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Menschen

So sexistisch sind Gstanzl-Texte

Wenn Sexismus und Gewalt als Tradition verkauft werden. Der Brauch des Gstanzl-Singens.
Mann mit Blasinstrument

Foto: CC0 Public Domain

Am Wochenende habe ich mich mehr oder weniger freiwillig auf die Wiener Wiesn verirrt und beschlossen, dort ein kleines Bier um fünf Euro zu trinken, einfach um den Lederhosen-Spirit voll und ganz in mich aufzunehmen. Ich war bereit, mich mit ganzer Seele auf Zicke-Zacke-Chöre einzulassen, vielleicht sogar irgendwann zu den sanften Klängen einer Ziehharmonika zu jauchzen und ich war mir sicher, dass ich es lieben würde.

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Letztendlich ist nichts davon passiert. Sehr wohl passiert sind jedoch Gstanzl. Das sind Vierzeiler, die meistens in Mundart gehalten sind und irgendwie spöttisch-lustig sein sollen—so kannte ich Gstanzln zumindest aus meinem Heimatort. Nach fast jeder Strophe kommt ein mordsdrum Gelächter, gefolgt vom gemeinsamen „Holladiridojo". A feste Gaude, eben.

Da stand ich also mit viel zu wenig Bier für viel zu viel Geld, als plötzlich eine Truppe von schuhplattelnden Mädchen in Lederhosen anfing, davon zu singen, dass ein Mädel nicht so ungut sein dürfe und doch mal einen „Innviertler drüberlassen" sollte—so oder so ähnlich lautete der Text jedenfalls. Danach kam irgendwas in Richtung „Wer si mit an Innviertler onlegt, geht ohne Bluat ham". Holdrio! Die vermutlich minderjährigen Mädels plattelten um ihr Leben und feierten die Gstanzl-Texte mit fast schon priesterlicher Inbrunst.

Ich musste mich kurz daran erinnern, wo ich eigentlich war, aber das machte diese Texte eben trotzdem nicht besser. Bis dahin kannte ich Gstanzl mehr als eine Art Freifahrtschein, um seine Mitmenschen in aller Öffentlichkeit zu blamieren, ohne es wirklich böse zu meinen. Quasi die Bauern-Version von einem Roast, nur in gesungener Form. Das darf zwar auch manchmal unter die Gürtellinie gehen, aber diese teilweise wirklich argen Rape-Hymnen waren mir gänzlich neu.

„Mei Dirndl, hods die greckt / Hob i da'n zweit einigsteckt / I ko a nix dafia / wons da ned schmeckt"

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Gstanzl sind hauptsächlich in Österreich und Bayern beliebt, das ganze Milieu scheint ganz abgesehen von den ohnehin schon eindeutigen Texten ein eher männerlästiges zu sein. Im Salzkammergut gibt es beispielsweise ein Buch, das neben ganzen 730 Gstanzln auch Gebote zum sogenannten Paschen—einer Form des rhythmischen Klatschens—beinhaltet. Zwar sollen die humorvoll gemeint sein, ich verstehe den Schmäh aber schon bei Nummer 2 nicht so ganz: „Du sollst nicht paschen, wenn Du eine Frau bist (hier hat die Emanzipation ihre Grenzen)." Und ja, der Klammerausdruck ist Teil des Textes.

Gstanzl-Texte sind schnell und einfach gedichtet, was wohl auch der Grund für die ganzen Foren und Facebook-Gruppen ist, in denen aufgeschnappte und selbst verfasste Vierzeiler verewigt und gefeiert werden: „Mei Bruada spüt Zitta / und i Klarinetten / Mei Vota schlogt d'Mutta / des gib a Quartett." Haha, häusliche Gewalt! Klassiker. Dieser Reim wurde unter anderem schon von einer Acapella-Gruppe aufgenommen und veröffentlicht.

„Mei Voda is Maura / und Maura bin i / Mei voda schiabt d'Scheibtrui / und d'Weiba schiab i": Eines der wohl bekanntesten Gstanzl, das es in gefühlt 500 Abwandlungen gibt und so gut wie jede Berufsgruppe abdeckt, deren Arbeit im weitesten Sinn als Synonym für Sex herangezogen werden kann. Schleifen, hobeln, knallen, spritzen, backen, nageln, wetzen, stanzen. Alles geht.

Teilweise sind Gstanzl-Texte so frauenfeindlich, gewaltverherrlichend und inzestuös, dass wohl sogar der Sau graust. Ernsthaft. „Mei Schwesta hoast Resi / de is a blede Sau / de mocht's nur im Liegn / wie a gnädige Frau". In Verbindung mit den Schnurrbärten und Lederhosen vieler Volksmusikanten, und mit Österreichs Geschichte im Hinterkopf, ergibt das ein ziemlich hässliches Bild.

