Junge Väter erzählen über den fehlenden Vaterschaftsurlaub

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gleichberechtigung

Junge Väter erzählen über den fehlenden Vaterschaftsurlaub

Was tun Männer, die ihr Baby aufwachsen sehen wollen? Zu Besuch bei fünf jungen Schweizer Vätern.

Alle Bilder von Marlene Zuppiger

Männer und Frauen sind vor dem Schweizer Gesetz gleich. Väter und Mütter nicht. Richtig bewusst wurde mir das erst, als mein Bruder Alex vor ein paar Wochen Vater wurde. Seine Ehefrau Nadine bekam mehrere Monate Mutterschaftsurlaub, während er offiziell nur einen Tag zur Verfügung hatte, um sich um seinen Sohn Niklas zu kümmern.

So will es das Bundesgesetz: Müttern steht nach der Geburt eines Kindes 14 Wochen Mutterschaftsurlaub zu, Väter werden nicht berücksichtigt. Bis sich daran etwas ändert, wird es noch Jahre dauern. Eine Initiative für 20 Tage Vaterschaftsurlaub ist zwar geplant, bis sie vors Volk kommt, dürften aber laut Initiator Adrian Wüthrich noch drei Jahre vergehen und natürlich ist der Ausgang dieser Abstimmung offen. Auch wäre mit einem Ja an der Urne die komplette Gleichstellung nicht erreicht. Das kann nur eine geschlechtsunabhängige Elternzeit wie in Deutschland oder Schweden und die Lohngleichheit. Immerhin wäre ein offizieller Vaterschaftsurlaub ein Schritt in die richtige Richtung.

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Da der Vaterschaftsurlaub noch in weiter Ferne liegt, wollte ich genauer wissen, wie junge Väter mit dieser Ungerechtigkeit umgehen. Ich beschloss, für einmal Männer in den Fokus der Betreuungsfrage zu rücken. Ich wollte sehen, wie ihr Alltag aussieht und was sie sich für ihre Kindern wünschen. So habe in den vergangenen Wochen und Monaten zusammen mit der Fotografin Marlene Zuppiger meinen Bruder und Neffen und andere Schweizer Väter und ihre Kinder zuhause besucht und nach Antworten gesucht.

Alex mit Niklas Jasper

VICE: Unser Vater hat mir erzählt, dass es ihm schwer fiel, unsere Mutter am Anfang mit dir als Neugeborenes zuhause zu lassen. Er sagt, er habe zu viel verpasst. Versuchst du zu verhindern, dass dir das Gleiche passiert wie ihm vor 29 Jahren?
Alex: Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich als Student und Tennislehrer flexibel bin und im Gegensatz zu ihm keinen Standard-100-Prozent-Managerjob habe. Ich habe mein Arbeitspensum ein wenig reduziert und lerne für die Uni öfters zuhause.

Was bedeutet es für dich, ein moderner Vater zu sein?
Ich versuche die gleichen Sachen mit dem Baby zu machen wie die Mama und Verantwortung zu übernehmen.

Befürwortest du Vaterschaftsurlaub im Allgemeinen?
Ja, klar. Ich bin für Gleichberechtigung. Es ist schade, wenn Vätern die Chance genommen wird, genügend Zeit mit dem Neugeborenen zu verbringen.

Was ist eure Lösung im Bezug auf die Kindererziehung? Wie sieht momentan ein typischer Tag aus? Wer verbringt wie und wie viel Zeit mit Niklas?
Im Moment wird Niklas vor allem von meiner Frau Nadine betreut. Ich versuche so oft es geht dabei zu sein. Ein normaler Tag sieht etwa so aus: Ich werde von Niklas geweckt und wickle ihn. Dann schläft er wieder ein und Ich nutze die Zeit für ein Workout und frühstücke dann. Danach lerne ich und gehe Mittags an die Uni oder arbeiten. Zwischen 17:00 und 19:00 Uhr bin ich wieder zuhause und übernehme das letzte Wickeln bevor Niklas schlafen geht.

