Das GNTM-Finale ist Schuld daran, dass ich neue Eltern will

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Das GNTM-Finale ist Schuld daran, dass ich neue Eltern will

Außerdem zeigte das Finale, dass es doch noch eine gerechten Gott geben kann und dass brasilianische Mütter besser als Jesus sind.

Foto: imago | APress

Wir können aufatmen. Es ist noch Hoffnung da, dass es ihn gibt: Einen Gott mit Sinn für Gerechtigkeit. Denn hätte gestern Abend Elena das Finale von Germany's Next Topmodel gewonnen, dann wäre mir alles egal gewesen, weil Heidi Klum gelungen wäre, worin Nietzsche versagt hat: Sie hätte den Beweis für die Nichtexistenz oder zumindest den Tod eines gerechten Gottes erbracht.

Seit der allerersten Folge habe ich gezittert, dass das nicht passiert—ja, ich habe die erste Folge der aktuellen Staffel gesehen, und ja, ich weiß, dass ich keine 15 Jahre alt bin, Zahnspangen trage und meine Fingernägel nicht mit nudefarbenen Cut-outs lackiere. Wie und weshalb ich Zeuge der ersten Episode der mittlerweile elften Stafel wurde, tut nichts zur Sache, und es würde zu lange dauern, das zu erklären. Fakt hingegen ist, dass ich mich damals, als Elena zum allerersten Mal über den Fernsehapparat flimmerte, zu meiner Ex-Freundin drehte und sagte: "Pass auf, die gewinnt das Ding und dann sind wir alle am Arsch."

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Vom ersten Augenblick an wusste ich, mit dieser Göttin muss etwas faul sein. Während in der Vorauswahl alle anderen 'Mädchen' darum zitterten, einen der 21 heißbegehrten Hauptplätze für die Staffel zu bekommen, brillierte Elena durch eine Form der Unaufgeregtheit und natürlichen Arroganz, die auf uns, den Pöbel, so unwiderstehlich sexy wirkt und die man sonst nur bei Aristokraten oder Elton John vorfindet. Es ist jene sorgenfaltenfreie Lockerheit, die für gewöhnlich den englischen Landadel auszeichnet und der in der Not eins von seinen 30 Schlössern oder Luxemburg verkauft, wenn er sich kurzfristig finanziellen Engpässen ausgesetzt sieht. Die Probleme der Normalsterblichen jucken ihn nicht und auch Elena hätte die gesamte Veranstaltung nicht egaler sein können.

So sieht Elenas Aufregung im Finale aus. Bruce Willis ist der reinste Panikknopf dagegen. Abfotografiert vom Fernseher des Autoren

So eine Haltung zieht naturgemäß Blicke auf sich wie Kot Fliegen und natürlich klebte schon von Beginn an das Pro-7-Kamera-Team an Elena. Und so stellte sie sich vor: "Ich bin 19. Ich wohne jetzt in Hamburg seit vier Jahren, ich habe davor zehn Jahre in Italien gelebt, deshalb ist es auch so, dass ich auch ein bisschen beeinflusst bin von dem italienischen Stil und dem deutschen Stil und dass das so fusioniert hat." Ich habe sieben Jahre in Polen gelebt. Hat bei mir auch fusioniert. Ich trage gerne weiße Tennissocken und habe einen Nackenspoiler.

Doch weiter mit Elena und ihrer Selbstdarstellung: "Mein Vater ist Mathieu Carrière." Sie hält das neustes iPhone 6+ in der Hand, das zu dem Zeitpunkt gefühlt noch gar nicht auf dem Markt war und zeigt darauf hochaufgelöste Fotos. "Das bin ich und das ist mein Daddy. Wir sind gerade in Paris, in unserer Wohnung. Ich bin jetzt nicht genervt, wenn man mich danach fragt, nur finde ich es einfach nicht relevant für mich, weil ich möchte mich als mich selber präsentieren und nicht als 'die Tochter von', weil das bin ich einfach nicht. Und ich bin einfach auch sehr anders als er, aber was er macht: Solange es ihn glücklich macht, kann er machen, was er will."

