LGBTQ

Wir haben Drag Queens gefragt, was sie von Heidi Klums neuer Drag-Show halten

"'Queen of Drags?' Heidi Klum als Jurorin eines Drag-Wettbewerbs kommt ähnlich rüber, wie wenn Herr Gauland das Berghain leiten würde."
Heidi Klum mit Drag Queen
Foto: imago | Oliver Langel

Drag ist keine homofeindliche Punchline, Drag ist Kunst. In den USA ist diese Tatsache spätestens durch RuPaul’s Drag Race in den Köpfen angekommen. Im deutschen Mainstream tut man sich noch schwer mit diesem Gedanken. Eigentlich hätte es also ein Grund zum Feiern sein können, dass ProSieben jetzt ankündigte, eine eigene Version der amerikanischen Kult-Show zu produzieren: Queen of Drags. Wäre da nicht die Tatsache, dass die Sendung von GNTM-Castingroboter Heidi Klum moderiert wird – und die Ankündigung zur Show sich liest, als hätten die Macher und Macherinnen gar nichts verstanden. Mittlerweile gibt es sogar eine Petition, die die Ausstrahlung in dieser Form verhindern will.

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Wir haben Leute aus der Drag-Szene gefragt, was sie von Queen of Drags (und natürlich Heidi) halten.

Ryan Stecken: "Als Massenbelustigung dürfen wir herhalten"

Drag Quing, Dragalienclownslut, Drag Performer und Polit(boy)tunte

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Fotocredit: Victor Hensel-Coe

Ich finde, dass Heidi Klum als Frontfigur für Queen of Drags eine absolute Fehlbesetzung ist. Wo ist die queere Sichtbarkeit, wenn die sichtbarste Person dieser Produktion eine heterosexuelle Cis-Frau ist? Als Massenbelustigung dürfen wir herhalten, aber um eine Dragshow zu repräsentieren, in der es um unsere Kultur geht, wir dann doch nicht gut genug? Das ist, als würde man einen Mann an die Spitze eines Frauenausschusses setzen.

Wir kämpfen schon seit Jahren um queere Sichtbarkeit und viele freuen sich jetzt, dass wir endlich die Chance haben in den Mainstream zu gelangen. Aber Chance ist nicht gleich Chance, und ProSieben ist nicht gerade für seinen respektvollen und menschlichen Umgang mit Reality-Show-Kandidaten bekannt. Drag hat eine sehr reiche Kultur und damit verbundene Geschichte, die man kennen und selber erlebt haben muss, um eine solche Show respektvoll und authentisch aufzuziehen. Es scheint mir, als wären wenige bis gar keine Menschen in die Produktion involviert, die überhaupt irgendeine Ahnung von der Materie haben.

Das sieht man alleine schon an dem Promotext, in dem sie von "Männern" sprechen, die sich in "hinreißende Glamourgirls verwandeln". Drag ist viel mehr als das. Nicht alle Drag-Performer sind Männer oder identifizieren sich mit Glamour. Und schon fallen alle Drag Kings und trans*, nichtbinäre und afab (assigned female at birth) Drag Performer hinten runter. So viel zu "facettenreich," ein Wort, dass ebenfalls im Promotext fiel. So viel zu Sichtbarkeit! Für mich sieht das alles einfach nur nach reiner Ausschlachte der queeren Kultur aus – von Leuten, die außerhalb des Finanziellen kein Interesse an dieser Kultur haben. Ich möchte keine Cashcow für irgendwelche heterosexuellen Menschen sein.

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León Romeike: "Das ist respektlos"

Fashion Director

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Normalerweise sind mir die ganzen ProSieben-Shows und RTL2-Perversionen ziemlich egal, aber das hat mich tatsächlich getroffen. Alleine schon, dass der erste Post, der die Show ankündigt, nur eine schlicht gekleidete Heidi Klum zeigt und sonst niemanden, ist respektlos. Das ist ein deutliches Signal, dass das Heidis neue Show wird. Conchita, der Typ von Tokio Hotel und die "unscheinbaren" Männer, die "in Glamour Girls verwandelt" werden, finden daneben irgendwie auch noch statt. ProSieben scheint sich nicht dafür zu interessieren, dass alle Teilnehmer*innen, Conchita und Bill Kaulitz bei der Ankündigung in full drag auf einer Bühne in Köln standen, während Heidi zu Hause geblieben ist. Bilder von den Queens an diesem Abend habe ich auch nicht gefunden. Das sieht für mich nicht so aus, als ob die Show Respekt vor der Arbeit hat, die in jedem einzelnen Look steckt.

