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Popkultur

Schafft den Bambi ab!

Es muss auch eine Möglichkeit für Selfies mit gequält lächelnden Hollywood-Stars geben, die keine Posttraumatische Belastungsstörung beim Zuschauer auslöst.
Helene Fischer, die Beyoncé Deutschlands | Foto: imago | APress

Egal ob Echo, Deutscher Comedypreis oder Bambi: Deutschland hat ein Problem mit glamourösen Preisverleihungen. Statt launigen Anmoderationen und kontroversen Entscheidungen bekommt man die immer gleiche Selbstbeweihräucherung. Wer gewinnt, steht meistens sowieso schon fest. Das ist schade, weil in der deutschen Film- und Fernsehbranche seit Jahren einiges passiert, was es verdient hat, gefeiert zu werden. Warum also leisten wir uns dann immer noch Preisverleihungen, die so peinlich sind, dass es gar nicht möglich ist, sie unironisch zu schauen?

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Dass der Echo, der große deutsche Musikpreis, eine absolute Katastrophe ist, predigen uns die Kollegen bei Noisey seit Jahren. Nach über drei Stunden Bambi-Verleihung muss ich sagen: Wenn wir irgendwo anfangen müssen mit der großen Preisverleihungs-Abschaffung, dann vielleicht genau hier.

Dabei beginnt die Gala wie alles andere, was viel zu lange dauert und in der ARD zur besten Sendezeit ausgestrahlt wird: mit einem Auftritt von Helene Fischer. Die Beyoncé der Bundesrepublik performt ihren Hit "Achterbahn" und schreit mehrfach "Spürst du das?!" ins Publikum. Ich möchte mich nicht über die sehr, sehr alte Zuschauerschaft der Öffentlich-Rechtlichen lustig machen, aber ich bin mir sicher, dass vor den Fernsehern einige Menschen sitzen, die nicht mehr so richtig viel spüren. Vielleicht richtet sich der Appell aber auch an die Leute im Saal, von denen viele jetzt schon so wirken, als würden sie ihre Anwesenheit abgrundtief bereuen.


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"Aber was ist der Bambi denn jetzt eigentlich?", werden sich viele von euch fragen. "So was wie die Oscars in schlecht?" Die Antwort lautet natürlich "Nein". Tatsächlich ist der Bambi eine Art Hybrid aus den Oscars, den Grammys, den Emmys und diesen Boulevardmagazin-Toplisten – in schlecht. Jedes Jahr verleiht der Burda Verlag – zu dem beispielsweise die Bunte oder der Focus gehören – Deutschlands bedeutendsten Medienpreis für die Leute, die Deutschland und die Welt bewegen. Ob das so stimmt, sei dahingestellt, so lautet aber zumindest die Anmoderation von Barbara Schöneberger und Florian Silbereisen. Letzterer schafft es mühelos, den hölzernen Charme eines frisch geölten Brotkastens über die komplette Verleihung aufrechtzuerhalten, und ist vielleicht auch nur deshalb dabei, weil seine Lebensabschnittspartnerin Helene Fischer sonst nicht gekommen wäre.

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Nachdem die beiden Moderatoren jede ansatzweise prominente Person im Saal namentlich begrüßt haben, wird der erste Bambi verliehen. Und das ist wohl auch nur deswegen der "Entertainment"-Bambi, damit Hollywood-Star Hugh Jackman diese Veranstaltung so schnell wie möglich hinter sich lassen kann. Mit immer wieder brechender Stimme und Tränen in den Augen erzählt Schauspielerin Iris Berben von ihrer ganz persönlichen Beziehung zu Jackman und gerade als man sich fragt, ob sie gleich einen Nervenzusammenbruch erleidet oder ihm einen Antrag macht, startet ein Vorstellungsfilm.

Werde ich zum Ende der Veranstaltung so alt sein wie der Durchschnittszuschauer der Öffentlich-Rechtlichen?

Weil der auch nicht viel anderes zu zeigen scheint als das, was Berben davor schon deutlich emotionaler erzählt hat, traue ich mich erstmals, von der Couch aufzustehen. Ich gehe auf die Toilette. Ich mache mir einen Teller Nudeln in der Mikrowelle warm. Als ich zurückkomme, läuft das Video immer noch. Dieses Muster wird sich in den folgenden Stunden mehrfach wiederholen: niemals endende Laudatio – überlanges Vorstellungsvideo, das wirkt, als hätte man ein Mitglied der Promiflash-Redaktion gezwungen, einen Wikipedia-Artikel zu verfilmen – sehr lange Dankesrede. In mir keimt ein schrecklicher Verdacht: Werde ich zum Ende der Veranstaltung so alt sein wie der Durchschnittszuschauer der Öffentlich-Rechtlichen?