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Was ist eure längerfristige Planung?
Der Plan ist, dass Nadine nach sechs Monaten wieder 60 bis 70 Prozent bei einer grossen Bank arbeitet. Ich reduziere mein Pensum dann auf 80 Prozent, damit ich einen Wochentag alleine mit Niklas verbringen kann. Meine Frau kümmert sich dann so zwei Tage um Niklas und die restlichen zwei Tage verbringt er in der Kita oder bei den Grosseltern.

Bo mit Mael und Noée

VICE: Hattest du bei der Geburt eures zweiten Kindes Noée irgendeine Form von Vaterschaftsurlaub?
Bo: Vom Geschäft waren es drei Tage. Für den Rest habe ich Ferien genommen und sechs Wochen unbezahlt. Insgesamt war ich zwei Monate zuhause.

Wie war es bei der ersten Geburt?
Dort war ich etwa zwei Wochen zuhause. Das waren auch Ferientage plus die drei Tage Vaterschaftsurlaub vom Geschäft.

Arbeitest du jetzt wieder 100 Prozent als Landschaftsgärtner?
Jetzt wieder, ja. Ich habe nach den Ferien versucht 95 Prozent zu arbeiten, also einen Freitag im Monat frei zu haben. Wir haben geschaut, ob das etwas bringt. Aber jetzt bin ich wieder bei 100 Prozent, weil das keinen grossen Effekt hatte.

Wie arbeitet deine Frau?
Sie hat nach dem verlängerten Mutterschaftsurlaub wieder angefangen 20 Prozent zu arbeiten. Sie konnte ihn verlängern, weil es von ihrem Geschäft aus OK war. Sie hat fast ein halbes Jahr zuhause verbracht.

Findest du es wichtig, dass der Vater am Anfang bei der Betreuung hilft?
Ja, schon, aber es ist auch sehr individuell: Es kommt darauf an, wie es der Frau nach der Geburt geht. Und auch was die Partner für Vorstellungen haben, wie sie die Situation handhaben wollen. Wir haben mit meinen zwei Monaten gefunden, dass das eher zu viel war. So ein Monat hätte für uns gereicht. Beim zweiten Kind hatten wir auch das Gefühl, dass es sehr hilfreich war für das grössere Kind, weil es so genug Aufmerksamkeit von uns bekommen hat.

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Was stellst du dir für eine ideale Lösung für das Thema Vaterschaftsurlaub vor?
Darüber haben meine Frau und ich uns auch schon viele Gedanken gemacht. Es ist sicher zu wenig. Ich fände zwei Wochen Vaterschaftsurlaub gut. Und dass es dann vielleicht noch eine Übergangangslösung gibt, bei der sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer entgegenkommen können, um individuelle Lösungen zu finden. Grundsätzlich fände ich es gut, wenn es zwei bis drei Wochen Vaterschaftsurlaub gäbe.

Unterstützt du die Vaterschaftsurlaubs-Initiative?
Ja, das finde ich eine super Lösung. Ab zwei Wochen finde ich es gut. Ob vier Wochen sinnvoll sind, darüber kann man sich streiten.

Jérôme mit Charlotte

VICE: Wie bist du an das Thema Vaterschaftsurlaub herangegangen?
Jerôme: Meine Frau Deborah und ich haben uns zuerst nicht so viele Gedanken gemacht, ehrlich gesagt. Die Geburt kam bei mir gerade zu einer sehr turbulenten Zeit. Ich hatte den Job gewechselt und gleichzeitig musste ich noch meine letzten Tage Zivildienst leisten. Ich hatte durch den Jobwechsel auch nur noch wenige Ferientage, das war relativ kompliziert.

Wie lange warst du denn am Anfang zuhause?
Ich hatte von meinem damaligen Arbeitgeber für die Geburt nur drei Tage zur Verfügung und nicht mehr. Die habe ich dann genommen und noch meine letzten paar Ferientage drangehängt. Das war aber insgesamt nur eine Woche. Danach musste ich gleich in den Zivildienst.