Viagra Falls: "Unglaublich peinlich und unglaublich deutsch"

Drag Queen, Real Housewives of Neukölln

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Foto: bereitgestellt von Viagra Falls

"Queen of Drags?" Zuerst einmal ist das ein schrecklicher Titel. Unglaublich peinlich und unglaublich deutsch. Zweitens: Was genau hat Heidi Klum mit der Drag-Kultur am Hut? Es macht mich wütend und ich finde es ein bisschen beleidigend, dass Frau Klum ausgewählt wurde. Schließlich wäre das eine Möglichkeit gewesen, die Drag-Kultur zu supporten, indem man eine Person aus der Szene selbst auswählt. Das nimmt der Kunstform ihre Queerness und echten Drag Queens die Möglichkeit, gehört zu werden. Heidi Klum zur Drag-Richterin zu ernennen, ergibt keinen Sinn – das ist nicht Germany’s Next Topmodel, wo ein weltberühmtes Model andere Models danach bewertet, wie gut sie modeln. Die Machtdynamiken bei Queen of Drags sind weitaus problematischer.

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Ich glaube, dass diese Show Drag Queens wie Freaks im Zirkus vorführen wird, mit Frau Klum als Dompteurin.

Wer eine solche Show moderiert, wird zu ihrem Gesicht. Und es ist einfach nur lächerlich, dass Frau Klum qualifiziert sein soll, eine Kultur zu repräsentieren, mit der sie nichts zu tun hat. Das ist, als würde man Angela Merkel eine Cheerleader-Meisterschaft moderieren lassen. ProSieben hat offensichtlich kein Interesse daran, Drag Queens zu unterstützen, was mich nicht im Geringsten überrascht. Stattdessen wollen sie mit der aktuellen Popularität von Drag Geld machen, und ein großer Name wie der von Heidi Klum wird ihnen dabei helfen. Ich glaube, dass diese Show Drag Queens wie Freaks im Zirkus vorführen wird, mit Frau Klum als Dompteurin. Wie könnte es auch anders sein?

Kaey: "Heidi Klum ist nicht die passende Repräsentantin dieser Community."

trans* Aktivistin, Sängerin, Redakteurin und Style-Kolumnistin bei der Siegessäule, Deutschlands größtem queeren Magazin

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Foto: Alexander Heigl

Drag ist eine Kunstform, die ihren Ursprung in der queeren Subkultur hat. RuPaul hat es geschafft, diese Kunstform auch im Mainstream zu etablieren. Das hat nur funktioniert, weil RuPaul selbst schwul ist und eine Drag Queen. Heidi Klum ist demnach nicht die passende Repräsentantin dieser Community. Offensichtlich soll bei diesem Format Drag für den ProSieben-Zuschauer erträglich und leicht konsumierbar gemacht werden. Genau wie Germany's Next Topmodel, wird die Sendung sicherlich mit schlimmen Stereotypen aufwarten. Wie unfähig Heidi Klum ist, mit queeren Themen umzugehen, konnte man bereits sehen, wenn sich trans Frauen als Models in der Sendung beworben haben. Die Mädels wurden vorgeführt und exotisiert – das Gleiche wird uns auch bei Queen of Drags erwarten. Das ist ein Ausverkauf der queeren Minderheit. Pink Washing par excellence.

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Pansy: "Für mich und meine Arbeit ist diese Show irrelevant, ich würde sie niemals angucken"

Drag Queen

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Foto: bereitgestellt von Pansy

Jeder fragt mich das gerade und ehrlich gesagt: Es ist mir scheißegal. Für mich und meine Arbeit ist diese Show irrelevant, ich würde sie niemals angucken. Heidi Klum ist genauso Drag Queen wie alle anderen. Die Show wird schrecklich. Sie werden die Queens für das heterosexuelle Publikum ausschlachten und sich über sie lustig machen.

Jurassica Parka: "Ich habe natürlich Sorge um den Ausverkauf der queeren Kultur"

Drag Queen

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Foto: Kai Hemberg

Ich bin generell kein Fan von RuPaul’s Drag Race, habe mich aber natürlich mit dem Thema beschäftigt. Ich habe aus internen Quellen gehört, dass die Produzenten der deutschen Version sonst ziemliches Trash-TV produzieren. Da habe ich natürlich Sorge um den Ausverkauf der queeren Kultur. Wir werden ja gerne mal als die Paradiesvögel dargestellt, oder die Männer, mit denen Frau gut shoppen gehen kann – und das war’s. Dass die Sendung nicht von einer Drag Queen, einem Drag King oder einem anderen Mitglied der queeren Community präsentiert wird, finde ich sehr schade. Das ganze riecht nach Heteronormatisierung eines eigentlich sehr schwulen Formats, damit die Werbekunden nicht abspringen.