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Echt gut, dass der Papa die Erlaubnis seiner Tochter für sein Tun hat. 'Er kann machen, was ihn glücklich macht?' Das klingt so, als ob Mathieu Carrière nicht einer der international schon seit Jahrzehnten abgefeiertsten Schauspieler wäre—der er nun mal ist und der 2002 sogar die Ritterwürde der französischen Ehrenlegion für seine künstlerischen Verdienste erhielt—, sondern sich stattdessen mit Hardcore-Filmen oder als Toyboy von gelangweilten Kanzlerehefrauen sein Geld für die Pariswohnung zusammenstrichern würde.

Der Gewinnerin dieser Staffel winkten übrigens ein Modelvertag im Wert 250.000 Euro, 100.000 Euro in bar und wie sich als Überraschung im Laufe des gestrigen Finales herausstellte, auch noch ein Opel Adam, den man locker für 15.000 Euro verschachern könnte. In der Summe also die Höhe zweier Monatsmieten einer Pariser Drei-Zimmerwohnung—kalt. Viele der anderen 'Mädchen' kommen aus einfachen Verhältnissen, Fata zum Beispiel, eine der gestrigen fünf Finalistinnen, wollte für ihre 1993 aus Bosnien geflohene Mutter eine Einbauküche von dem Preisgeld kaufen.

Und Fata war nicht die einzige, die für ihre Familie kämpfte. In den gestrigen Einspiel-Filmchen wurde auch das Schicksal von Jasmin vorgestellt, bei der vor zwei Jahren das gesamte Haus der Mutter abbrannte—damit nicht genug: "Mit dem Haus ist auch die einzige Telefonnummer, die Jasmin von ihrem Vater hatte, verbrannt. Den materiellen Schaden hat längst die Versicherung ausgeglichen, doch mit dem Verlust des Kontakts ihres Vaters sind alle damit verbundenen Erinnerungen verbrannt."

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Hier wurde gerade das Dach zu löschen versucht

Ungeachtet der Frage, wie alle erlebten Erinnerungen an einer Telefonnummer hängen können, wurde das Ausmaß der Sachlage deutlich: Wenn Bung-Bunga-Elena gewinnen würde, konnte es keine Gerechtigkeit auf der Welt geben. Also setze ich mich gestern vor den Fernseher und fing an zu beten.

Das finale Spektakel fand auf Malle statt. Doch nicht im proletarischen Bierkönig auf der vollgekotzten Schinkenstraße, nein, in einer Stierkampf-Arena, die mehr an das altehrwürdige Kolosseum in Rom erinnerte. Scheiße, Heimspiel für Elena also, sie lebte ja zehn Jahre dort. Die Finalistinnen wurden auch stilecht von Gladiatoren ins Schlachtfeld getragen.

Wie kommt man zu so einem Job?

Die Menge auf den halbleeren Ränge fing zu toben an, am meisten Gas gab natürlich der mitgereiste Anhang der Mädchen, allen voran die Eltern. Nur eine Person schien einen Sonderauftrag zu fahren: Elenas Vater. Ich weiß nicht warum, aber Mathieu Carrière bekam mehr Sendezeit als alle anderen Protagonisten zusammen und von den gefühlten zwei Stunden visueller Präsenz sah man ihn eineinhalb Stunden lang nur mit dem Handy in der Hand. Er war vor Ort und betrachtete das Finale trotzdem durch einen Bildschirm. Der Typ hat im Kolosseum sogar eine Steckdose für sein Ladekabel gefunden:

Ab dem Moment trug Mathieu Carrière für mich nur noch den Namen: M.C., der Magier. Die Stimmung war ausgelassen. Hayo und Michalsky zankten und liebkosten sich im Wechsel, Mama Heidi intervenierte, wenn es ihr zu intim zwischen ihren Jungs wurde, und auch Paul Janke samt Frisur hatten eine Menge Spaß.

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Diese Fernsehidylle fand für alle Beteiligten leider ein jähes Ende, als Michael Michalsky auf die glorreiche Idee kam, beim Anhang von Kim Hnizdo vorbeizuschauen. Dort angekommen stand ein geleckter Boy auf (ich habe ja nur den Anfang der ersten Folge gesehen, wusste also nicht, wer er war) und unternahm einen Versuch, auf Michalskys Fragen zu antworten.

Noch bevor er Luft holen konnte, spackten die Leute mit Buh-Rufen und Pfeifkonzerten völlig ab, anscheinend war der gescheitelter Junge der mediengeile Ex-Freund von Kim, ich meine sogar aus den Rängen ein "Verpisst dich, du Arschmade" vernommen zu haben, vermutlich bilde ich mir das aber nur ein. Selbst Thomas und Heidi ist kurzzeitig das Betongrinsen aus dem Gesicht gefahren.

