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Musik

Wem gehört der Donaukanal?

Nach Pink kommt Grün: Die Parteien haben den Donaukanal und den Kampf um den öffentlichen Raum für sich entdeckt.

Wenn man schon ein paar Jahre hier lebt, merkt man es ja gar nicht mehr so. Aber Wien ist grundsätzlich ein ziemlich nettes Ziel für einen Städtetrip. Dementsprechend kam es, dass ich vor einigen Wochen meinen ehemaligen Noisey Deutschland-Kollegen und seine Frau durch die Wirren des Ersten Wiener Gemeindebezirks führte. Natürlich auch über den Schwedenplatz runter zum Donaukanal. Der stand nämlich im Reiseführer der beiden.

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Die leichte Enttäuschung der beiden, als sie bei 2° Celsius und mangelnder Romantik vor trübem Wasser und viel Beton standen, versuchte ich dann mit folgendem Satz zu lindern: „Ja, eh. Aber ihr könnt euch nicht vorstellen, wie das hier im Sommer ausschaut." Ein paar Tage nach dieser Episode habe ich diesen Text hier für unsere Schwesterplattform Noisey geschrieben.

Seitdem ist einiges passiert: Das 22°-Fest des Knartz-Mobils ist ziemlich erfolgreich über die Bühne gegangen, das Down Under The Bridge Festival ebenfalls, wenn auch mit deutlich weniger als den 12.000 Besuchern, die beim Event zugesagt hatten. Aber wir wissen ja eh—Facebook-Events sind trügerisch, seit [den neuesten Änderungen](Der Kampf um den öffentlichen Raum wird im Wiener Wahljahr relativ erbittert geführt werden, auch durch politische Initiativen. Wir bleiben da natürlich dran. Aber wir können jetzt schon mal sagen: Wenn sich die Leute—sei es Tanz durch den Tag, Singer/Songwriter oder ein Neos-Mobil—, die den Raum nutzen wollen, mit ihren Mitteln zu Wort melden, ist das eine gute Sache. Auch weil sie dabei vielleicht Worte benutzen, die Leute in ihrer Altersklasse verstehen. Denn wenn die Architektin Gabu Heindl, die die Gestaltungsleitlinien für den Wiener Donaukanal erarbeitet hat, das Sky & Sand-Projekt ablehnt, weil es „die einzige in der Sonne liegende, zentrale noch nicht kommerzialisierte Wiesenfläche in der urbanen Mitte des Donaukanals) sogar mehr denn je. Und weil jetzt auch schon die nächsten auch die nächsten Events angekündigt wurden, halte ich es für eine gute Idee, den Text auch hier nochmal zu bringen und mit einigen Gedanken zu ergänzen.

Immer irgendwann im April, wenn das Thermometer in Wien über 20° klettert, erwacht der Donaukanal wieder aus seinem Dornröschenschlaf. Die zahlreichen temporären Gastrobetriebe schlagen wieder ihre Zelte auf, die 30-Jährigen trinken wieder überteuerte Caipirinhas und die 16-Jährigen kehren vor das Flex zurück. Leute hängen herum, trinken Dosenbier und schmusen. Schöne Sache eigentlich. Im Sommer gehört der Donaukanal den Wienern beziehungsweise den Wienern und den Zugezogenen, die sie erdulden. Jetzt nutze ich mal ein journalistisches Stilmittel, das im VICE-Kontext eigentlich streng verboten ist, und cutte meinen Text mit einem Einschub: Moment mal—gehört er ihnen wirklich?

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Die halbwegs Gescheiten wissen jetzt bereits, worum es gehen wird: den Kampf um den öffentlichen Raum. Die Frage „Wem gehört die Stadt?" ist eine der zentralsten Fragen der letzten, aber auch der nächsten zehn Jahre. Und damit ist gar nicht mal der Kampf um besetzte Häuser oder Mietspekulanten gemeint, sondern die Frage, inwieweit öffentlicher Raum uns allen gehört oder Exklusion vertretbar ist. Dieses Problem stellt sich in jeder größeren oder kleineren Stadt irgendwann. In der Bundeshauptstadt ist es aber am präsentesten—nicht nur, weil man dort gerade mehrere Stadtviertel wie die Seestadt oder das Sonnwendviertel am Reißbrett kreiert.

