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sicherheit

LGBTQs erzählen, an welchen Orten in der Schweiz sie sich unsicher fühlen

'Als Student war ich lange in einem geschützten Umfeld. Seitdem ich da draussen bin, merke ich, dass es trotzdem nicht so in Ordnung ist, schwul zu sein.'

Anders als in den meisten EU-Staaten werden Straftaten gegen Homosexuelle in der Schweiz nicht systematisch erfasst. Vor knapp einem Jahr wurde von verschiedenen LGBT-NGOs eine Helpline eingerichtet, bei der sich Opfer von homophoben Attacken direkt melden können.

Doch wie schützt man sich als lesbischer, schwuler oder transsexueller Mensch, so dass es gar nicht erst zu einem Übergriff kommt? Gibt es Orte, die man gar meiden sollte?

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Ich habe bei LGBTs nachgefragt, ob sie sich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung an manchen Orten verstellen müssen, um sich sicher zu fühlen und was es bei ihnen auslöst.

Basil, 23

Foto von der Autorin

VICE: Hast du in der Öffentlichkeit manchmal Angst, weil du homosexuell bist?
Basil: Kommt auf die Tageszeit an und wie ich grad aussehe. Wenn ich so rumlaufe wie auf dem Foto, fühle ich mich immer wohl. Auf der Arbeit verwandle ich mich aber in ein ausserirdisches Wesen. Ich bin Selekteur im Klaus, einem elektronischen Musikklub nur für Mitglieder an der Langstrasse. Für die Besucher ist meine Verkleidung eine Bereicherung, zum Teil haben sie mehr Respekt vor mir. Es ist auch gut, dass sie mich im Alltag nicht erkennen, weil du als Türsteher teilweise aufs Übelste beschimpft wirst.
Je nach dem, was für Leute unterwegs sind, fühle ich mit Verkleidung im öffentlichen Verkehr oder an Bahnhöfen unwohl. Wenn am Wochenende im Tram irgendwelche Proleten sind, denke ich mir manchmal, ich hätte lieber ein Uber genommen. Ich habe aber genug Selbstbewusstsein, um negative Reaktionen wegzustecken.

Erzähl mir von deinem Coming-Out.
Ich hatte nie wirklich eines und hätte es auch gar nicht zur Diskussion kommen lassen, weil es halt einfach so ist. Ich habe Glück mit meinem Freundeskreis und bin dadurch auch nie wirklich in der Gay-Szene gelandet. Bei meinen Leuten kann ich einfach immer Basil sein, der etwas anders rumläuft und einen Freund anstatt eine Freundin hat. Ich kann aber verstehen, dass manche Menschen Orte brauchen, wo sie sich unter Gleichgesinnten austauschen können.

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Auch in unserer Serie Kreuz & Queer berichten wir über das Leben als LGBT in der Schweiz:


Setzt du dich aktiv dafür ein, dass man in der Schweiz offener mit der Genderthematik umgeht?
Ich besuche dazu Seminare und habe schon einen Leistungsnachweis darüber geschrieben, aber politisch aktiv bin ich nicht. Ich meine, indem ich einfach anders bin und die Leute mich so sehen, mache ich eigentlich auch schon viel. Wenn ein kleines Kind im Tram fragt: "Mama ist das ein Mann oder eine Frau?" ist schon einmal der erste Anstoss da, dass man sich überhaupt Gedanken über das Thema macht.

Anna, 26

Foto zur Verfügung gestellt von David Rosenthal

VICE: An welchen Orten in den Schweiz fühlst du dich nicht sicher?
Anna: Verglichen mit Queer Spaces fühle ich mich überall sonst mindestens einen Tick weniger wohl. Allerdings gelte ich optisch als recht feminin, weshalb mir anstatt Homophobie meist eher Sexismus droht. Bisher spielte eher die Uhrzeit, also der allgemeine Alkoholpegel, eine Rolle, nicht etwa das Gefälle Stadt–Land. In meiner Heimat Schaffhausen zum Beispiel fühle ich mich als ausgesprochen geoutete Person sehr wohl.

Wie hast du und dein Umfeld herausgefunden, dass du sowohl auf Frauen als auch auf Männer stehst?
Ich habe es sehr lange für hetero gehalten, sich in Jungs zu verlieben und sich gleichzeitig von Frauen angezogen zu fühlen. Erst als ich in die LGBT-Community kam – lange nach meinen ersten realen Erfahrungen mit Frauen –, hatte ich Worte dafür. Explizit outen musste ich mich aber kaum je.

