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Popkultur

Die Reaktionen auf Lena Meyer-Landruts Kleid zeigen, wie sexistisch deutsche Medien sind

Die 'Bild' schreibt über ihre Brüste und eine Journalistin findet, dass Lena daran selbst schuld ist.
Foto: imago | APress

Es ist 2018, und noch immer gibt es Journalisten, die Sideboobs härter kritisieren als einen neuen Matthias-Schweighöfer-Film. Bei Bild ging es diese Woche trotz Berlinale weniger um Filme als um Brüste: Die Zeitung beschäftigt sich seit Dienstag mit der äußerst wichtigen Frage, ob Sängerin Lena Meyer-Landrut unter ihren diversen Berlinale-Outfits einen BH trägt. Bild deckte auf: Am Montag trug sie keinen. Das ist eigentlich keine Schlagzeile wert. Die n-tv-Journalistin Sabine Oelmann fühlte sich durch die Berichterstattung aber gestört und schrieb einen offenen Beschwerdebrief – an Lena Meyer-Landrut.

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In einer idealen Welt trägt jeder, was er will, und allen anderen ist es scheißegal. In einer real existenten Welt haben Menschen auch nach vier Monaten #metoo nicht gecheckt, dass ihre Meinung in manchen Situationen einfach nicht von Belang ist. Die Bild-Redakteure, die Meyer-Landrut seit Anfang der Woche mit "Komplimenten" für ihren "heißen Auftritt" überhäufen, sind solche Menschen. Die Online-Redakteurin Sabine Oelmann auch, aber anders. Die n-tv-Journalistin ist nicht amused darüber, dass Bild ständig Meyer-Landruts Brüste thematisiert. Statt den Sexismus ihrer Kollegen und Kolleginnen zu kritisieren, macht Oelmann Lena mit einem der gestrigsten Vorwürfe selbst dafür verantwortlich: Die Sängerin habe es ja so gewollt.

In einem offenen Brief erklärte die Sittenwächterin von n-tv der "sonst so schönen, schlauen" Lena, wie sie sich in Zukunft so kleiden und benehmen könne, dass solche Schlagzeilen wie die der Bild nicht mehr vorkommen. Oelmanns freundlich eingeleiteter "Liebe Lena"-Brief liest sich dabei wie die auf Diddl-Blättern verfassten Hassbotschaften, in denen Grundschülerinnen sich die Freundschaft kündigen. Sie mache sich Sorgen, schreibt Oelmann säuselnd, um dann zu ermahnen.

"Es ist so ignorant, dein Verhalten. Auch ein bisschen respektlos", schreibt Oelmann. Bei der Premiere des Films Drei Tage in Quiberon hätte die Aufmerksamkeit der Regisseurin Emily Atef oder der Schauspielerin Marie Bäumer gelten sollen, aber nicht Meyer-Landrut, sie sei zwar eine sehr gute Sängerin, aber halt trotzdem genau das – eine Sängerin. Bei einer Hochzeit stehle man der Braut doch auch nicht die Show.

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Dass Oelmann mehr Aufmerksamkeit für Atef und Bäumer fordert, ist an sich ein nobler Einwand: Die Filmförderungsanstalt hat 2017 zwei Studien präsentiert, die besagen, dass nur 23 Prozent der deutschen Kinofilme von Regisseurinnen stammen, obwohl der Frauenanteil an Filmhochschulen bei 40 Prozent liegt. Regisseurinnen wie die deutsch-französisch-iranische Emily Atef ins Scheinwerferlicht zu rücken, wenn sie ihren eigenen Film vorstellen, wäre fair und empowernd für andere weibliche Medienschaffende. Aber das ist nicht die Aufgabe der Premierenbesucher- und besucherinnen.

Hat Lena sich einfach für eine Filmpremiere schön gemacht oder hat sie Beyoncés "Slay" zu wörtlich genommen? Selbst wenn dem so wäre – könnte man von den Redaktionen dann nicht trotzdem erwarten, dass sie sich mit anspruchsvolleren Themen als tiefen Dekolletés beschäftigen?


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Es stimmt, dass sowohl die Bild-Promireporter als auch Unterhaltungsredakteurin Oelmann dafür bezahlt werden, dass sie sich mit der Garderobe der Promis auseinandersetzen und nicht mit unsexyeren Themen wie Diversität in der Filmbranche, ungesunden Körperbildern oder Frauenrechten. Wenn Oelmann Meyer-Landrut aber Kalkül vorwirft, nur weil sie sich zu einer Filmpremiere in einem umwerfenden Kleid zeigt, sucht sie so rational nach einem Schuldigen wie die betrogene Freundin, die die andere Frau mehr hasst als ihren fremdgehenden Typen.

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Statt einer Medienkritik übt Oelmann Kritik an einer einzelnen Frau, die, blöd gesagt, nur auf einem Teppich rumstand. Sie schreibt: "Mal abgesehen davon, dass es einfach zu wenig Stoff war und dass es gar nicht um dich ging, wünscht man dir doch mal ganz allgemein einen gesegneteren Appetit." Es wirkt, als könne Meyer-Landrut sie gar nicht zufriedenstellen: Oelmann will zwar weniger Haut sehen, dafür soll sich Lena aber mehr Körper zulegen, schließlich sei sie so "kein gutes Vorbild für die kleinen Mädchen".

In einer Hinsicht hat sie Recht: Einheitliche Körperbilder in den Medien beeinflussen nachweislich die Selbstwahrnehmung. Wenn wir nur weiße, dünne Frauen mit blonden Haaren und ohne Behinderung in High-School-Filmen sehen, schließt das alle anderen aus. Die Reaktionen auf den afrofuturistischen Superhelden-Film Black Panther zeigen gerade, wie wichtig es ist, Vielfalt darzustellen. Im Umkehrschluss kann das aber natürlich nicht heißen, alle anderen mit bösen Artikeln zu bestrafen, die zufällig (oder auch nicht) dem Ideal entsprechen, das Medien und die Gesellschaft so lange selbst gebastelt haben.

Lena Meyer-Landrut zu unterstellen, sie sei zu dünn, oder ihr (und anderen Frauen) figurativ mit fettigen Pommes vor der Nase rumzuwedeln, mag gut gemeint sein, ist aber halt trotzdem anmaßend. Damit schließt sich der Kreis, denn das ist Oelmanns Argumentation in a nutshell. Am Ende macht sie mit ihrem offenen Brief nämlich vor allem eins: Sie greift eine andere Frau an, um andere Frauen damit zu stärken. Dabei ist genau das falsch: Wenn Frauen sich gegenseitig besser unterstützen, können sie sich gemeinsam stärker gegen Sexismus und Ungleichheiten behaupten.

Oelmann hat sich derweil mit anderen, ihrer Meinung nach wichtigeren, Ungleichheiten auseinandergesetzt: "Auf jeden Fall hast du, Lena, nun ungefähr 90 Prozent der Fotos dieses Filmabends auf deiner Haben-Seite. Marie Bäumer sieben, Emily Atef zwei", schreibt sie, "das ist unfair." Wir haben auch gerechnet: Anderen Frauen vorschreiben, was sie mit ihrem Körper machen und wie sie sich kleiden, ist überholt – und zwar zu 100 Prozent.

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