen, bedeutet das nicht, dass die Sachbearbeiterinnen ihnen die Aufenthaltsgenehmigungen auch automatisch hinterherwerfen: Diana und Success berichten von Frauen, die kein Asyl bekommen haben, weil sie Kinder aus früheren Beziehungen oder aus Vergewaltigungen haben. Von Bekannten, die vor Gericht Sexvideos von sich mit anderen Frauen vorgelegt hätten, damit man sie ernst nehme. Und von Freundinnen, denen die Beamte gesagt haben sollen: "Du kommst aus Uganda? Wahrscheinlich erzählst du uns gleich, dass du lesbisch bist."

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Asyl in der Kirche Poster

Diana und Success leben aktuell im Kirchenasyl, ihre Abschiebung ist ausgesetzt

Die meisten Deutschen seien der Meinung, dass Menschen aus afrikanischen Ländern nur aus wirtschaftlichen Gründen flüchten, sagt Diana. Lebensgeschichten wie die von ihr oder Success würden dabei außer Acht gelassen werden. Das beeinflusst ihrer Meinung nach das gesamte Asylverfahren. "Allein durch dieses Vorurteil ist es schwer, bei der Anhörung etwas anderes glaubhaft zu machen", sagt sie.

"Wenn ich könnte, würde ich meine Partnerin heiraten"

In dem kleinen Büro in der ersten Etage der Kirche hallt es, wenn Success und Diana über die Borniertheit der deutschen Bürokratie lachen. Aktuell warten sie darauf, dass ihre Fälle vor Gericht neu verhandelt werden. Entscheidet der oder die Richterin zu ihren Gunsten, sind die Beschlüsse des BAMF obsolet. Bis dahin sind die beiden im Kirchenasyl sicher. Ob sie wohl im Gericht Sex haben müssen, damit man ihnen ihre Homosexualität abnimmt, scherzen Diana und Success. "Wahrscheinlich würden sie uns sofort glauben, wenn wir sagen würden, dass wir bei Boko Haram sind", sagt Success. Wieder lachen sie laut.

Die beiden sind mittlerweile Aktivistinnen geworden. Im vergangenen April drehen Success und Diana zusammen mit anderen lesbischen Geflüchteten ein YouTube-Video. Es ist ihr erstes öffentliches Coming-out. Im Sommer feiern sie gemeinsam mit anderen lesbischen Geflüchteten aus Uganda und Nigeria bei der Münchner Gay Pride. Sie halten Banner mit sich überschneidenden Venus-Symbolen für lesbische Liebe in den Händen, tragen Aufkleber der Beratungsstelle, in der sie sich kennengelernt haben, auf dem Shirt und regenbogenfarbene Blumenketten um den Hals. Die Beratungsstelle, sie heißt LeTRa, hilft Success und Diana auch dabei, eine Petition zu erstellen. Die Forderung: Bleiberecht für die Frauen.

Man sieht Diana und Success an, dass Interviews mit Journalistinnen nicht wirklich zu ihren liebsten Beschäftigungen gehören. Success sagt, sie wünsche sich einen Job in einem Hotel und eine Frau, die sie versteht und unterstützt. Diana möchte ihr Leben wieder unabhängig von der Ausländerbehörde gestalten können und sobald wie möglich ihre Partnerin heiraten. Aber wann das tatsächlich möglich sein wird, weiß aktuell niemand.

"Wir sind nicht frei, und das muss aufhören", sagt Success. Dann zieht sie sich einen grauen Rollkragenpulli über den Kopf – und ein Oberteil, von dem die gleichen Medusa-Köpfe herabstarren wie von ihren Leggings. "Es gibt so viele Frauen, die in der gleichen Situation sind wie wir. Deshalb müssen wir für sie mitkämpfen."

Update vom 30. Januar 2019 – 11:45 Uhr: In einer früheren Version haben wir über den Sex zwischen Success und ihrem Bekannten eine Zuschreibung gewählt, die laut Success nicht zutrifft. Außerdem handelte es sich bei der erwähnten Dolmetscherin nicht um eine Ghanaerin, sondern eine Uganderin. Success und Diana wurden vom BAMF, anders als in einer früheren Version geschrieben, nicht in einem Ankerzentrum untergebracht. Wir haben die Stellen entsprechend korrigiert.

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