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Sorgen bisexuelle Menschen für Verwirrung im Ausgang?
Momentan bin ich in einer festen Beziehung mit einer Frau. Bei einer mittelmässigen Anmache eines Typen war es schon lustig, als Antwort darauf meiner Freundin in die Arme zu laufen. Viele Heteromänner scheinen auch nicht verstanden zu haben, dass sie bei einer Frau-mit-Frau-Kombination nicht mitgemeint sind. Ein Ex fand mal "Oh, du bist bi? Das ist so heiss!" – Ja, vielleicht für mich, mit dir hat das nichts zu tun.

Dominik, 26

Foto zur Verfügung gestellt von Léa Michaud, Jakob Lienhard und Silvan Possa

VICE: Wo fühlst du dich in der Schweiz nicht wohl?
Dominik: Als Student war ich lange in einem geschützten Umfeld. Seitdem ich da draussen bin, merke ich, dass es trotzdem nicht so in Ordnung ist, schwul zu sein.
Letzte Woche war ich in einem Vorbereitungslager für den Zivildienst. Da treffen Männer aus unterschiedlichen Bereichen zusammen und reden oft über Frauen. Du bist dann einfach der Weirdo, der schweigend daneben steht.
Sobald man sich wehrt, wenn jemand den Begriff "schwul" als Schimpfwort verwendet, outet man sich automatisch. Besonders unter Männern wird es dann sofort komisch. Keine Ahnung, ob die dann Angst haben, dass du sie anmachst. Ich habe jedenfalls schon das Gefühl, dass ich mich verstellen muss – oder ich verstelle mich automatisch.

Was wäre denn deine Wunschvorstellung?
Ich will, dass es einfach allen scheissegal ist. Ich brauche keine Pride und auch keinen Homo-Club. Es soll einfach kein Thema sein. So wie es auch kein Thema sein soll, wenn jemand schwarz, Moslem, Jude oder was auch immer ist.

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Willst du mal Kinder?
Ja, das wäre schon schön. Anstatt ein Neues auf die Welt zu setzten, würde ich adoptieren. Das ist ökologischer.

Sascha, 25

Foto zur Verfügung gestellt von Kathrin Hürzeler

VICE: An welchen Orte in der Schweiz fühlst du dich nicht sicher?
Sascha: Als solche "Orte" würde ich Gruppen nennen, die nicht für ein flexibles Denken über Geschlecht sensibilisiert sind – das ist auch in der Familie oder im Job der Fall. Es wird jeweils eine Bringschuld von mir erwartet: Dass ich die Menschen aufklären und ihre Stereotypisierungen ertragen muss.

Meinst du mit Stereotypisierungen die Begriffe "Mann" und "Frau"?
Ich lehne es grundsätzlich ab in diesen Kategorien zu sprechen oder zu denken. Ich sehe Geschlecht als einerseits gesellschaftliches Konstrukt an und andererseits als eine Zusammenstellung biologischer Merkmale, die allerdings gar nicht immer so eindeutig sein müssen, wie gerne davon ausgegangen wird.
Dennoch empfinde ich die Kategorien "Mann" und "Frau" im Zusammenhang mit politischen Themen wie der Lohnungleichheit als relevant. Nur so können wir strukturelle Ungleichheiten aufgrund von gelesenem Geschlecht reflektieren. Es ist schlimm, dass die Diskriminierung von LGBTQs institutionell stattfindet.

Welches Outing ist dir leichter gefallen: Das als Lesbe oder als Transmensch?
Das als lesbische Frau. In beiden Fällen war ich jedoch eher der Schnell-auf-den-Tisch-Typ. Das innere Outing als Transmensch hat bezeichnenderweise zweimal stattgefunden, wobei ich mir beim ersten Mal diesen Gedanken verbot – und ihn auch erfolgreich verdrängte – bis ich später auf einen Transmensch traf, der mich durch seine Sichtbarkeit ermutigte, mich auch mit meinem Transsein auseinanderzusetzen.

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Florian, 27

Foto zur Verfügung gestellt von David Rosenthal

VICE: Gibt es Orte in der Schweiz, an denen du dich nicht sicher fühlst?
Florian: Ich denke, es ist vor allem das Wissen, dass solche Übergriffe passieren können, die einem – egal wo man ist – ein unsicheres Gefühl geben. Wenn ein Schwuler in Russland verprügelt wird, trifft uns das alle. Ich denke, dass auch jede Frau diese Lebensrealität kennt: Ich kann angegriffen werden, nur weil ich eine Frau bin. LGBT-Organisationen geben einem dabei sichere Räume und das Vertrauen, ernst genommen zu werden.