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Hat sich das für dich richtig angefühlt?
Nein, das war mir definitiv zu wenig Zeit. Und für Deborah sowieso. Sie hat auf unserem Blog beschrieben, wie sie darunter gelitten hat, dass ich am Anfang nicht länger für sie und Charlotte da sein konnte. Für die Vaterschaftsurlaubsinitiative von 20 Tagen würde ich sofort Ja stimmen.

Findest du diese Lösung optimal?
Eine Elternzeit wie in Deutschland wäre natürlich noch besser. Aber man muss realistisch sein, das wäre in der Schweiz sicher chancenlos. Das was jetzt in der Schweiz zur Debatte steht ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung und ich denke, das ist ein guter erster Schritt.

Du arbeitest 100 Prozent. Ist das deine freie Wahl?
Ich würde am liebsten reduzieren und nur 80 bis 90 Prozent arbeiten, damit ich flexibler bin. Ich versuche das gerade aufzugleisen.

Wie geht deine Firma mit dem Thema Vaterschaftsurlaub um?
Ich weiss aus dem Stehgreif nicht, wie es beim neuen Arbeitgeber aussieht. Aber ich bin sicher, dass man flexibel ist und eine individuelle Lösung findet.

Sind bei euch noch mehr Kinder geplant?
Ein zweites Kind ist sicher ein Thema. Ich würde dann auch unbedingt länger zuhause bleiben wollen, um mehr für es da sein zu können.

Fühlst du dich als Mann benachteiligt, weil es keinen offiziellen Vaterschaftsurlaub gibt?
Ich finde es ist keine gute Situation. Nicht alle haben die Möglichkeit, bei ihrem Arbeitgeber den Vaterschaftsurlaub auszuhandeln und eine zufriedenstellende Lösung zu finden. Oder sie trauen sich vielleicht auch gar nicht danach zu fragen. Es sollte schon eine faire gesetzliche Regelung geben, die für alle gleich ist.

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Matthias mit Emilia

VICE: Wie betreust du und deine Frau Sarah Emilia?
Matthias: Sarah ist noch im Mutterschaftsurlaub. Wobei sie ein halbes Jahr macht, also drei Monate unbezahlt. Ich arbeite zu 100 Prozent.

Wie wollt ihr euch in Zukunft organisieren?
Unser Plan ist, dass ich weiterhin 100 Prozent arbeite und Sarah dann im Sommer 50 Prozent. Danach wird Emilia zwei Tage in der Krippe sein und einen Tag von meiner Mutter betreut werden.

Hattest du Vaterschaftsurlaub?
Ja, für die Geburt bekam ich einen Tag und dann noch fünf Tage vom Geschäft, die ich innerhalb des ersten halben Jahres beziehen kann. Mehr wäre immer schön. Ich habe mir für den Anfang Ferien aufgespart. Ich denke, diese Zeit ist wichtig, damit man gleich ein bisschen in die Betreuung reinkommt und sein Baby kennenlernt.

Bist du für die Initiative 20 Tage Vaterschaftsurlaub?
Nein, ich unterstütze sie nicht. Ich arbeite zwar in einem grösseren Unternehmen, das auch vier Wochen managen könnte. Aber wenn man halt in einem kleineren Betrieb arbeitet, könnten 20 Tage Probleme bereiten. Langfristig wäre es erstrebenswert, klar. Bei zwei Wochen wäre ich sofort dabei.

Was hältst du von Elternzeit wie sie in Deutschland üblich ist?
Das finde ich tendenziell gut, ich finde es wichtig, dass beide Eltern in der Anfangszeit zuhause sein können, ich war ja anfangs fast fünf Wochen zuhause. Ich finde aber auch, dass man von seinen Ferientagen etwas daran geben sollte. Ich habe mich sehr auf diese Zeit gefreut und meine freien Tage gerne dafür verwendet. Logisch waren das nicht Ferien wie sonst, aber gerade beim ersten Kind ist die erste Zeit etwas Besonderes. Es ist aber schon schwierig, sich als Paar sinnvoll zu organisieren.

