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Ist die Berichterstattung der ‚Bild‘ zu Griechenland volksverhetzend?

Das Lower Class Magazine ruft dazu auf, die ‚Bild' wegen Volksverhetzung anzuzeigen. Wir haben einen Anwalt gefragt, ob das überhaupt möglich ist.
Screenshot: Bildblog

Die Bild-Zeitung war noch nie für besonders vielschichtige Berichterstattung bekannt. Auch dass die Zeitung sich schnell eine Meinung bildet und die dann offensiv in ihren Schlagzeilen vertritt, ist kein neues Phänomen. Seit Beginn der Griechenland-Krise zeigten sich aber selbst langjährige Beobachter überrascht, wie aggressiv die Bild sich auf die vermeintlichen Fehler „der Pleite-Griechen" in der Krise einschoss.

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Aber während die Bild sich vor Kurzem selbst eine ganze Doppelseite widmete, um sich zur kompromisslosen Haltung zu gratulieren („BILD hat immer gewarnt…), sehen viele Beobachter die Berichterstattung deutlich kritischer. Als „häufig einseitig, bösartig und verletzend" beschrieb sie die Medien-Seite meedia.de, der Medienjournalist Stefan Niggemeier bezeichnete sie schon 2011 als „Form von Volksverhetzung".

Diesen Vorwurf hat sich jetzt das linke Lower Class Magazine zu Herzen genommen und dazu aufgerufen, die Bild-Zeitung anzuzeigen. Zur Begründung heißt es:

Die „Berichterstattung" der Bild, einmal ganz abgesehen davon, dass sie interessengeleitet ist, keinerlei journalistischen Kriterien entspricht und selbst der Titel „Propaganda" ein Euphemismus wäre, erfüllt unserer Ansicht nach einen Straftatbestand, und zwar den der „Volksverhetzung". Deshalb bitten wir euch, wenn sich jemand findet, Strafanzeige zu stellen.

Weiter schreiben die anonymen Autoren: „Diese Berichterstattung hat System und es ist unübersehbar, dass hier wissentlich und willentlich Ressentiments geschürt werden, um die Auflage hochzuhalten. Dass sie in einer Zeit ohnehin zugespitzter Konflikte Ressentiments gegen … ‚die Griechen', schürt … sollte die Strafverfolgungsbehörden interessieren."

Man merkt sowohl bei Niggemeier als auch beim Lower Class Magazine, dass sie über den Ton und die Methoden der Bild ernsthaft wütend sind. Aber reicht das aus, um die Zeitung zu verklagen? Wir haben den Anwalt für Strafrecht Udo Vetter angerufen, um herauszufinden, wie das ganze aus juristischer Sicht aussieht.

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Udo Vetter bei der re:publica. Foto: re:publica | Flickr | CC BY 2.0

VICE: Herr Vetter, was halten Sie von den Vorwürfen?
Udo Vetter: Zu den Vorwürfen gegen die Bild-Zeitung kann ich natürlich wenig sagen. Das ist Geschmacksache, was die Bild-Zeitung schreibt. Aber aus strafrechtlicher Sicht: Da ist vorne und hinten nichts dran.

Wieso?
Was die fordern, das liest sich erstmal gut, aber der Blick ins Gesetz zeigt: Das reicht nicht. Die Autoren dieses Aufrufs kennen sich mit dem Straftatsbestand des 130 StGb offensichtlich weniger aus, als sie den Eindruck zu erwecken versuchen.

Können Sie das erklären?
Dieser Paragraph hat ja unterschiedliche Punkte. Erstmal der erste: Da steht zwar „nationale Gruppe", aber die darf natürlich nicht im Ausland leben. Solche Aufrufe können keine Volksverhetzung sein, wenn sie sich gegen Bevölkerungsgruppen im Ausland richten. Es geht ja nicht um die Griechen, die in Deutschland leben. Also ist schon die Strafnorm als solche überhaupt nicht anwendbar. Wenn die Bild jetzt gegen die jüdischen Mitbürger hier in Deutschland hetzen würde, wäre das eine ganz andere Dimension.

Die nächste Hürde ist, dass „Bevölkerung" nicht eine Nationalität im engere Sinne meint. Und in der Rechtswissenschaft besteht Einigkeit darüber, dass es wohl kaum denkbar ist, den Straftatsbestand der Volksverhetzung zu erfüllen, wenn man die Mehrheit einer Bevölkerung verächtlich macht. Weiterhin kommt dazu, dass in keinem der Berichte, die dort zitiert wurden, zu Hass, Gewalt oder Willkürmaßnahmen aufgerufen wurde.

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Wenn das mit der Volksverhetzung also scheitert, kann man der Bild sonst irgendetwas strafrechtlich Relevantes vorwerfen? Beleidigung?
Das Problem ist, auch bei Beleidigungsdelikten—wie Verleumdung und übler Nachrede—brauchen wir sozusagen ein Opfer. Eine konkrete Person könnte zum Beispiel der griechische Finanzminister sein.

Und eine Überschrift, die dem Finanzminister eine „irre Griechenlogik" unterstellt? Wäre das eine Beleidigung?
Da würden Sie noch nicht mal am Landgericht Hamburg was reißen können, weil das noch keine Beleidigung ist. Das sind starke Worte, das sind überspitzte Worte, aber das ist Teil der journalistischen und auch politischen Auseinandersetzung.

Screenshot: Lower Class Magazine

Man könnte die Aussage, die Logik „der Griechen" sei „irre" aber schon als rassistisch empfinden.
Das mag sein, aber das ist nicht das, was das Gesetz meint. Zu der Aussage muss man ja auch noch zu Gewalt, Hass oder Willkürmaßnahmen aufgerufen werden. Und Beleidigung ist auch dann erst gegeben, wenn dadurch die Menschenwürde der Anderen angegriffen wird. Es müsste zum Ausdruck kommen, dass die Bild-Zeitung die Griechen als „Untermenschen" betrachtet.

Ich bin auch kein Freund der Bild-Zeitung. Aber die Debatte über die Rolle der Massenmedien kennt man schon aus der Weimarer Republik. Die Bild unterliegt ja auch dem Schutz der Pressefreiheit. Und im Grundgesetz steht nirgendwo drin, dass Berichterstattung nicht pointiert oder zuspitzend sein darf.

Man kann das mit der Klage also getrost vergessen?
Das Problem, das die Autoren dieses Textes nicht verstehen, ist: Das Strafrecht ist kein Mittel der politischen Auseinandersetzung. Das Strafrecht ist immer nur ultima ratio. Wo kämen wir denn auch hin, wenn pointierte Berichterstattung mit den Mitteln des Strafrechts verfolgt werden würde?

Finden Sie also, dass solche Vorwürfe den Begriff der „Volksverhetzung" verwässern?
Na ja, das Strafrecht sollte nicht instrumentalisiert werden. Insbesondere sollten alle, die sehr schnell „Volksverhetzung" rufen, sich darüber im Klaren sein, dass das immer ein kleiner Angriff auf die Meinungsfreiheit in unserem Land ist. Auch wenn man vielleicht persönlich zu Recht empört ist: Man muss auch Dinge aushalten, die einem vielleicht nicht gefallen. Die Meinungsfreiheit kann sich ja nicht nur am Mainstream definieren, sondern an ihren Extremen. Sonst ist es ja keine Freiheit mehr.