Im Duden steht also, was die Bedingungen sind, die ein Narrativ erfüllen muss, um als Verschwörungstheorie durchzugehen: Es muss die Annahme einer Verschwörung sein, die im Gegensatz zur offiziellen Haltung zu einem Geschehnis steht. Würde die Theorie nicht im Gegensatz zur offiziellen Version stehen, wäre sie keine Theorie, sondern allgemein akzeptierter Fakt.Der Putsch in der Türkei war ein Augenblick lang Gegenstand von vermeintlichen Verschwörungstheorien. Was die Thesen um den Putsch in der Türkei allerdings speziell und zu einem spannenden Beispiel macht, ist: Die mittlerweile (im Gegensatz zur Verschwörunsgtheorie Erdogan habe den Putsch orchestriert) gültige Darstellung der Geschehnisse in der Türkei ist gewissermassen ebenfalls eine Verschwörungstheorie. Denn Erdogan legitimiert die seit Wochen vor den Augen der Welt ablaufende "Reinigung" des Staatsapparats mit der vielleicht begründeten, aber sicher nicht abschliessend bewiesenen These, dass eine Gruppe von Gülen-Anhängern diesen gescheiterten Putsch geplant und durchgeführt habe.Wie wahrscheinlich die divergierenden Verschwörungstheorien in diesem Fall sind, kannst du in diesem wohlrecherchierten Artikel von Michael Bonvalot nachlesen."Eine Verschwörungstheorie ist die Vorstellung respektive Annahme, dass eine Verschwörung, eine verschwörerische Unternehmung Ausgangspunkt von etwas sei."
Obwohl Ganser in vielen Bereichen klar als Verschwörungstheoretiker mit gefährlichen Argumentationen eingeordnet werden muss, trifft er mit dieser Aussage einen wunden Punkt der Begriffsverwendung: Es gibt vermutlich Leute, die relativ viel über ein Thema wissen, vielleicht guten Grund haben, eine offizielle Version von Geschehnissen anzuzweifeln und es gibt Menschen, die jeden Scheiss glauben, weil er ihnen die Welt auf eine für sie annehmbare Art und Weise erklärt.Da kann auch die Uni nicht allzuviel dagegen machen, wie mir Prof. em. Dr. Dieter Ruloff erklärt. Gemäss dem emeritierten Professor für Internationale Beziehungen gibt es sehr wohl Akademiker, die sich kritisch mit Verschwörungstheorien auseinandersetzen (wie beispielsweise Nick Redfern in seinem Buch Secret History: Conspiracies from Ancient Aliens to the New World Order). Allerdings sei es eine nicht zu bewältigende und sinnlose Aufgabe, sich an eine systematische Analyse jeglicher Verschwörungstheorien zu machen, weil es einfach zu viele gibt und sie andauernd und praktisch ohne Qualitätshürden produziert und in die Welt gelassen werden können. Er führt als Beispiel den aktuellen amerikanischen Wahlkampf an:"Seit 9/11 wird der Begriff dafür verwendet, Menschen mit einer anderen Analyse mit Spinnern, Pädophilen, Antisemiten und Holocaust-Leugnern in eine Ecke zu stellen."
Wir sehen uns also einem Begriff mit vielen Wirkungen gegenüber. Erstens ist die Verschwörungstheorie eine Kategorie, die mitunter zu Unrecht Thesen vor ihrer akademischen Prüfung in die Kategorie "Humbug" verdammt und zweitens sammelt sich unter dem Begriff ein Korpus oder Genre zusammen, das eine wachsende Anhängerschaft verzeichnet.Der letzten Monat verstorbene deutsche Soziologe H.J. Krysmanski beschreibt das Auftreten von Verschwörunsgtheorien in Intervallen: Seit dem 11. September 2001 befinden wir uns, gemäss Krysmanski, nach dem Faschismus in Italien und Deutschland, der Mc Carthy-Ära und den Theorien um John F. Kennedy und Martin Luther King, wieder in einer Phase der Hochkonjunktur für Verschwörungstheorien.Was gegenüber den letzten "Hype"-Phasen der Verschwörungstheorien neu ist, ist das Internet. Und damit die unbezifferbare Masse an Theorien, die niederschwellig an eine Öffentlichkeit getragen werden können. Früher musste man sich noch indizierte Bücher wie Jan van Helsings Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert reinziehen, um an seinen Fix Weltverschwörung zu kommen, heute ist alles auf YouTube zu finden."Wir wissen, dass Menschen bereit sind, an die wildesten Dinge jenseits aller Fakten zu glauben, es braucht bloss jemand diese Dinge zu behaupten und damit etwas Publizität zu gewinnen; die Multiplikatoren des Medienbetriebes sorgen dann für die Verbreitung. Wir erleben gerade in den USA die eigentlich phantastische Sache, dass man einem Präsidentschaftskandidaten die absurdesten Dinge glaubt und dass sich selbst seriöse Medien damit befassen (und damit diese Dinge auf eine Ebene der Seriosität heben, die ihnen nicht zusteht). Lächerlich, dagegen mit einem Fact Checker angehen zu wollen, man hat von Beginn an verloren."