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Wir haben unsere Eltern gefragt, ob unser Leben bisher nach ihren Vorstellungen verlaufen ist

"Wie habt ihr euch mein Leben vorgestellt, als ich ein Kind war?" – "Ich habe dir auf jeden Fall etwas Besseres gewünscht als das, was du jetzt hast."

Foto: Petr Kratochvil | Public Domain

Es ist zwar ziemlich schwer vorstellbar, aber Eltern sind auch nur Menschen. Sie waren schon Menschen, bevor es dich gegeben hat. Sie waren auch schon Menschen, als du zwar existiert hast, aber noch keine richtige Person warst. Als du auf die Welt kamst, hatten sie Hoffnungen und Träume für deine Zukunft. Sie sahen sich den zappelnden Kotgenerator an, der du damals warst, und fragten sich, was du wohl für ein Mensch werden würdest—welche Talente du haben würdest und ob du schlau, witzig, glücklich und lieb sein würdest. Was du den Menschen in deinem Umfeld bedeuten würdest. Sie sahen ein unbeschriebenes Blatt, eine Chance, die Verfehlungen ihres eigenen Lebens wiedergutzumachen, das Versprechen einer besseren Zukunft.

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Deine Eltern sind auch Menschen, aber seien wir mal ehrlich: Sie waren früher zutiefst naive Menschen. Inzwischen wissen sie es besser. Natürlich machst du dieselben Fehler, die sie damals gemacht haben, und natürlich wirst du keine Herzchirurgin mit einem perfekten Familienleben und einem perfekt gepflegten Rasen. Wahrscheinlich hast du sogar nicht den blassesten Schimmer, was du mit deinem Leben und deinem Bachelor machen sollst. Du trinkst an den meisten Abenden zu viel—genau wie deine Mama. Aber so lange du glücklich bist, sind sie auch glücklich. Doch bist du das wirklich? Sind sie es?

Wir haben einige Leute in ganz Europa gebeten, mal mit ihren Eltern darüber zu sprechen, ob ihr Leben sich so entwickelt hat, wie ihre Eltern es sich gewünscht haben.

Benn, 23, Großbritannien

Benn arbeitet in einem Callcenter.

Benn: Also, hattet ihr euch das so vorgestellt, dass ich mal in einem Callcenter arbeite?
Benns Papa: Um ehrlich zu sein, und wie du ja auch weißt, warst du von uns nicht geplant. Ich habe mich kein bisschen bereit für dich gefühlt, also bin ich jetzt einfach glücklich, dass du 23 bist und noch nicht im Reality-Fernsehen zu sehen warst. Es ist schon ein bisschen bekloppt, dass du deine O Levels geschmissen hast, oder was das war. [Das "O Level" ist im britischen Schulsystem der einfache Abschluss der Sekundarstufe.]

Es waren die A Levels [die fortgeschrittenere Hochschulreife].
Ja, alles dasselbe. Du bist 23 und schlauer als ich—außerdem verdienst du ungefähr so viel wie ich, also sage ich: gut gemacht.

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Was hattest du dir vorgestellt, was ich in diesem Alter machen würde?
Ich wollte immer, dass du aufwächst und etwas tust, womit man schnell reich werden kann—ein Job im Finanzsektor oder so. Denn wenn du etwas machst, wo man schon 50 ist, bis man es mal "geschafft" hat, dann werde ich zu alt sein, um mich darum noch zu scheren. Ich hatte nie wirklich ein Plan für dein Leben. Du hast es alleine auf die Grammar School [anspruchsvolle Sekundärschule, entspricht etwa dem Gymnasium] geschafft, und darauf war ich immer stolz. Eigentlich ist es in so gut wie jeder Hinsicht ein Geschenk zu sehen, was du mit deinem Leben anfängst.

Was wünschst du mir für die Zukunft?
Ich bezweifle ja, dass es dir überhaupt wichtig ist, was ich will. Sei einfach glücklich, hab genug Geld, häufe keine Schulden an, und mach mir vielleicht eines Tages ein hässliches Enkelkind.