Das ganze riecht nach Heteronormatisierung eines eigentlich sehr schwulen Formats, damit die Werbekunden nicht abspringen.

Heidi Klum wird jetzt damit zitiert, dass sie die Drag-Kultur "schon immer toll" gefunden hätte, und sie hat sich jetzt auch auf dem CSD in Los Angeles gezeigt. Aber für mich ist das nicht authentisch. Heidi ist eine heterosexuelle Frau, die gerne mal in der Jury hätten sitzen können – aber als Host ist sie eine Fehlbesetzung. Leider ist das deutsche Fernsehen bislang zu feige gewesen, Drag-KünstlerInnen aufzubauen.

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Dita Whip: "Man könnte auch Andreas Gabalier fragen, einen Christopher Street Day anzuführen"

Drag Queen

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Foto: bereitgestellt von Dita Whip

Drag im deutschen Mainstream-TV – yay!? Mit Heidi Klum als Hauptjurorin setzt ProSieben eine werbeperfekte, privilegierte, weiße Cis-Frau als fragwürdige Scharfrichterin für eine der vielfältigsten und inklusivsten Kunstformen der Welt ein. Man könnte auch Andreas Gabalier fragen, einen Christopher Street Day anzuführen. Heidi Klum ist nicht nur für fragwürdiges verheizen von jungen Frauen bekannt, sondern auch eine Gallionsfigur des melonenbällchenartigen Aushöhlens von "Daih-wör-sitieh". Weder hat sie einen realistischen Einblick in die Probleme von queeren Menschen (of Color), noch ist ihre Mainstream-Idee von Persönlichkeit und Schönheit geeignet, die individuellen Charaktere und Optiken von Drag-PerformerInnen objektiv zu beurteilen.

Dass ProSieben kein tiefgängiges Interesse an der akkuraten Darstellung von durchaus komplexen Personen und Kunstformen hat, spielt ihr und ihrem mitgezogenen Schwager Bill (auch hier die Frage: Was qualifiziert ihn?) natürlich super in die Karten. Letztendlich wird Conchita Wurst neben der Karambolage im Plusquamperfekt sitzen und machtlos zusehen, wie sich Klum und ProSieben auf Kosten queerer Kultur die Taschen vollstopfen.

Ich wünsche den Teilnehmern (anscheinend geht Drag in der ProSieben Welt ja nur für Cis-Männer), dass sie durch das Format keinen Schaden nehmen, sondern Ihre Karriere einen Aufschwung erlebt. Happy Klum Games, Bitches!

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Miss Ivanka T: "Heidi Klum als die Jurorin eines Drag-Wettbewerbs kommt ähnlich rüber, wie wenn Herr Gauland das Berghain leiten würde"

Drag Queen und Creative Director HART Magazine

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Foto: Léon Romeike

Heidi Klum als die Jurorin eines Drag-Wettbewerbs kommt ähnlich rüber, wie wenn Herr Gauland das Berghain leiten würde. Es passt nicht. Eine Hetero-Frau als Gesicht einer Fernsehshow, die queere Kunst repräsentieren soll, klingt nach einem weiteren Versuch, aus einer Kultur die gerade "en vogue" ist, zu Geld zu machen, sie auszuschlachten und dann zur nächsten Subkultur weiterzuziehen. Was sich ProSieben bei Heidi Klum und Bill Kaulitz gedacht hat, bleibt mir ein Rätsel.

Drag steht an der Speerspitze der Sichtbarkeit in Sachen Toleranz und Akzeptanz und Queens und Kings waren immer schon die Vorreiter in einem Kampf gegen eigentlich genau das, was Heidi Klums Germany’s Next Topmodel ist. Deswegen bleibt ein fader Beigeschmack an der an sich guten Idee.

Margot Schlönzke: "Das ist nicht nur kulturelle 'Aneignung', es ist kultureller Missbrauch und Ausverkauf der queeren Szene"

Polit-Tunte, Entertainerin, Sängerin und Moderatorin

Wir begrüßen es ausdrücklich, dass es in Deutschland eine Version von

RuPaul’s Drag Race

geben wird. Die Drag-Szene ist auch in Deutschland so unglaublich vielseitig, kreativ, inspirierend und in den letzten Jahren extrem gewachsen, so dass dieser Schritt längst überfällig war. Als die ersten Gerüchte auftauchten, dass Heidi Klum der Sendung ihr Gesicht und der Jury vorsitzen sollte, unkten wir noch darüber, dass dies ja wohl die undenkbarste aller Möglichkeiten wäre, weil dies auf unzähligen Ebenen falsch ist. Doch dann der Schock: Es ist wahr!

