Ich war bei der Pressekonferenz von Die PARTEI, um mich anwerben zu lassen
Alle Fotos: Josefine Lippmann

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Bundestagswahl 2017

Ich war bei der Pressekonferenz von Die PARTEI, um mich anwerben zu lassen

"Wir führen den schmutzigsten Wahlkampf aller Zeiten. Es geht um Sex, Porno und Gewalt", sagt "Kançlerkandidat" Serdar Somuncu.

Mitten in Kreuzberg steht ein Mann mit schwarzen Reiterstiefeln, Seitenscheitel, Hitlerbart und Umschnallbrüsten. Neben ihm wacht stumm ein lebensgroßer Plastikschäferhund. Gleich wird hier die Partei Die PARTEI ihr "Schattenkabinett" inklusive "Kançlerkandidat" Serdar Somuncu vorstellen. Das Ziel von Parteichef Martin Sonneborn: zu zeigen, warum seine Partei eine "sehr gute Partei" ist. Eine Frau kommt wegen der versammelten Menschenmenge nicht in ihren Hauseingang und beschwert sich. "Die PARTEI ist 40% freundlicher als andere Parteien", kontert ein Mitglied mit Partei-Armbinde, rotem Schlips und Billig-Bier im Anschlag.

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An diesem Nachmittag wird sehr viel gesoffen. "Wir haben Sie auf der Einladung mit Bier und Schnittchen gelockt, weil wir wussten, dass Journalisten nicht nur wissenshungrige, sondern auch gierige Gestalten sind", erklärt mir Somuncu. Vor dem Hintergrund, dass man Die PARTEI, die manche für Satire halten, tatsächlich wählen kann, will ich heute aber vor allem herausfinden, ob ich ihnen auch meine Stimme geben würde.


Auch bei VICE: Unterwegs mit russischen Oligarchen


Ich setze mich auf einen der 20 Stühle, die für Medienvertreter bereitstehen. Neben mir an der Wand hängt eine Reihe von Hausmeistermänteln mit Parteilogo. Hinter mir streiten sich sechs Kamerateams um Plätze. Die Partei-Oberen haben in einem seltenen Anfall von Bescheidenheit wohl mit weniger Medienandrang gerechnet.

"Ficken ist Frieden": Dieses Parteimitglied trägt wichtige Inhalte mit sich herum

Mark Benecke, der später als potentieller Minister für Tattoos und Tierschutz, Senioren und Verwesung vorgestellt wird, verteilt Partei-Kugelschreiber. Der Kriminalbiologe sieht mittlerweile aus wie ein Hybrid aus Erkan und Stefan. Schließlich greift Martin Sonneborn zum Megafon und fordert die Presse auf, für sein Schattenkabinett zu applaudieren: "Wir haben Sie im Auge und vielleicht ist nach der Machtübernahme für den ein oder anderen was drin." Pressefreiheit – schwierig, notiere ich auf meiner innerlichen Pro- und Contra-Liste.

Auftritt des Kuriositätenkabinetts: Neben dem "Kançlerkandidaten" Somuncu stellt Sonneborn eine gewissen Natascha als "wichtigste Person" vor: "Natascha ist eine scharfe Russin, zuständig für Osteuropa-Angelegenheiten. Sie kann auf Russisch sagen, Die PARTEI ist sehr gut und Wirtschaftssanktionen sind sehr schlecht." Ich vermerke "guter Draht nach Russland" unter Pro.

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Der künftige Atomminister Wolfgang "Wolfi" Wendland entspannt bei einer Zigarette, daneben sitzt Reichspropagandaleiter Shahak Shapira

Den Job des Atomministers hat Sonneborn in die verantwortungsbewussten Hände von Wolfgang "Wolfi" Wendland gegeben. Wolfi ist Sänger bei der Punkband "Die Kassierer" und hat eine genaue Vorstellung von seinem zukünftigen Job: "Mal kucken, was an Atom noch so da ist." Sein Motto: "Kernkraftgegner überwintern ohne Strom mit kaltem Hintern." Und: "Kernenergie ist großer Mist, wenn das Kraftwerk nicht von Siemens ist." Es bleibt heute Wolfis einziger Wortbeitrag und ich frage mich, ob er seine verantwortungsbewussten Hände nicht lieber wieder in die Dienste der Musik und des kunstvollen Live-Fistings stellen sollte. Eintrag bei Contra.