Isa, 38, Spanien

Isa spielt Bass und singt in der Band Triángulo de Amor Bizarro.

Isa: Wie hast du dir früher mich als Erwachsene vorgestellt?
Isas Mama: Ich habe dich mit der Freiheit erzogen, deine eigenen Entscheidungen zu treffen. Ich habe dir immer gesagt, dass du alles werden kannst, was du willst, aber dass du arbeiten und auf dich achtgeben musst. Wir haben keine Verbindungen zur Regierung und du bist auch keine Erbin. Unsere Familie hat sich immer der Fotografie gewidmet, also bin ich wahrscheinlich davon ausgegangen, dass du dich auch dafür interessieren würdest.

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Was hältst du davon, was ich jetzt mache?
Ich hätte mir niemals ausgemalt, dass du einmal von der Musik leben würdest. Vielleicht als Hobby, ja, aber nicht mehr. Ich dachte immer, das sei Leuten mit extrem viel Glück vorbehalten, die ohnehin schon Geld haben. Ich denke, du hast großes Glück. Und die Musik, die ihr spielt, ist nicht besonders kommerziell, aber ich fand die Songs auf eurem letzten Album wirklich schön. Es zeigt auch, wie viel du gewachsen bist und wie hart du daran gearbeitet hast—du warst eine Zeit lang so nervös und unerträglich deswegen, dass ich dich kaum danach fragen wollte.

Bist du enttäuscht? Überrascht?
Ach, das habe ich dir doch jetzt schon erklärt! Ich muss los, ich muss den Kuchen und den Hund zu Oma bringen. Vergiss nicht, wir essen um halb drei.

Munchies: Deine Eltern sind an deiner Kaffeesucht schuld

Andrada, 27, Rumänien

Andrada ist Doktorandin in bildender Kunst und arbeitet in einer Kunstgalerie.

Andrada: Als ich zur Welt kam, wie hast du dir da meine Zukunft vorgestellt?
Andradas Mama: Es gibt einen rumänischen Brauch namens "tăierea moțului", bei dem das Haar des Babys zum ersten Mal geschnitten wird. Das wird am ersten Geburtstag gemacht. Der Brauch schreibt vor, dass man dem Baby ein Tablett mit verschiedenen Gegenständen präsentiert, und dann wählt es drei Dinge aus, die angeblich vorhersagen sollen, was das Kind mit seinem Leben anfangen wird. Ich habe diesen Brauch bei dir auch befolgt. Erst hast du Geld gewählt, dann einen Taschenrechner und als Letztes einen Kugelschreiber. Also dachte ich immer, dass Geld, Computer und Schreiben eine wichtige Rolle für deine Karriere und deine Persönlichkeit spielen würden.

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Hast du dir gewünscht, dass ich einen bestimmten Beruf ergreife?
Ich wollte, dass du zu einer kultivierten Person wirst—dass du liest, lernst und dein Wissen an Andere weitergibst.

Heißt das, du bist glücklich über meine bisherige Entwicklung?
Ich denke, du befindest dich auf einem Weg, der zu deinen Ambitionen, deiner Persönlichkeit und deinen Träumen passt. Ich bin froh über das, was du erreicht hast, aber das ist weniger wichtig. Was wirklich zählt, ist, dass du glücklich und zufrieden damit bist, was du tust und wer du bist.

Micha, 31, Deutschland

Foto: Katja Bartolec

Micha ist Musiker sowie geschäftsführender Gesellschafter bei einem IT- und Marketing-Start-up.

Micha: Was hast du dir für mein Leben und meine Karriere gewünscht, als ich ein Kind war?
Michas Mama: Am Anfang natürlich der Wunsch einer jeden Mutter, dass du ein gesundes und glückliches Leben haben wirst. An deine berufliche Zukunft dachte ich da noch lange nicht. Das kam dann erst so ab der siebten Klasse. Was deine Musik angeht, da war mir klar, dass diese dich dein ganzes Leben begleiten wird. Sicher habe ich mir gewünscht, dass du damit vielleicht dein Geld verdienen kannst, aber du solltest schon auch noch ein zweites Standbein haben. Umso mehr habe ich mich gefreut, als du dann Tontechnik studieren wolltest.

