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10 Fragen

10 Fragen an Valentin Landmann, die du schon immer stellen wolltest

Ist dir egal, ob deine Mandanten schuldig sind? Wie viele Verbrechen hast du schon begangen? Wie kannst du als Verteidiger von Vergewaltigern und Rechtsextremen noch in den Spiegel schauen?
Alle Fotos von Yves Suter

Beim Wort "Allgemeinpraktiker" denken die meisten vermutlich an ihren Hausarzt und nicht an einen Anwalt von Pädophilen, Vergewaltigern und Rechtsextremen. Trotzdem beschreibt sich Valentin Landmann auf seiner Website so. Er schreckt vor keinen Verbrechern zurück und verteidigte zum Beispiel einen Mann, der seinen eigenen Sohn vergewaltigt und an andere Pädophile verkauft hatte. Landmann scheut sich nicht vor dem, was die Medien über ihn schreiben. "Wenn ich jedes Wörtchen korrigiere, dann bin ich für jedes Wörtchen verantwortlich und es ist nicht mehr das, was der Journalist schreiben wollte", erklärt er.

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Landmann wuchs als Sohn einer deutschjüdischen Schriftstellerin und eines Philosophen in einer Villa am St. Galler Rosenberg auf. Sein Jurastudium an der Universität Zürich schloss er in der Minimalzeit von sechs Semestern ab. Mit 29 Jahren ging er als Gaststudent nach Hamburg. Die Stadt weckte bei ihm ein Interesse für die Unterwelt. Eines Tages klopfte er bei den Hells Angels an, um zu erfahren, wie Gangster leben. Er fand Freunde fürs Leben in der Gruppe – nicht zuletzt weil er ihnen seinen juristischen Beistand anbot. Stolz zeigt mir Landmann einen silbernen Totenkopfanhänger an seiner Gürtellasche, die er damals mit einem "Angel", wie er die Typen konsequent nennt, gekauft hatte.

Als wir ihn zum Gespräch in seiner Anwaltskanzlei in der Nähe des Irchelparks in Zürich treffen, bedauert es der 67-Jährige, dass aufgrund seiner Erkältung der durchdringende Blick auf den Fotos fehlen würde. Aber wir sind ja nicht nur da, um nette Bilder zu machen, sondern um ihm Fragen zu stellen.

VICE: Anwälte dürfen nie was Falsches sagen. Kann man mit dir überhaupt noch ein lockeres Gespräch führen?
Valentin: Früher war ich ja ein sehr schüchterner und unlockerer Junge. Und noch heute bin ich kein lockerer Mensch. Man sieht es mir vielleicht nicht an, jedoch bin ich vor einer Verhandlung stets sehr angespannt. Aber ich bemühe mich, nicht verkrampft zu wirken, sondern auszudrücken, was ich meine.

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Wie kannst du als Verteidiger von Vergewaltigern, Pädophilen und Rechtsextremen morgens noch in den Spiegel schauen?
Ich habe noch nie in meinem Leben ein Delikt verteidigt. Ich stehe für die Menschen dahinter ein. Ich habe meine Moral, aber die kannst du nicht in jedem Fall anwenden. Die Leute haben unterschiedliche Hemmschwellen, anderen etwas anzutun. Ich könnte sogar einen Terroristen verteidigen, wenn er bereit ist, zu erklären, wie es dazu gekommen ist. Wenn er von seinem Delikt schwärmt, braucht er zwar auch einen Verteidiger, das muss dann aber nicht ich sein.

Ist es dir egal, ob deine Klienten schuldig sind?
Oft kann ich nicht sagen, ob er oder sie schuldig ist. Natürlich nimmt es mich wunder, ob etwas stattgefunden hat oder nicht. Wenn die Tat nachgewiesen wird oder der Verdächtige nach einer Zeit zugegeben hat, dass er es war, interessiert mich vordergründig, wie der Konflikt entstanden ist. Nicht aber die Tatsache, dass er überhaupt passiert ist. Diese Leute sind für mich auch nicht pauschal schlecht. Menschen haben einfach unterschiedliche Hemmschwellen, anderen etwas anzutun.


