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Muslime sollten sich aus Menschlichkeit distanzieren dürfen, nicht aus Zwang

Eine Berliner Muslima erklärt, warum sie sich die Solidarität mit Charlie Hebdo nicht aufzwängen lassen will.

Betül Ulusoy ist Juristin aus Berlin und als Referentin zu Themen wie Islam, Diskriminierung, Frauenrechte und interreligiöser Dialog tätig. Foto: Anna Agliardi

Seit dem Anschlag in Paris überschlagen sich die Pressemitteilungen und Stellungnahmen muslimischer Verbände und Gemeinden, aber auch vieler Einzelpersonen, die ihre Solidarität mit den Angehörigen bekunden, sich zur Meinungs- und Pressefreiheit bekennen und sich von Gewalt und Terror im Namen ihrer Religion distanzieren. Sie reagieren damit nicht immer auf die persönlich empfundene Trauer, Verzweiflung, Betroffenheit und Angst. Oftmals ist das auch die Reaktion auf die Forderungen von Außen, Muslime müssten sich deutlich von Gewalttätern in ihren Reihen abgrenzen. So beginnt mit jedem neuen Terrorakt immer mehr ein Wettlauf bei Muslimen, sich möglichst bald und mit mit möglichst deutlichen Worten zu distanzieren. Man möchte nicht in Verdacht geraten, man würde stillschweigend zusehen oder gar gutheißen, was geschieht.

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Würden diese Stellungnahmen nicht aus der Angst hervorgehen, von der Mehrheitsgesellschaft verurteilt zu werden, ich fände sie gut und wichtig. Denn so oft ich als Muslimin auch sage, dass diese Terroristen nichts mit dem Islam, das in sich bereits das Wort Frieden enthält, zu tun haben, so bleibt es doch dabei, dass sie sich selbst offenbar als Muslime ausgaben und von der Welt als solche wahrgenommen werden. Als Muslimin werde ich selbst mit ihnen in Verbindung gebracht und es liegt, so traurig das ist, an mir, diese falsche Verbindung wieder zu durchtrennen.

Gleichzeitig zu dieser Distanzierungsnot werden aber auch immer mehr die Stimmen derjenigen laut, die sich vehement dagegen wehren, sich distanzieren zu sollen. Ich verstehe diese Stimmen gut. Wenn man sich von etwas distanziert, muss man sich zunächst zu der Gruppe, von der man sich abgrenzen möchte, zugehörig fühlen. Man muss eine Verbindung zwischen sich und ihnen herstellen. Sonst macht das Ganze von vornherein keinen Sinn. Nur, in diesem Fall ist diese Gruppe gerade eine terroristische Vereinigung. Wenn von mir also gefordert wird, ich solle mich von ihr distanzieren, so wird mir gleichzeitig unterstellt, ich wäre auch ein Teil eben jener Terrorgruppe. Das ist ziemlich verletzend. Und gleichzeitig von der Wahrheit so weit entfernt, wie der Neptun zur Sonne. Verständlicherweise verwehrt man sich dann derartigen Forderungen.

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Ein Tweet, der zur Zeit besonders häufig geteilt wird, möchte darum eigentlich auch eben das ausdrücken: Muslime sind in ihrer Allgemeinheit genau so betroffen und stehen im Übrigen für die selben europäischen Werte, die sich übrigens kaum von islamischen Werten unterscheiden, ein. Gerade deshalb ist eine Distanzierung absurd.

I am not Charlie, I am Ahmed the dead cop. Charlie ridiculed my faith and culture and I died defending his right to do so. #JesuisAhmed
— Dyab Abou Jahjah (@Aboujahjah) 8. Januar 2015

Es stellt sich ganz generell die Frage, wann eine Distanzierung von bestimmten Ereignissen notwendig ist und wann man in die Verantwortung genommen werden kann, ohne Täter zu sein. Gerade bei Religionsgemeinschaften, muss eine enge Auslegung vorgenommen werden. Denn vor allem eine Religion wie der Islam, der im Gegensatz etwa zur katholischen Kirche dezentral und nicht organisiert ist, kann nicht vom einzelnen Gläubigen beeinflusst oder gesteuert werden. Anders mag es als Staatsangehöriger eines demokratischen Landes sein, in dem man Einfluss auf die Regierungshandlung ausüben kann und darum auch eine besondere Verantwortung trägt. Für eine Glaubensgemeinschaft gilt das aber nicht. Deshalb kann einem Gläubigen auch nur schwer eine Verantwortung aus dem Missbrauch seines Glaubens erwachsen. Natürlich: Wenn ein Muslim Mitglied eines Dachverbandes ist, kann es auch für ihn als Gläubigen, vor allem aber als Vereinsmitglied notwendig werden, sich von einer Aussage oder Handlung seiner Gemeinschaft zu distanzieren. Verantwortung für alle 1,5 Milliarden Muslime auf der Welt braucht er sich aber keinesfalls auf die Schultern zu laden.

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Wohl darum verbreitet sich in den Sozialen Medien auch zynisch folgender Tweet:

Nur weil die Täter "Allahu Akbar" rufen, haben sie doch nichts mit dem #Islam zu tun. #Pegida #CharlieHebdo
— Homofürst (@Pegasusfeder) 9. Januar 2015

Tatsächlich sehen sich viele Muslime einer Doppelmoral unterworfen. Anders Breivik hatte ebenfalls das Christentum in Anspruch genommen, um seine Taten zu legitimieren. Keiner ist damals – zu Recht – auf die Idee gekommen, von allen Christen dieser Welt eine Distanzierung von seinem Terror zu fordern. Selbstverständlich war auch dann die Anteilnahme groß, auch seitens Muslimen. Die religiöse Zugehörigkeit hat aber keine Rolle gespielt.

So bleibt bei mir der Wunsch, dass ich als Muslimin nicht mit Terroristen in Verbindung gebracht und in Kollektivhaftung genommen werden möchte. Dass von mir nicht gefordert wird, ich müsse mich distanzieren, weil ich Muslimin bin. Ich möchte nicht aus Zwang Stellungnahmen schreiben und mich rechtfertigen müssen. Das wäre nicht ehrlich gegenüber mir und unfair gegenüber den Opfern und Hinterbliebenen. Auch ich muss, wie jeder andere Mensch, selbst entscheiden dürfen, ob, wann und wie ich mich äußere. Ich möchte einfach nur schreiben, weil ich betroffen bin. Als Mensch.

Mehr über Betül Ulusoys Erfahrungen als Muslima in Deutschland findest du in ihrem Blog.

Und hier könnt ihr mehr von der ausführlichen VICE Berichterstattung zum Thema Charlie Hebdo lesen.