Bambi Nummer zwei geht an den besten "Film National", was schon alleine deswegen eine seltsam benannte Kategorie ist, weil es keinen Preis für "Film International" gibt. Dann gewinnt auch noch Willkommen bei den Hartmanns, bekommt verhaltenem Applaus und eigentlich möchte man Regisseur Simon Verhoeven direkt noch einen weiteren Preis dafür in die Hand drücken, dass er so komplett schamlos versucht, eine Komödie über Geflüchtete in Deutschland als unpolitisch zu verkaufen. Man habe sich in ein "Minenfeld" hineingewagt und es geschafft, darin zu tanzen, erklärt er. Stetig darauf bedacht, ja keine Position zu beziehen. Als wäre das in einer Zeit, in der "Zuwanderungsgegner" rechte Parteien in den Bundestag wählen, eine Errungenschaft, auf die man mal so richtig stolz sein kann.

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Gerade will ich so richtig wütend werden, da kündigt Nazan Eckes an, dass man als interessierter Zuschauer ja auch noch abstimmen könne. Für den "Publikumsbambi", bei dem ausschließlich männliche Moderatoren zur Wahl stehen. Leute wie Ex-Raab-Praktikant Elton, der "keck" und "unkonventionell" moderiere. Gab es beim Burda-Verlag ein Meeting, bei dem der Satz fiel: "Es gibt einfach zu wenig Veranstaltungen, bei denen ausschließlich weiße Durchschnittstypen ausgezeichnet werden"? Gerade ein Publikumspreis könnte doch die Möglichkeit bieten, die Leute auszuzeichnen, die nicht sowieso schon überall gewinnen – seien es nun sozial engagierte Menschen, Nachwuchstalente aus der Film- oder Musikbranche oder meinetwegen auch smarte journalistische Formate. Gerade möchte ich eine eigene Liste erstellen, da werde ich von einem weiteren Programmpunkt abgelenkt, den ich nicht verstehe.

Der Umwelt-Bambi "Unsere Erde" wird an Arnold Schwarzenegger verliehen. Laut Vorstellungsvideo wohl vor allem deshalb, weil er als Gouverneur von Kalifornien mal was für den Klimaschutz unterschrieben hat und sich jetzt regelmäßig mit Donald Trump auf Twitter beeft. Wer denkt, dass die Kategorie Umweltschutz damit abgehandelt ist, irrt allerdings. Sie hat gerade erst begonnen.

Die Flüchtlingsthematik scheint den Abend ähnlich fest im Griff zu haben wie Plastiktüten hilflose Meeresschildkröten.

Die Verschmutzung der Meere scheint in diesem Jahr ein Kernthema der Bambi-Verleihung zu sein, weswegen die Journalistin Pinar Atalay eine Person ankündigt, die die Meere kenne wie keine Zweite. Enttäuschenderweise wird anschließend nicht Flipper in einer Badewanne auf die Bühne gefahren. Stattdessen erklärt Apnoe-Taucherin und Aktivistin Tanya Streeter, warum Plastiktüten Meeresschildkröten töten, was in einem weiteren Video und einer weiteren Preisübergabe mündet. Weitere "Unsere Erde"-Bambis gehen nämlich an Melati und Isabel Wijsen aus Bali, die bereits mit zehn und zwölf Jahren die Organisation Bye Bye Plastic Bags gründeten. Das beeindruckt dann auch die geladene Prominenz im Publikum.

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Vielleicht sollte man in Zukunft einfach nur Menschen auszeichnen, die sich tatsächlich für die Verbesserung der Welt einsetzen, anstatt Leuten goldene Rehkitze in die Hand zu drücken, die unpolitische Komödien über eines der politisch aufgeladensten Themen der letzten Jahre drehen? Das erscheint mir auch deswegen sinnvoll, weil die Flüchtlingsthematik den Abend ähnlich fest im Griff zu haben scheint wie Plastiktüten hilflose Meeresschildkröten. Der chinesische Künstler Ai Weiwei bekommt den "Mut"-Bambi für seine Geflüchteten-Doku Human Flow und wird als engagierter Filmemacher beschrieben, der sich für seine politischen Aktionen nie geschont hat. Warum ihm nach all den vergangene Strapazen zusätzlich zugemutet wird, eine endlos lange Lobrede von Sigmar Gabriel ertragen zu müssen? Unklar.


