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Tragödie

Wie Menschen in Paris den Brand der Notre-Dame erlebt haben

"Ich konnte nicht einfach vorm Fernseher sitzen bleiben. Es fühlt sich so an, als wäre jemand aus meiner Familie gestorben." – Christelle

Die Pariser Brücke Pont de la Tournelle, 22 Uhr am Montagabend: Gewaltige Rauchschwaden steigen von der weltberühmten Kathedrale Notre-Dame auf, das 856 Jahre alte Gebäude steht seit mehr als drei Stunden in Flammen.

Von der Brücke aus schauen Hunderte auf die brennende Notre-Dame, dabei singen sie das Ave Maria. Von hier haben sie einen direkten Blick auf die Rückseite der Kathedrale, wo die Flammen am stärksten lodern. Fast bis über die beiden berühmten Türme reichen sie. Es scheint, als wäre ganz Paris an diesem Abend auf der Straße, um noch einen Blick auf das historische Wahrzeichen zu werfen – falls es für immer zerstört wird.

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Foto: SOLAL | SIPA

Der Gesang scheint die Menschenmenge zu beruhigen. Es ist nicht leicht mit anzusehen, wie fast fast tausend Jahre Geschichte zu Ruß und Asche wird. Was die Menschen vor Ort zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Die etwa 400 Feuerwehrleute bringen den Brand später unter Kontrolle und bewahren so die beiden Haupttürme vor dem Einsturz. Doch den Dachstuhl und den Spitzturm können sie nicht retten. Unbezahlbare historische Artefakte lagern im Inneren der Kathedrale, darunter eine uralte Dornenkrone und ein Stück Holz, das angeblich zu Jesu Kreuz gehörte. Aktuellen Berichten zufolge sollen diese Stücke unversehrt sein, der Zustand von Artefakten aus dem Dachstuhl ist noch nicht bekannt.

Wir haben mit Pariserinnen und Parisern gesprochen, die auf der Pont de la Tournelle zusahen, wie eines der wichtigsten Symbole ihrer Stadt brannte.

Eva, 29

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Foto: Rebecca Topakian

"Ich wohne im 13. Arrondissement, wir konnten den Brand durchs Küchenfenster sehen. Als wir noch näher an Notre-Dame wohnten, war die Kathedrale einer unserer liebsten Ausflugsorte. Ich bin traurig, entsetzt und schockiert. Jetzt denke ich ständig, dass wir den Anblick von Notre-Dame nicht genug genossen haben, als sie noch unversehrt war. Dass wir das vielleicht für immer bereuen werden. Es mag nur ein Wahrzeichen sein, aber ich fühle mich, als würden wir um eine Person trauern. Außerdem bin ich Katholikin, also geht mir das alles auch auf spiritueller Ebene nah."

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Christelle, 42

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Foto: Rebecca Topakian

"Ich bin in einem der Vororte von Paris aufgewachsen. Wenn ich als Kind mit meinen Eltern in die Stadt gefahren bin, haben wir immer die Opéra Garnier und Notre-Dame angeschaut. Ich bin richtig schockiert, der Brand ist so schrecklich. Mir wurde richtig schlecht, als ich davon hörte. Ich konnte da nicht einfach vorm Fernseher sitzen bleiben. Es fühlt sich so an, als wäre jemand aus meiner Familie gestorben. Die Kathedrale war nicht nur ein fester Bestandteil meiner Kindheit, sondern gehört auch einfach zu Frankreich. Ich habe das Ganze erst nicht glauben können. Ich bin jetzt hier, weil ich Angst hatte, die Kathedrale nie wieder zu sehen. Und ich habe meine Tochter mitgebracht, damit wir hier zusammen stehen können."

Philippe, 60

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Foto: Rebecca Topakian

"Ich bin vor 45 Minuten hier angekommen. Als ich von dem Feuer hörte, ging ich davon aus, dass die Feuerwehr die Flammen schnell unter Kontrolle bekommt. Jetzt brennt die Kathedrale aber schon seit fast drei Stunden. Im Grunde bin ich vor allem traurig. Und es sind so viele Menschen hergekommen. Das zeigt doch nur, dass es sich um keinen gewöhnlichen Brand handelt. Das Ganze wird uns noch lange beschäftigen."

Louis, 21

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Foto: Rebecca Topakian

"Wir leben im 15. Arrondissement, nicht so weit von Notre-Dame entfernt. Als wir davon gehört haben, sind wir sofort hergekommen. Das war vor drei Stunden. Wir wissen selbst nicht genau warum. Vielleicht ist es morbide Neugier, oder es liegt daran, dass wir Pariser sind. Vielleicht glauben wir nur, was wir mit eigenen Augen sehen. So wirklich haben wir es auch noch nicht verstanden, es ist einfach unfassbar. Es ist ein bisschen wie bei den Attentaten von Paris. Die wollten einfach nicht in unsere Köpfe. Zum Glück stehen jetzt keine Menschenleben auf dem Spiel, jedenfalls nicht direkt. Notre-Dame ist Teil der Pariser und der französischen Identität. Eigentlich haben wir morgen eine Prüfung, aber wir werden wahrscheinlich noch lange ausharren – zumindest, bis sich die Situation beruhigt hat. Wenn die Kathedrale einstürzt, bleiben wir hier."

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Théo and Clélia, 19

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Foto: Rebecca Topakian

Théo: Ich bin seit einer Stunde hier. Als ich um 19 Uhr die Nachrichten gesehen habe, musste ich sofort herkommen. Ich bin Pariser. Ich bin hier geboren. Und Notre-Dame ist für mich, wie wahrscheinlich für alle, das größte Bauwerk von Paris. Es ist ein Teil von Paris. Und wenn sie das Feuer nicht löschen können, wäre das ein Desaster. Vielleicht stürzt sie zusammen. Mir fehlen die Worte.

Clélia: Es ist einfach surreal. Als ich davon erfuhr, dachte ich erst, das sei ein Witz. Eigentlich wollte ich gar nicht herkommen. Und es ist noch gar nicht vorbei. Ich bin völlig fertig.

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Foto: Lewis Joly | SIPA

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Foto: SOLAL | SIPA

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Foto: Emma Prosdocim | SIPA

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Foto: Francois Mori | AP | SIPA

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Foto: Rebecca Topakian

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Foto: Lewis JOLY | SIPA