Habe ich dich irgendwann enttäuscht?
Na ja, da waren schon auch mal Zeiten, in denen ich nicht gerade stolz auf dich war. Zum Beispiel, als du mit 15 angefangen hast zu kiffen oder als ich dich sturzbetrunken am Bahnhof abgeholt habe. Aber das waren zum Glück immer nur zeitlich begrenzte "Ausraster". [Lacht] Wirklich enttäuscht hast du mich nie.

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Und habe ich dich irgendwann mit meiner Lebensweise aufgeregt oder dir Sorgen gemacht?
Als du bei einem Unfall deinen rechten Arm verloren hast und fast gestorben bist, kam ich fast um vor Sorge. Als sicher war, dass du es schaffst, war es besser, aber die Sorge, wie du es schaffst, damit fertig zu werden, dass dein Arm nicht gerettet werden konnte, war schrecklich. Die Musik und deine Gitarre waren dein Leben, es gab keinen Tag, an dem du nicht gespielt hast. Ein oder zwei Tage, nachdem du aus dem Koma aufgewacht bist, hast du mir erklärt: "Was bringt es mir, wenn ich mich in die Ecke setze und mich selbst bemitleide? Es ist wie es ist und ich muss das Beste daraus machen." Kurze Zeit später, noch im Krankenhaus, wolltest du dann deine Gitarre und hast sofort wieder angefangen zu spielen—mit einer Hand. In diesem Moment war ich so unfassbar glücklich und stolz auf dich!

Sonia, 25, Italien

Sonia studiert Architektur und schreibt für Noisey Italien.

Sonia: Welche Erwartungen hattest du, als ich noch ein Baby war?
Sonias Mama: Dein Vater und ich haben wirklich unser Bestes gegeben, damit du zu einer starken und unabhängigen Frau heranwächst, die mal einen guten Job bekommt. Was die Liebe angeht, habe ich mir eigentlich keine großen Gedanken gemacht, als du noch ein Kind warst. Ich habe einfach nur gehofft, dass du aufgrund einer Beziehung niemals leiden wirst. Irgendwo wusste ich aber auch, dass das natürlich unmöglich ist. Also habe ich mir gewünscht, dass du davon nicht irgendwie traumatisiert wirst.

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Welche anderen Wünsche hattest du damals für meine Zukunft?
Ich wollte, dass du Medizin studierst. Oder sagen wir mal so: Das war mein Traum. Ich habe dann auch alles dafür getan, dass dieser Traum Realität wird, aber geklappt hat es trotzdem nicht. Dank dir habe ich jedoch auch neue Dinge schätzen gelernt. Hier ein Beispiel: Dein Vater und ich sind in Peru aufgewachsen, aber dich haben wir in Italien großgezogen. So haben wir viele neue Aspekte dieses Landes kennengelernt. Und deshalb sind wir nicht nur Eltern geworden, sondern haben auch eine neue und starke Verbindung zu der Kultur aufbauen können, in der wir nun leben. Wir sind nie davon ausgegangen, dass es möglich wäre, sich voll zu integrieren, aber dank dir wissen wir nun, dass das Gegenteil der Fall ist.

Hast du dich jemals gefragt, ob ich es als Tochter von immigrierten Eltern schwerer haben würde?
Nein, eher das genaue Gegenteil. Die Herkunft von deinem Vater und mir hat dich in deiner Persönlichkeit gestärkt. Vielleicht hast du dich deswegen manchmal etwas unwohl gefühlt, aber meiner Meinung nach lässt dich das Ganze auch kritischer über die Gesellschaft denken—und das finde ich sehr gut. Du hast deinen Hintergrund nie vorgeschoben, um ein Problem oder irgendwelche Ängste zu rechtfertigen. Außerdem hast du dich zumindest vor mir nie über diskriminierende Erfahrungen oder dergleichen beschwert. Ich hoffe, dass du aufgrund der Herkunft deiner Eltern nie ungerecht behandelt worden bist.