Wien hat da in den letzten Jahren jedenfalls nicht nur negative Schlagzeilen gemacht. Mit dem Museumsquartier hat man einen allgemein akzeptierten semi-öffentlichen Raum geschaffen, von dem sich einige andere Städte eine Scheibe abschneiden könnten. Klar, da sind viele Touristen. Aber die Stadt wäre ohne die Möglichkeit, im Sommer auf einem Enzi (das offiziell nicht mehr so heißt, aber egal) sitzen und ein Dosenbier trinken zu können, schon eine ganze Stange ärmer. Und dass das MQ nicht nur seiner Verwaltung, sonder auch den Wienern gehört, hat man am vergeblichen Versuch sehen können, dort selbst mitgebrachte Getränke zu verbieten.

Die Auseinandersetzung ist hochpolitisch und wird auf mehreren Ebenen ausgetragen.

Der Donaukanal nimmt ein bisschen eine Sonderstellung ein, weil er relativ jung, relativ untouristisch und relativ zentral ist. Und weil sich viele Leute noch an die Zeit erinnern können, als sie mit Weinflaschen vor dem Flex gesessen sind. Aber der Donaukanal ist mit seiner Gastro-Lastigkeit eben auch ein Symbol für die Privatisierung des öffentlichen Raums und dementsprechend auch ein idiologischer und praktischer Kampfplatz.

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Das Ziel der zuständigen MA 19 (Architektur und Stadtgestaltung) ist die Wahrung einer „guten Balance zwischen konsumfreier und kommerzieller Nutzung." Eh, Balance wollen wir alle. Aber darunter versteht halt jeder etwas anderes. Es ist ja gar nicht mal so, dass alle Gastro am Donaukanal scheiße wäre. Es gibt ein paar großartige, teilweise temporäre Lokale dort, die von Menschen betrieben werden, die sicher keine finsteren Absichten verfolgen. Aber trotzdem ist jeder Gastronomiebetrieb mit Hausrecht eine kommerzielle Zone, die dem frei zugänglichen Raum abgerungen wird. Wortwörtlich sogar: Es gibt nämlich konsumfreie Zonen, die immer weiter eingeschränkt werden. Und das sorgt für Kontroverse. Die Kollegen vom Standard haben im Februar gleich zwei Projekte publik gemacht, die den Donaukanal betreffen. Zum einen das geplante Sky & Sand, ein Gastro-Projekt mit 800 Sitzplätzen nördlich des Tel Aviv Beachs, zum anderen die „Schwimmenden Gärten", also die Überplattung und Begrünung der Kaiserbadschleuse auf Höhe des Flex. Man kann an den Sinnhaftigkeit der Projekte zweifeln, aber sie stehen jeweils grob für die beiden Pole der Bedürfnisse, die am Donaukanal zerren.

Wer am Donaukanal veranstalten will, muss sich mit der berüchtigten MA 36 (Veranstaltungswesen) herumschlagen. Es sei denn, er oder sie bedient sich eines Schmähs, der schon bei der Love Parade jahrelang funktioniert hat und meldet die Veranstaltung als politische Kundgebung an. Womit wir dann auch gleich beim Thema wären. Die Auseinandersetzung um den Donaukanal ist eine hochpolitische, und als solche wird sie auf mehreren Ebenen ausgetragen. Zum einen kann man natürlich jedes frei zugängliches Festival mal als Symbol, als kleinen Wien Hack gegen die Konsumgesellschaft lesen. Und als Versuch, den öffentlichen Raum für die Öffentlichkeit zurückzugewinnen. Zumindest die Freetekk-Szene würde das ganz klar für sich in Anspruch nehmen. Klar, man läuft Gefahr, Veranstaltungen, auf denen primär gefeiert wird, viel zu sehr zu romantisieren. Aber ein bisschen Romantik ist in Ordnung. Die Alternative ist die semi-öffentliche Konsumzone. Da darf man ruhig ein bisschen reingrätschen.

