Fotos von den letzten Tagen meines bipolaren Vaters
Alle Fotos: Gabi Perez

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Fotos von den letzten Tagen meines bipolaren Vaters

Vor seinem Tod durfte ich meinen Vater durch meine Fotografie besser kennenlernen. Für die Einblicke in sein Leben werde ich ewig dankbar sein.

Mein Vater sprach oft davon, dass er nicht mehr leben wolle. Er fühlte sich in seinem Körper und vor allem in seinem Geist gefangen. Unsere Beziehung war schon immer schwierig, trotzdem oder gerade deshalb war ich entschlossen, seinen Kampf mit seiner bipolaren Störung zu verstehen.

Als Fotografin stellte ich mich dieser Herausforderung mit meiner Kamera. Ich fing an, seinen Alltag zu fotografieren. Die Intimität der Aufnahmen zeigt, wie großzügig mein Vater bereit war, sein Leben mit der Öffentlichkeit zu teilen. Er litt schwer unter seiner emotionalen Labilität und gab uns trotzdem die Möglichkeit, in ein Leben mit einer psychischen Krankheit zu schauen.

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Durch meinen Vater erfuhr ich auch von Project Semicolon. Die Nonprofit-Bewegung will "Menschen, die mit psychischer Krankheit, Suizid, Sucht und Selbstverletzung kämpfen" Hoffnung und Liebe zeigen. Wir schlossen uns der Bewegung an und ich hielt seine Hand, als er sich sein erstes Tattoo stechen ließ: ein Semikolon auf dem linken Arm. Es steht dafür, dass der Autor einen Satz hätte beenden können, und ihn doch weiterführt. Den Satz, und: sein Leben. Ich bin mir sicher, in seinen dunkelsten Stunden kämpfte mein Vater verbissen um sein Leben. Das Ende seiner Geschichte war leider dennoch traumatisch und unverhofft.


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Nach dem Hurrikan Maria war unsere Heimat Puerto Rico monatelang gelähmt. Die Regierung kam nicht ihrer Pflicht nach, den Menschen zu helfen, und so hielt das Chaos unnötig lange an. Während dieser Zeit gab es einen Anstieg in der Zahl der Anrufe bei Linea PAS, der puerto-ricanischen Hotline für Suizidprävention. Auf der Insel gibt es massive Probleme mit mentaler Gesundheit, die Krise rückte damit etwas mehr in den Fokus. Gleichzeitig bemerkte ich, dass sich die Gesundheit meines Vaters verschlechterte – er hatte einfach nicht den nötigen Zugang zu Ärzten und Medikamenten. Und die brauchte er nun mal zum Leben.

Als ich erfuhr, dass mein Vater mit Verbrennungen im Krankenhaus lag, fragte ich mich, ob er sich die Verletzungen selbst zugefügt haben könnte. Später fand ich heraus, dass er einen schlimmen Unfall gehabt hatte: Er hatte Propangastanks in seinem Auto transportiert und beim Fahren eine Zigarette angezündet. Ein Tank hatte ein kleines Leck, der gesamte Innenraum des Autos entzündete sich. Zeugen sahen, wie er aus dem Fenster sprang und um Hilfe rief. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten bereits 63 Prozent seiner Haut Verbrennungen dritten Grades abbekommen. Ich wusste, dass mein Vater es nicht schaffen würde. Vielleicht hätte er noch einmal die Kurve bekommen, wenn sein Lebenswille stärker gewesen wäre und er mehr gekämpft hätte. Ich konnte mich noch von ihm verabschieden und ihm mit gebrochenem Herzen Seelenfrieden wünschen. Dann war er fort.

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Bald darauf reiste ich nach Ecuador, im Koffer die Asche meines Vaters. Ecuador war sein Lieblingsland. Ich schulterte sein Gewicht auf einer anstrengenden Wanderung zu Quilotoa, einem Vulkankrater in den ecuadorianischen Anden. In dem Krater hat sich ein See gebildet. Dort seine Asche zu verstreuen, war atemberaubend. Ich hatte noch nie so stark das Gefühl, etwas geleistet zu haben, hatte noch nie solchen Frieden im Herzen gespürt. Durch meine Kunst bekam ich die Gelegenheit, meinen Vater besser kennenzulernen, und das ist für mich das größte Geschenk.

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