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Noisey: "Hilfe, mein Kind hört Deutschrap"

Nils, 25, Niederlande

Nils ist Junior Editor bei VICE Niederlande.

Nils: Als ich jünger war, was hattest du da für Erwartungen für meine Zukunft?
Nils' Mama: Du hast als Kind ständig irgendwelche Sachen geschrieben, und du hast sehr jung lesen und schreiben gelernt. Also habe ich schon früh erraten, dass du in irgendeiner Form Autor werden würdest. Erst letzte Woche habe ich eine Geschichte gefunden, die du geschrieben hast, als du ungefähr acht Jahre alt warst. Sie war wirklich gut geschrieben.

Danke! Würdest du also sagen, dass ich deinen Erwartungen gerecht werde?
Na ja, ich habe eigentlich schon erwartet, dass du dich in der Schule besser machst. Du hast dich sehr gut gemacht, als du jünger warst, aber dein Vater und ich haben uns einige Sorgen gemacht, als du in der Sekundarstufe warst und dann auf die Uni gegangen bist. Ich finde es immer noch schade, dass du dein Studium nicht abgeschlossen hast, aber da du ja jetzt in einem richtigen Büro arbeitest, kann ich mich kaum beschweren.

Du bist nicht enttäuscht von mir?
Als Mama hoffst du einfach, dass dein Baby nicht in der Gosse landet, süchtig nach Alkohol und Drogen. Und du bist ja nicht in der Gosse, oder? Das ist also schon mal gut.

Alexandra, 27, Griechenland

Alexandra ist ausgebildete Schauspielerin und arbeitet im Privatsektor.

Alexandra: Wie habt ihr euch mein Leben vorgestellt, als ich ein Kind war?
Alexandras Mama: Ich habe gehofft, dass du glücklich bist und all deine Ziele erreichst.
Alexandras Papa: Ich habe dir auf jeden Fall etwas Besseres gewünscht als das, was du jetzt hast.

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Wie seht ihr die Dinge, die ich bisher erreicht habe?
Alexandras Mama: Ich finde alles in Ordnung, weil ich sehe, dass du mit deinem Leben und deinen Entscheidungen glücklich bist.
Alexandras Papa: Ich würde sagen, es ist allerhöchstens OK.

Seid ihr stolz auf mich oder enttäuscht von mir?
Alexandras Mama: Ich bin stolz auf dich, aber ich bin auch enttäuscht. Ich bin stolz, weil alle mir immer so schöne Dinge über dich sagen. Aber ich bin enttäuscht, weil du dir dein Leben anders vorgestellt hast, aber dann haben sich deine Pläne und deine Situation geändert. Ich stimme den Entscheidungen, die du aktuell triffst, auch nicht zu.
Alexandras Papa: Irgendwo dazwischen. Du hast eine gute Persönlichkeit und ich denke, wenn die Lage hier in Griechenland besser wäre, dann könnte ich sogar stolz auf dich sein.

Pierre, 28, Frankreich

Pierre ist Kundenberater in einer Bank.

Pierre: Was haltet ihr von dem Menschen, der aus mir geworden ist?
Pierres Mama: Im Laufe der Zeit hast du gelernt, dich durchzusetzen, ob dir selbst oder anderen gegenüber—zumindest sieht es aus, als sei das der Fall. Du siehst aus, als würdest du richtig aufblühen, ob beruflich oder privat, und das ist uns am wichtigsten.

Habt ihr euch jemals gedacht, dass ich einmal in einer Bank arbeite?
Pierres Papa: Tja, als du noch jünger warst, dachten wir immer, dass du einmal etwas Künstlerisches machen würdest. Du warst richtig gut im Zeichnen und im Schlagzeugspielen. Junge, haben wir daneben gelegen!

Macht ihr euch jemals Sorgen um meine Zukunft?
Pierres Mama: Wir denken oft darüber nach, dass wir wirklich nicht gern mit dir tauschen würden. Alles sieht heutzutage so kompliziert und unsicher aus. Als wir jung waren, mussten wir einfach nur Interesse an einem Job zeigen, um zum Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Heute scheint so etwas unmöglich.