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Nach all den schweren Umweltschutz- und Politikthemen muss wieder ein bisschen Spaß in die Bude kommen. Vor allem, weil wir mittlerweile den Punkt des Abends erreicht haben, an dem sich auch beim engagiertesten Vortrinker im Saal der leichte Schwips verflüchtigt haben dürfte. Und genau der hatte die bisherige Verleihung überhaupt erträglich gemacht. Sam Smith singt seinen Hit "To Good at Goodbyes" vor und falls es dich interessiert, Helene Fischer: Jetzt spüre ich tatsächlich etwas. Die kurzweilige musikalische Euphorie trägt mich durch die Vergabe der Preise für "Schauspieler National" (Heino Ferch gewinnt bei den Männern, Alicia von Rittberg bei den Frauen) und Claudia Schiffers surreal roboterhafte Dankesrede für den "Fashion"-Bambi. Sind wir uns sicher, dass sie ein echter Mensch ist? Wie können wir derselben Spezies angehören, wenn sie selbst dem Bambi einen Hauch von Glamour verleiht und ich auf der Couch lungere – in einer pinken Camouflage-Leggins, die ich bei einer Erotikmesse geschenkt bekommen habe und in der ich aussehe wie eine Frührentnerin bei Frauentausch?

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"Musik National" geht – natürlich – an Helene Fischer, die Florian Silbereisen wahrscheinlich nur deswegen so plakativ ihre Liebe gesteht, weil sie danach noch einen Liebessong von ihrem neuen Album performt. Moritz Bleibtreu hält im Anschluss eine sehr gute Rede auf Fatih Akin und Diane Kruger, die sich mit dem Oscar-Kandidaten Aus dem Nichts den Sonderpreis der Jury gesichert haben – vielleicht gibt es doch Hoffnung für die deutsche Film- und Fernsehbranche. Vielleicht muss man nur die ganzen Schlagerstars und schrecklichen Comedians ausladen und aufhören, Hollywood-Stars dazu zu zwingen, in oscarreifen Darbietungen so zu tun, als würden sie sich über diesen Award freuen?

Die Live-Übertragung einer dreistündigen Masturbationssession deutscher Medienvertreter braucht wirklich kein Schwein.

In jedem Fall sollte man sich überlegen, inwiefern es sinnvoll ist, inmitten von gegenseitiger medialer Lobhudelei Menschen auszuzeichnen, die zwischenmenschlich echte Leistungen erbringen. Wie die Krankenschwester Waltraud Hubert, die mit dementen Kindern arbeitet und von Florian Silbereisen den Bambi als "Stille Heldin" bekommt. Vor allem, wenn auf ihre wirklich emotionale Rede ein liebloser Auftritt von Rita Ora folgt. Anschließend gibt es noch einen Bambi für Joachim Gauck ("Millennium"), Monika Gruber ("Comedy", weil sie "wenn es drauf ankommt, auch wie ein Mann sein kann"), Kai Pflaume ("Publikums-Bambi"), Tom Jones ("Legende") und Wladimir Klitschko ("Sport"). Und auch wenn es mich enttäuscht, dass in der Videozusammenfassung von Klitschkos bisheriger Karriere zu keinem Zeitpunkt erwähnt wird, dass er mal Werbung für Milchschnitte gemacht hat, bin ich zufrieden. Denn die Veranstaltung ist vorbei. Endlich.

Was bleibt vom Bambi? Die Erkenntnis, dass es da draußen viele tolle Menschen gibt, die Unglaubliches leisten und von denen wir nur dann etwas wissen, wenn sie von Schlagerstars auf die Bühne gezerrt werden. Und die Gewissheit: Allem voran ist der Bambi eine Veranstaltung, die hochrangigen Vertretern der deutschen Medienbranche das gute Gefühl geben soll, dass man irgendwie wichtig ist. Vielleicht bin ich nicht die Zielgruppe. Vielleicht erwarte ich von einer Branche, die so wahnsinnige Angst davor zu haben scheint, irgendwo mal Kante zu zeigen, einfach zu viel. Aber: Die Live-Übertragung einer dreistündigen Masturbationssession deutscher Medienvertreter braucht wirklich kein Schwein. An ein Selfie mit gequält lächelnden Hollywood-Stars kommt man bestimmt auch anders.

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