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Fußball

Polnische Ultras erinnern mit Kopfschuss-Choreo an Nazi-Verbrechen

Fans von Legia Warschau zeigten zum Jahrestag des Warschauer Aufstands eine Choreo, auf der ein Nazi-Offizier ein Kind erschießt. In Polen feiert man dies als "Geschichtslektion".
Foto: Imago 

Ein polnisches Kind schaut ängstlich ins Leere. Hinter ihm steht ein Nazi-Offizier, der ihm eine Pistole an die Schläfe drückt. "Während des Warschauer Aufstands töteten Deutsche 160.000 Menschen. Tausende davon waren Kinder", prangt auf einem Transparent unterhalb des Bildes. Untermalt wird es von den rot-weißen Farben der polnischen Flagge und der Jahreszahl 1944. Die Szenerie gehört zu einer Choreographie der Fans des polnischen Fußballvereins Legia Warschau.

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Vor dem Spiel gegen den FC Astana am Mittwochabend in der Champions-League-Qualifikation (aus der Legia trotz 1:0-Sieges wegen der 1:3-Hinspielniederlage ausschied) hatten Tausende Anhänger in der Legia-Kurve mit dieser schockierenden Choreo an den Warschauer Aufstand erinnert, der sich zum 73. Mal jährte.

Die Bilder sind drastisch und die Fanszene des Vereins für seine nationalen und rechtsradikalen Aktionen bekannt. Żyleta, die Rasierklinge, heißt die in Polen berüchtigte Kurve der Legia-Ultras. Einerseits werden sie für Aufsehen erregende und UEFA-kritische Choreographien gefeiert – andererseits sind sie für ihre Gewalt-Exzesse gefürchtet. In der vergangenen Saison klauten Legia-Hooligans im Champions-League-Spiel gegen Borussia Dortmund einigen Ordnern im heimischen Stadion Pfefferspray und versuchten, den BVB-Block zu stürmen. 2015 schallte es in einem Heimspiel aus der Kurve: "Ganz Legia schreit laut und deutlich: Nein zu der islamischen, wilden Horde."

Die heutige Aktiengesellschaft Legia Warschau wurde 1916 als Fußballverein der polnischen Legionen gegründet und die Ultras des Vereins gedenken nicht zum ersten Mal dem Warschauer Aufstand von 1944. "Choreografien präsentieren die Legia-Ultras seit Jahren rund um den 1. August", erklärt Journalist und Polen-Experte Thomas Dudek im Gespräch mit VICE. "Ähnliche Choreos wirst du rund um den 1. September, den Jahrestag des Zweiten Weltkrieges, in fast allen polnischen Stadien sehen."

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Der 1. August, der Tag des Warschauer Aufstands, ist im gesamten Land ein historisches Datum. An jenem Tag im Jahr 1944 kämpfte die polnischen Heimatarmee im besetzten Warschau gegen die deutschen Besatzungstruppen. Nach 63 blutigen Tagen kapitulierten die polnischen Widerständler. Die deutschen Truppen begingen Massenmorde und töteten in verschiedenen Massakern Zehntausende Zivilisten. Insgesamt soll es zwischen 50.000 und 225.000 Opfer aus der Zivilbevölkerung gegeben haben. Die Stadt Warschau wurde während des Aufstands fast vollständig zerstört.

"Die polnische Ultra-Szene ist sehr patriotisch, teilweise gar rechts, und dadurch sehr geschichtsbewusst", erklärt Dudek. "Was man den Ultras lediglich vorwerfen kann, ist die Tatsache, dass sie ein etwas einfach Geschichtsbild haben mit einem simplen Gut-Böse-Bild." In polnischen Medien wurde die Choreo am Mittwochabend gelobt – weil sie unter anderem zum Geschichtsunterricht beitragen würde. "Es ist eine brutale und kontroverse Lektion der Geschichte", kommentierte ein Sportjournalist des Sportportals Sportowefakty.

"Die Darstellung mag zwar etwas drastischer sein als sonst, aber ich würde das jetzt nicht unnötig dramatisieren oder gar skandalisieren", meint auch Journalist Dudek. "Skandalös wirkt es vielleicht nur durch den Umstand, dass die PiS-Regierung zeitgleich eine knallharte antideutsche Rhetorik durchzieht." Im vergangenen Jahr sorgte Parteichef Jaroslaw Kaczynski für Aufsehen, als er sagte, dass in Deutschland die Demokratie abgeschafft sei.

Erst am Dienstag forderte er eine "historische Gegenoffensive" seines Landes in Bezug auf die Prüfung von Reparationsforderungen an Deutschland. Das Ergebnis soll nächste Woche vorliegen. Bis dahin dürften die Erinnerungen an die Gräueltaten der Nazis nicht nur in den Köpfen der Polen ziemlich lebendig sein – auch wegen des kleinen Jungens mit der Nazi-Waffe an der Schläfe aus der Legia-Choreografie.

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