Neben Wolfi sitzt Shahak Shapira, künftiger Reichspropagandaleiter. Später versucht mich Shahak von seinen Kompetenzen zu überzeugen – gerade er als Israeli, gerade beim Mauerbau. Denn die PARTEI möchte die Berliner Mauer wieder aufbauen und die Ostdeutschen dafür bezahlen lassen. "Unsere Mauer in Israel steht noch und die Amerikaner haben dafür bezahlt. Deshalb bin ich unseriösen Politikern wie Donald Trump um Längen voraus." Shahak erklärt mir, dass er sich sehr gut mit Propaganda auskenne. "Ich habe ja auch für die VICE geschrieben. Das ist mir peinlich, aber jeder von uns hat eine Vergangenheit. Martin Schulz war Alkoholiker." Als erste Amtshandlung werde er bei Twitter eine Mindestmenge von 140 Leerzeichen für AfD-Politiker durchsetzen. Das gefällt mir und ich notiere ein Pro. Eine Mauer um Berlin herum fände ich aber unnötig. Contra.

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Die PARTEI setzt im Wahlkampf auch auf neuartige 3D-Plakate

Links in den Raum ragt ein riesiger Pappmachépimmel. Dieser sei Teil eines verschärften Sexwahlkampfs, sagt Parteichef Sonneborn während der Konferenz. "Wir haben mit dem 3-D-Plakat versucht, die Obszönität der Verstrickungen von Politik und Wirtschaft zu übertreffen." Die Plakate würden in den Bezirken gut angenommen, viele Kinder – immerhin zukünftige Wähler – sprächen darüber mit ihren Eltern. "Wir würden Sie bitten, für einen Wahlwerbespot im Kinderprogramm des ZDF nachher noch eine kleine Orgie mit uns zu feiern. Das würden wir dann mitfilmen", sagt Sonneborn und sein Gesicht bleibt dabei so regungslos, als läge darüber eine Lage Plätzchenteig. Dann reicht er das Mikrofon an Somuncu weiter, damit dieser sein Fünf-bis-13-Punkte-Programm vorstellen kann. Anscheinend ist das Bier alle, jedenfalls haben die bereitstehenden Claqueure die Hände frei und klatschen wie übermotivierte Flamenco-Tänzer.

Bundeskançlerkandidat Serdar Somuncu

Mit weit aufgerissenen Augen redet sich Somuncu direkt in Rage. "Unser politischer Gegner ist nicht die AfD, es gibt auch sehr feine Leute in der AfD. Die Gewalt geht hier von beiden Seiten aus!", sagt er in einem Verweis auf Trumps Rede nach den Neonazimärschen von Charlottesville. Das klingt fast wie Satire, aber natürlich ist Die PARTEI eine durch und durch ernsthafte und sehr gute Partei, erinnere ich mich an das Mantra der anwesenden Politiker. Aber wer ist der wahre politische Gegner? "Der Irre vom Bosporus, Präsident Recep Tayyip Erdoğan", weiß Somuncu. "Wir werden unmittelbar nach der Machtübernahme sämtliche Verhandlungen mit der Türkei über einen DFB-Beitritt beenden und stattdessen Verhandlungen mit Armenien für eine EU-Mitgliedschaft aufnehmen."

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Klare Worte auch auf diesem T-Shirt

Wie so oft an diesem Nachmittag relativiert der besonnene Herr Sonneborn die Aussagen seiner Mitstreiter und bedankt sich stattdessen für die Wahlkampfhilfe aus der Türkei. Schließlich habe "der Irre vom Bosporus" die türkischen Landsleute in Deutschland dazu aufgerufen, nicht die CDU, die Grünen und die SPD zu wählen. "Wir von der Partei schließen uns diesem Appell an und erweitern ihn auf alle deutschen Parteien." Als Beweis für seine Dankbarkeit präsentiert Sonneborn ein T-Shirt, auf dem steht "Erdoğan ist kein Ziegenficker". 100 dieser auf EU-Kosten produzierten T-Shirts habe man der verarmten Bevölkerung in Kreuzberg zur Verfügung gestellt. Somuncu ergänzt: "Wobei es natürlich auch viele andere Tiere gibt." Despotenbashing und Gratis-T-shirts, dafür bekommt ihr meine Stimme. Pro.

Die weiteren Vorhaben aus Somuncus Fünf-bis-13-Punkte-Plan:

  • Rückführung aller gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften in ihre Heimatländer ("Wir sind da an den Grenzen der Möglichkeiten angekommen"),
  • Abschaffung der "Ehe für Assis",
  • totale Steuerfreiheit für Parteimitglieder und Wähler,
  • und Nacktpflicht für Frauen zwischen 18 und 25 Jahren (für Frauen mit Körbchengröße B gilt sie sogar bis 30).

"Wir führen den schmutzigsten Wahlkampf aller Zeiten. Es geht um Sex, Porno und Gewalt", fasst Somuncu die wichtigsten Eckdaten zusammen, bevor er die wahrscheinlich absurdeste Fragerunde des gesamten Bundestagswahlkampfes eröffnet.