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Suchst du dir gezielt Fälle aus, mit denen du nachher in der Presse landest und ordentlich Kohle verdienst?
Ich habe mich noch nie um einen Fall beworben. Und ob ich einen Fall annehme, hängt nicht von der Schwere des Delikts ab, sondern davon, ob etwas sinnvoll machbar ist. Theoretisch könnte ich den Leuten Geld aus der Tasche ziehen, indem ich einen Fall annehme, obwohl ich schon im Vornherein weiss, dass ich nichts tun kann. Das mache ich aber nicht. Ich gehe auch nie zur Presse, um von einer Geschichte zu erzählen. Wünschen die Medien aber eine Stellungnahme von mir, freut es mich, wenn es mir dadurch gelingt, das Interesse in der Öffentlichkeit zu fördern.

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Wie viele Verbrechen hast du selber schon begangen?
Ich pflege normalerweise, keine Verbrechen zu begehen. Es bleibt bei dieser Aussage.

Du hast einen grossen Wandel durchgemacht vom Streber zum Verteidiger der "harten Typen". Gelingt es dir immer, deine Vergangenheit zu verdrängen?
Das intellektuelle Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, hatte schon einen Einfluss auf mich: Ich war sehr strebsam. Aber sicherlich hat es einmal einen Ausbruch gegeben, weil ich auch anderes sehen wollte. Eine Kompensation hat stattgefunden, als ich mich mit den Hells Angels angefreundet habe. Heute verteidige ich Leute aus ganz unterschiedlichen Milieus und natürlich sind auch harte Jungs darunter. Wobei die ja gar nicht so viel anstellen. Der letzte wirklich gröbere Fall eines Hells Angels in der Schweiz liegt zum Beispiel etwa 20 Jahre zurück. Die sind auf ihre Art durchaus auch bürgerliche Menschen, die einem normalen Beruf nachgehen.

Kann man wirklich alles vergeben und vergessen?
Ich finde es immer problematisch, wenn Verwandte von Tätern sagen, sie vergeben es ihm, dass er gemordet hat. Eine Sache kann zwar als erledigt angesehen werden, aber vergeben werden muss sie noch lange nicht. Wenn jemand getötet wurde, gibt es nur noch die religiöse Vergebung – wenn überhaupt.

Streitest du einfach gerne?
Ich mag private Auseinandersetzungen überhaupt nicht und bin noch nie handgreiflich geworden. Angesichts der Tatsache, dass ich schon ziemlich betagt bin, ist die Chance klein, dass ich jemals handgreiflich werde. Lieber ziehe ich mich in einem Streit zurück, denn Ausrasten liegt nicht in meiner Wesensart.

Mörder und Betrüger gehören zu deinem Alltag. Wovor fürchtest du dich trotzdem noch?
Mittlerweile habe ich viele meiner früheren Ängste abgelegt. Ich denke auch, dass ich keine Angst vor dem Tod habe. Ein Hells Angels hat mir einmal an einer Beerdigung gesagt: "Der Tod gehört zum Leben dazu. Angst vor dem Tod brauchst du nicht zu haben, sondern davor, im Zeitpunkt des Todes nicht gelebt zu haben." Ich geniesse also mein Leben einfach.

Du giltst als Selbstdarsteller. Wünscht du dir insgeheim, dass dir irgendwann jemand ein Denkmal errichtet?
Für ein Denkmal bin ich noch zu wenig tot. Ich würde es aber schon begrüssen, wenn mich viele Menschen in Erinnerung behalten als jemanden, der etwas für sie getan hat. Ich will dazu beitragen, dass man erkennt, wie ein Verbrechen funktioniert und dass in diesen Gebieten die Rechtssetzung vorsichtiger passiert. Ich bin zum Beispiel überzeugt davon, dass die Liberalität von Prostitution das Beste ist, um Verbrechen zu vermeiden. Es handelt sich um eine Dienstleistung wie jede andere auch. Sozial gemeinte Gesetze schaffen hier ökonomische Anreize und letztendlich hat es sich gezeigt, dass ökonomische Anreize auch einen Anreiz für Missbrauch schaffen.

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