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Dieser Kampf wird im Moment auch immer mehr zum Teil des beginnenden Wiener Wahlkampfs. Das Knartz-Mobil, das hinter der 22°-Feier stand, kommt aus dem Neos-Umfeld, genauer gesagt aus dem Umfeld vom Nationalratsabgeordneten Niko Alm (Transparenzhinweis: Alm war bis 2013 VICE-Herausgeber und ist immer noch Geschäftsführer von VICE CEE). Auch wenn es nach der Feier eine kleinere Diskussion darüber gab, ist das eigentlich kein Geheimnis. Es steht im Impressum und auch immer am Knartz-Mobil selbst.

Am Ende wird man sich wohl gegenseitig brauchen: Die Parteien die Leute, für die kraftvollen Bilder, und die Leute die Parteien, weil es hier nun mal um politische Entscheidungen geht.

Und nach Pink kommt jetzt Grün: Die Grünen Leopoldstadt haben ein sehr ähnliches Drink-In-Event angekündigt, um eben gegen oben erwähntes Sky & Sand-Projekt zu protestieren. Die Parteien haben Skrupel, die Events zu totalen Partei-Veranstaltungen zu machen. Deshalb kam das Neos-Pink bei 22° vor, aber nicht der Name, und die Grünen ihre Veranstaltung auch „Der Donaukanal gehört DIR!". Die Skrupel sind wohl berechtigt, denn vor einen Partei-Karren mag sich nicht jeder Raver spannen lassen.

Es ist halt auf beiden Seiten ein verdammt schmaler Grat, auf dem man sich bewegt: Alle haben ein gemeinsames Ziel, nämlich den Donaukanal zumindest teilweise als öffentlichen Raum zu erhalten—das ist etwas, das sowohl die Grünen als auch die jüngeren Neos glaubwürdig vertreten. Die Parteien wollen einen eventuellen Erfolg natürlich politisch für sich beanspruchen, was legitim ist. Die jungen Wiener, die bei solchen Veranstaltungen tanzen, wollen ersteres auch—letzteres vermutlich eher weniger.

Aber letztlich wird man sich wohl gegenseitig brauchen. Die Parteien brauchen die Leute, weil so etwas hier deutlich kraftvollere Bilder sind als 50 Neos-Mitglieder, die sich mit einem Schild aufstellen. Und die Leute brauchen die Parteien, weil das Verhältnis zwischen Konsum- und öffentlicher Zone letztlich eine politische Entscheidung ist. Und politische Initiativen laufen in Wien halt über diese. Der politische Charakter einer Tanz durch den Tag-Veranstaltung ist außerdem medial schwer zu vermitteln. Grundsätzlich ist es immer gut, wenn Menschen dafür kämpfen, dass der öffentliche Raum der Öffentlichkeit zugute kommt. Und irgendwie ist es auch positiv, wenn Parteien lernen, eine eher politikferne Altersklasse in ihrer Sprache anzusprechen. Denn wenn die Architektin Gabu Heindl, die die Gestaltungsleitlinien für den Wiener Donaukanal erarbeitet hat, das Sky & Sand-Projekt ablehnt, weil es „die einzige in der Sonne liegende, zentrale noch nicht kommerzialisierte Wiesenfläche in der urbanen Mitte des Donaukanals" belegen soll, mag das richtig sein. So wirklich kommunizierbar ist das nicht.

Da Jonas sich nicht mehr von seiner Couch erhebt, ist sein öffentlicher Raum primär Twitter: @L4ndvogt