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Würdest du den Ist-Zustand in der Schweiz ändern, wenn du könntest?
Zwei Wochen Vaterschaftsurlaub ist ein Luxus, den sich die Schweiz leisten sollte. Und wenn man die Zeit individuell aufteilen könnte, wäre es noch besser. Wenn ich und Sarah gleich viel verdienen würden oder sie mehr als ich, würden wir uns wahrscheinlich auch nicht so traditionell organisieren. Die Debatte um die Lohngleichheit ist für eine Veränderung also auch wichtig.

Sven mit Jamie Riot

VICE: Dein Sohn ist jetzt viereinhalb Monate alt. Wie haben du und deine Freundin Simone seine Betreuung organisiert?
Sven: Wir sind beide selbstständig. Die ersten Monate hatte meine Arbeit Priorität. Nächste Woche fängt Simone wieder mit der Arbeit an und ich setze aus. Wir wollen die Betreuung fifty-fifty organisieren, damit es für uns beide fair ist.

Wie haben die ersten Monate mit Jamie genau ausgesehen?
Der Deal ist, dass Simone in der Nacht aufsteht und ich am Morgen, damit sie ausschlafen kann. Ich kümmere mich also bis am Mittag um Jamie. Dann gehe ich arbeiten. Währenddessen passt Simone auf Jamie auf, bis ich dann abends nachhause komme. Ich denke aber, dass sie schon ein bisschen mehr gemacht hat. Sie hat so 60 Prozent der Betreuung übernommen und ich 40. Wenn sie bald wieder arbeiten geht, ist sie dann eine oder zwei Wochen gar nicht zuhause. Sie ist Filmemacherin und Stuntfrau und dreht Dokus, für die sie die ganze Welt bereist. In der Zeit kann ich natürlich nicht gross arbeiten gehen, vielleicht noch einen Tag, wenn die Grossmutter aufpasst.

Hast du dir Gedanken zum fehlenden Vaterschaftsurlaub in der Schweiz gemacht?
Nein, weil uns dieses Problem als Selbstständige nicht betrifft. Aber jetzt, wo ich darüber nachdenke, finde ich es crazy. Die Schweiz ist ja eines der einzigen westlichen Länder, in denen es keinen gibt. Vor allem wenn man das mit Schweden vergleicht, wo ich auch schon gelebt habe. Da hast du über ein Jahr Elternzeit. Das finde ich extrem cool. Dafür, dass die Schweiz findet, sie sei immer so fortschrittlich, ist sie beim Thema Vaterschaftsurlaub brutal zurück geblieben. Sie ist ein kinderfeindliches Land.

Habt ihr euch vor der Geburt des Kindes gross Gedanken gemacht, wer wann wieviel arbeitet?
Wir haben nicht viel geplant. Wir machen alles Schritt für Schritt. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir das Kind in unser Leben lassen und nicht unser Leben um unser Kind herumbauen. Wir wollten nicht, dass sich alles nur noch um das Kind dreht. Klar verändern sich viele Dinge. Ich denke, das ist auch das Rezept, damit man zufrieden bleibt. Dass man sein Leben nicht um das Kind herum baut.

Ihr macht noch Party?
Klar! Wenn sie in den Ausgang möchte, dann soll sie in den Ausgang und wenn ich möchte, dann gehe ich. Das soll einfach kein Ding sein. Das ist unsere feste Abmachung. Es ist mir zu viele Male passiert, dass ich Kollegen getroffen habe, die ich jahrelang nicht mehr gesehen habe und sie dann gefragt habe, warum sehe ich dich nicht mehr? Und die Antwort war dann: "Ich habe ein Kind." Das ist für mich die Horrorvorstellung. Das man gar nichts mehr anderes macht, als sich um das Kind zu kümmern. Das versuchen wir mit einer guten Planung zu vermeiden. Wir sind beide total motiviert, unser eigenes Zeug zu machen. So ist man viel zufriedener.

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