Nahezu alle Offiziellen waren entrüstet, nur M.C., der Magier schien die Situation abzufeiern.

Das war übrigens auch der erste Moment, wo ich den Magier ohne sein Handy sah. Hielt aber nicht lange an. Die Pfiffe waren noch nicht mal richtig abgeklungen und schon wieder hatte er sich das Smartphone vor die Stirn montiert.

Lange Zeit hatte ich etwas Mitleid mit Honey (ja, der Ex-Freund von Kim nennt sich tatsächlich so), bis ich bemerkte, dass er Mesut Özil als Verstärkung an seiner Seite hatte. Kein Grund zur Sorge also, Honey war gut aufgehoben.

Nachdem die spontane Kernschmelze des Publikums sich einigermaßen gelegt hatte, ging es fröhlich weiter im Programm, bis es zur ersten Entscheidung kam. Welche Finalistin würde als Erste das Quintett verlassen müssen? Die Chancen sahen vor allem für Taynara nicht gut aus; im Gegensatz zu ihren Konkurrentinnen gelang es ihr, nur einen einzigen Job auf der Fashion Week in Shanghai an Land zu ziehen. Trommelwirbel, die Spannung stieg, so lange bis Heidi wiedermal den Absprung verpasste, die Auflösung unnötig in die Länge zog und damit allen auf den Sack ging; doch dann, endlich, ja, es war tatsächlich Taynara, die als Erstes gehen musste. Die Mädels umarmten sie, Trauer, Tränen kullerten, die Kamera schwenkte durch das bedrückte Publikum und auch bei mir machte sich immer mehr Dunkelheit im Herz breit.

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Nur einer Person hatte man anscheinend nicht gesagt, dass man in solchen Situation hier in Europa tendenziell traurig ist: Taynaras brasilianische Mama. Dieser Prototyp von einem großartigen Menschen gab schlichtweg einen Fick auf Sitte und Brauch von uns faden Europäern und feierte stattdessen ihrer die Bühne verlassenden Tochter entgegen:

Für einen kurzen Moment war mir egal, dass es keinen Gott geben könnte, solange es noch solche Menschen gab. Ich liebe meine Mutter über alles, aber um sie derart in eine sprunghafte Ekstase zu versetzen, müsste ich sie schlichtweg anzünden. Wer braucht schon Jesus und seine Sandalen, wenn es die Liebe brasilianischer Mütter gibt? Und wie grandios muss es sein, der Ehemann einer solchen Frau zu sein? "Schatz, ich habe all unser Erspartes als Wetteinsatz in einem Faustkampf mit einem Martial-Arts-Känguru Namens Ronny verloren." Ihre Reaktion:

"Schatz, ich habe meine Vorliebe für ungestrecktes Heroin entdeckt und unsere Wohnzimmereinrichtung gegen zehn Gramm eingetauscht." Ihre Reaktion:

"Schatz, ich habe die AfD gewählt". Ihre Reaktion:

Ich wusste: Diesen Moment Fernsehgeschichte konnte nichts mehr toppen; und so war es dann auch. Die Show plätscherte vor sich hin, M.C., der Magier filmte weiter fleißig …

… bis es zum finalen Showdown zwischen seiner Tochter und Kim, der Top-Favoritin auf den Titel, kam. Es lief wie erwartet: Kim holte das Ding, während Elena naturgemäß nicht mal mit der Wimper zuckte. Die Pariser Immobilien verliehen ihr in diesem Moment eine noch nie dagewesene Gelassenheit und Würde, sie glänzte nahezu, ich hätte sofort mein Herz an diese Göttin verloren, wenn es nicht schon einer brasilianischen Mutter gehören würde.

Kim war glücklich, Elena war glücklich und auch ich war glücklich, dass doch noch die Existenz eines gerechten Gottes möglich sein könnte, denn so viel ich weiß, besitzt Kim nur eine Pferderanch und das ist weiß Gott keine Pariser Wohnung oder Italien.

Ihr könnt Paul auch auf Twitter folgen. Und ihm dort auch schreiben. Brasilianische Staatsbürger bevorzugt.