Leben LGBTQs nicht allzu sehr in einer Parallelgesellschaft, wenn sie sich nur in der Szene bewegen, anstatt mal in eine Bar von "normalen" Leuten zu gehen?
Schon mit dem Begriff "normal" habe ich Mühe. Nur weil es eine Mehrheitsgesellschaft ist, heisst es nicht, dass Heteros die Normalen wären. Wir verbringen 95% unseres Lebens in der heterosexuellen Welt. Es gibt an Lesbenpartys, in Schwulenbars oder an queeren Veranstaltungen eine ganz eigene, besondere Kultur. Darauf will ich nicht verzichten. Weil es einfach Freude und FreundInnen macht.

Anabel, 24

Foto von der Autorin

VICE: Gibt es Orte in der Schweiz, an denen du dich als Lesbe nicht sicher fühlst?
Anabel: Ich würde es nicht an einen Ort koppeln. In der Schweiz akzeptiert Homosexuelle, man wird aber trotzdem von vielen nicht als vollwertig angesehen – auch vom Staat her. Solange wir vom Gesetz her nicht gleichberechtigt sind, fühle ich mir per se nicht wohl in der Schweiz.

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Wie hast du überhaupt herausgefunden, dass du nicht auf Männer stehst?
Ich bin in einem 2.000-Menschen-Dorf aufgewachsen. Die beste Freundin meiner zweiten und letzten Männerbeziehung stand auf Frauen. Vorher wäre ich niemals alleine darauf gekommen, dass es das überhaupt gibt. Schon nur das ist ein Indiz, dass irgendwas ziemlich schief ist. Ich weiss noch, wie ich ihm gesagt habe: "Weisst du was, eigentlich stehe ich ja auf sie und nicht auf dich".

Und wie hat es dein Umfeld aufgenommen?
Es fühlte sich an, als wenn du deinen Eltern beichtest, dass du rauchst. Als wäre es etwas Verbotenes. Mein Vater meinte, dass es beim nächsten Mal vielleicht wieder ein Typ wird. Schon nur diese Aussage nervte mich.
Zur Beerdigung meiner Grossmutter habe ich meine Freundin mitgenommen und sie auch als das vorgestellt: Ich hatte das Gefühl, niemand hat gecheckt, auf welche Art ich "Freundin" meinte. Manchmal finde ich das schwierig, dass diese Möglichkeit in den Köpfen vieler Menschen gar nicht besteht.

Fabian, 24

Foto von der Autorin

VICE: An welchem Ort in der Schweiz fühlst du dich als Schwuler nicht sicher?
Fabian: Als 1,80 Meter grosser, weisser Mann empfinde ich eigentlich keinen Ort als extrem unsicher. Unwohl fühle ich mich am ehesten noch an der Langstrasse, weil da viele verschiedene Schichten aufeinander treffen.

Gehst du lieber in gay-friendly Bars?
Wenn du grad im Outing bist, brauchst du was, um dich dran festzuhalten. Heute habe ich Mühe mit Labels. Darum finde ich Safe Spaces für Jugendlich sehr wichtig, aber irgendwann ist es auch an der Zeit, dass man sich durchmischt.

Wem hast du als erstes gesagt, dass du auf Männer stehst?
Mit 18 habe ich mich an einem kleinen Festival extrem betrunken und es dann einem gesagt, der eben erst sein Coming-Out hatte. Damals habe ich mich noch als bisexuell geoutet. Um meiner Familie immer noch die Hoffnung aufrechtzuerhalten, dass ich mal Kinder bekommen kann. Ich bin zwar nicht in einem besonders konservativen Umfeld aufgewachsen, aber meine Cousins sind zum Beispiel alles Handwerker. Sie wohnen alle auf dem Land, wo das Kinderkriegen einfach dazugehört.
Meinen besten Freunden habe ich per Post in einem Brief aufgeklärt, wie es um meine sexuelle Orientierung steht. Dann bin ich drei Monate nach England und habe meine Homosexualität dort offen ausgelebt. – danach habe ich es mit 20 Jahren meinen Eltern gesagt. Meine Mutter hat vor allem gestört, dass sie es nicht selbst bemerkt hat – all ihre Freundinnen meinten, dass sei ihnen eh schon klar gewesen.

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