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Heidi Klum hatte bisher keinerlei Verbindung zur Drag-Community und auch nicht das Leben einer Drag gelebt. Und nun soll sie bei der deutschen Version der wahrscheinlich erfolgreichsten queeren Sendereihe den Vorsitz der Jury innehaben und damit Geld verdienen? Das ist nicht nur kulturelle "Aneignung", es ist kultureller Missbrauch und Ausverkauf der queeren Szene. Die queere Community bietet viele kompetente Menschen, die besser in der Jury aufgehoben wären.


Auch bei VICE: Berlins neue Drag-Szene lässt die Nächte glitzern


Auf Kosten der Drag-Community – insbesondere auf Kosten der teilnehmenden Drags – soll ein heteronormatives voyeuristisches Publikum belustigt werden, welches nach neuer öffentlicher Zurschaustellung vermeintlich "perverser" oder "abnormer" Randgruppen geifert.

ProSieben hatte die Chance, das durch und durch queere Original-Konzept mit einer queeren Frontperson zum Erfolg werden zu lassen. Stattdessen haben sie bewiesen, dass die LGBTIQ-Community exakt 50 Jahre nach Stonewall darum kämpfen muss, selbst in den offensichtlichsten Momenten ernsthaft berücksichtigt zu werden.

Wir fordern hier nicht, dass eine Drag Queen das Fußball-WM Finalspiel moderiert und kommentiert. Wir kämen aber auch nie auf die Idee, Dieter Bohlen die offizielle Frauenfußball-WM-Übertragung kommentieren zu lassen, um das den Frauen dann als Fortschritt der Emanzipation zu verkaufen.

Sheila Wolf: "Vielleicht heißt es ja am Schluss: 'Sashay Away, Heidi' und die beiden queeren Ikonen wuppen das Ding alleine"

Hetero Drag Burlesque Performer und Producer

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Fotocredit: Stecor.nl

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Leider ist es einfach so, das Major-Sender wie ProSieben die Lust am Risiko verloren haben. Aus diesem Grund kann gar kein authentisches Format wirklich durchstarten – schon gar kein queeres. Es wird nur noch aufgewärmt und aufgegossen, was das Zeug hält. Wie viele Castingshows verträgt das interessierte Publikum und das Schlimmste daran: Auf wessen Rücken will man sich weiterhin die Führungsgehälter vergolden? Wer erinnert sich an die ausgeschiedenen Kandidaten von GNTM oder DSDS? Mal abgesehen von denen, die die Sender mit üppig Sendezeit versorgten, weil sie extrem polarisierten.

Heidi Klum und Bill Kaulitz kennen weder die Ängste noch die Sorgen von Menschen, die Drag ausleben. Sie wissen nicht, wie es ist ausgegrenzt oder gar von der Familie verachtet zu werden.

Dann ist da noch die Tatsache, dass Heidi Klum zum Thema Drag absolut nichts beitragen kann, genauso wenig wie Bill Kaulitz. Natürlich können sie es mögen und natürlich haben sie Menschen im Umfeld, die das gegebenenfalls ausleben – aber reicht das? Ich finde nicht. Sie kennen weder die Ängste noch die Sorgen, sie wissen nicht, wie es ist ausgegrenzt oder gar von der Familie verachtet zu werden. Sie können auch nur bedingt beurteilen wie aufwendig es ist, sich so zu verwandeln oder was es bedeutet zu lipsynchen.

Als Veranstalter(in) entsprechender Events in Berlin weiß ich, wie wichtig es ist, mit dem Thema behutsam, sorgfältig und auf Augenhöhe umzugehen – gerade weil ich wie Heidi eine Hete bin. Ich war beim Casting für Queen of Drags, und wenn sich bewahrheitet, was ich dort erlebt habe, dann sehe ich dieses Augenmaß nicht und auch nicht die Vielfalt, die so ein Format braucht. Aber wie sagt man so schön: abwarten und Schampus trinken. Ich hoffe auf Conchita und auf die Aussage, dass Olivia Jones ihren Teil dazu beiträgt. Beide halte ich für eloquente Vertreter unserer Kunst. Vielleicht heißt es ja am Schluß "Sashay Away, Heidi" und die beiden queeren Ikonen wuppen das Ding alleine.

Anmerkung der Redaktion: Das Statement von Parisa Madani haben wir auf ihren eigenen Wunsch hin entfernt.

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