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Das dekadente Buffet für die Gäste

Eine Journalistin von RT-Deutsch fragt, was die unkonventionellen Wahlplakate der PARTEI bewirken sollen. "Das ist dieser russische Lügensender, ja?", fragt Somuncu und Martin Sonneborn bedankt sich für die "unsinnige" Frage. Natürlich sollen die Plakate bewirken, dass die Leute ihr Kreuz bei Die PARTEI machen. "Den Rest können Sie Ken Jebsen fragen", ergänzt Somuncu.

Was das nun genau hieße, dass Die PARTEI für doppelt so viel Gerechtigkeit wie die SPD stehe, fragt jemand und Somuncu antwortet mit einem einfachen Dreisatz: "Die Hälfte der Demokratie und Gerechtigkeit, die die CDU verspricht, mal der Doppelten, die die SPD nicht erfüllt, ist der Mittelwert dessen, was wir wollen." Ich verstehe nichts und mache deshalb auch keine Notiz.

Ein Typ aus der dritten Reihe, der später noch für Le Monde Diplomatique und den Guardian fragt – jedes Mal unter einem anderen Namen –, will jetzt für die Neue Zürcher Zeitung wissen, was sich aus Forderung ergibt, dass Die PARTEI die Demokratie abschaffen will. "Das müssten sie in der Schweiz ja schon selbst beantworten können", sagt Somuncu und wieder ergänzt Sonneborn als Stimme der Vernunft: "Nach Brexit und Trump möchten wir die Demokratie umformen, hin zu einer Herrschaft der Wissenden." Bei Volksentscheiden müssen dann auf den Wahlzettel drei Wissensfragen stehen, Beispiel: Wie heißt die Hauptstadt von Paris? Wenn nicht mindestens eine dieser Fragen richtig beantwortet werde, gelte der Wahlzettel als ungültig. Was Sonneborn als moderne Turbodemokratie bezeichnet, ist mir dann doch zu diskriminierend. Contra.

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Adolfina mit Begleitung

Ich frage "für einen Freund", was Sonneborn Leuten entgegnet, die sagen, sein "Schattenkabinett" bestünde nur aus einem zusammengewürfelten Haufen von Freaks. "Das ist ein ganz charakterschwacher Typ", raunt Somuncu und Shahak sagt: "Sehr interessante Frage, ausgerechnet von der VICE." Sonneborn vermutet, dass meine Frage wohl daher komme, weil ich hier nur Freaks sehe. Es gebe aber noch viel mehr Mitglieder, wie Bela B. als Gesundheitsminister. "Wir können uns immer noch mit der derzeitigen Regierung messen", ergänzt Somuncu. Stimmt auch wieder. Punkt auf die Pro-Liste.

Im weiteren Verlauf der Pressekonferenz bezeichnet Somuncu uns noch als Nutten. Der "Kançlerkandidat" wird noch konkreter: "Die PARTEI steht in direkter Konkurrenz zum Irrsinn der alltäglichen Politik. Ich glaube, eine Pressekonferenz von Donald Trump wäre wesentlich satirischer und lustiger. Wir sind mit der Partei in der Mitte der politischen Realität angekommen."

Damit ist die Pressekonferenz beendet und auf meiner Pro- und Contra-Liste steht es vier zu vier – unentschieden. Auch, dass mir Somuncu bevor ich rausgehe für die Zeit nach der Machtergreifung noch einen Posten im Kaninchenzuchtverein in Aussicht stellt, kann mich nicht ganz überzeugen.

Der Autor im Kreise zweier berühmter PARTEI-Mitglieder

Ich gehe vorbei am Schnittchenbuffet und treffe vor der Tür "Adolfina" wieder, den Hitler mit Brüsten. Ich frage ihn, ob er auch Parteimitglied sei. "Nein, nein, ich hab mit denen überhaupt nichts zu tun. Aber ich hab die Nase voll, von diesen AfD-Idioten, die ihre Reden schwingen, während woanders Flüchtlingsheime brennen. Darauf möchte ich als Künstler aufmerksam machen. Mein Traumergebnis wäre AfD 4,95% und Die PARTEI 5,05%. Ich finde es schon lustig, dass die hier mit Humor ernste Dinge infrage stellen. Deshalb bin ich ja auch eine Frau. Merkel ist 'ne Frau, Alice Weidel ist 'ne Frau, Jens Spahn ist 'ne Frau: Frauen sind an der Macht. Und wenn ich eine Chance haben will, bin ich auch eine Frau."

Wow, denke ich. Hat hier gerade ein Typ namens Adolfina das Vernünftigste gesagt, das jemand an diesem Tag von sich gegeben hat? Ich bin verwirrt, aber nehme aus meinem Gespräch mit Adolfina mit, dass selbst die größten Freaks interessante politische Ansichten haben können. Ob ich mich auch von ihnen regieren lassen möchte, ist eine andere Frage.

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