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Dass Volksmusik auch außerhalb des Gstanzl-Bereichs ziemlich verdorben sein kann, beweisen alleine Lieder mit Texten wie „Dirndl, leg di nieda, / auf an Büschl Habanstroh / Händ und Füaß in d'Höh / und in da Mittn ho ho ho" oder „Zipfl eini / Zipfl ausi / oba heit geht's guad". Jeder, der schon mal auf einem Zeltfest war, weiß, wovon ich rede.

„Und mei Jungfrau hoaßt Nani / hat a winzige kloani / Muass ma wuzeln und schmier'n / dass ma'n eini kann kriag'n"

Manchmal sind Gstanzl auch einfach nur reidig (wer hätte das gedacht!): „Fut voller Gretzn / da Beidl voi Bluat. / Gschnaxlt muas werdn / a wonns nu so weh tuat." Ob diese Zeilen so tatsächlich irgendwo gesungen werden, oder ob da einfach jemand Grausligkeiten reimen wollte, konnte ich leider schlecht überprüfen. Zumindest sind sie auf einer Art Open Source-Datenbank für Gstanzl abrufbar.

Die Erhaltung von Traditionen in allen Ehren—aber wenn Sexismus eine Tradition sein soll, dann gibt es wirklich keinen Grund dafür, sie zu wahren. Gstanzl können auch ohne Vergewaltigungsfantasien und Chauvinismus super sein und sogar der ehemalige Papst muss verlegen kichern, wenn seine Leute ihn zum Geburtstag an den Gstanzl-Pranger stellen. Vielleicht findet er aber auch einfach die Fülle an Silben zum Schmunzeln. Der Ratzinger, der alte Haudegen.

Josef Hintermaier ist Konsulent des jährlich stattfindenden Aspacher Gstanzlsingens, der bekanntesten Veranstaltung für Gstanzl im alpenländischen Bereich. Auch er kennt das bereits erwähnte Stück mit der Zeile „Lass an Innviertler drüber": „Das wurde bei uns heuer auch gesungen, von einer Runde betagter Herren—die Leute haben gebrüllt vor Lachen."

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Zwar, so Hintermaier, gibt es diese derben Vierzeiler, und sie werden auch durchaus ins Programm eingestreut—hauptsächlich sollen die in Aspach aufgeführten Gstanzl jedoch zeitkritisch oder lustig sein. „Das mit dem Innviertler drüberlassen, das ist eher ein Anbiederungs-Gstanzl." Geben tut es sie trotzdem, und außerhalb des Aspacher Gstanzlsingens werden sie eben von jungen Mädchen vorgetragen.

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Foto: renatemaiergstanzl.de

Mundart-Reime verhelfen so manchem sogar zu einer richtigen Karriere. Renate Maier ist professionelle Gstanzl-Sängerin und wenn man ihren Facebook-Anhängern glaubt, macht sie das richtig gut. Aus dem Stegreif singt sie ihre Opfer „aus" und zeigt ihnen, wo der Bartl den Most holt—so auch beim letztjährigen Gstanzl-Battle, wo sich alljährlich Rapper und Gstanzler duellieren und bei dem sie als Zweiplatzierte ausstieg. Renate gibt ihnen schirch.

Als Grande Dame der Gstanzl, die quasi eine Männerdomäne aufgebrochen hat, würde man sich ihrerseits wohl eine eher feministische Haltung zu den Texten oder zumindest eine Gegenposition zum Chauvinismus mancher althergebrachter Gstanzl erwarten. Doch auch Renate Maier ist eine Verfechterin der Tradition. „Gstanzl waren früher ein Ventil für Männer, eine Alternative zur Pornographie. Durch die Einschränkungen seitens der Kirche durfte man über solche Themen nicht sprechen, aber man durfte im Wirthaus—und dort waren Frauen nie—darüber singen."

Im Telefongespräch reden wir über Zeilen wie „Mei Dirndl, hods die greckt / Hob i da'n zweit einigsteckt"—Renate Maier sieht, im Gegensatz zu mir, kein Problem. „Der, der das geschrieben hat, hat wohl einen Korb bekommen, und will sich auf diese Weise bei dem Dirndl entschuldigen." Gstanzl seien unser ältestes überliefertes Liedgut, und das müsse eben erhalten werden.

Brauchtümer können—sofern man der richtige Typ Mensch dafür ist—sicherlich etwas Wertvolles sein. Sie rechtfertigen jedoch nicht die Glorifizierung von Gewalt und sexuellem Missbrauch. Niemals. Bei einem Gstanzl-Singen würde man jetzt ungefähr so aufhören: „Aus is mi'n Liadl / aus is mi'n Taunz / Hiatz auffi mi'n Kittl / und eini mi'n"—Holladrio.

Franz reimt Zwitter auf Twitter: @FranzLicht