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Rechtsextremismus

Neonazis bedrängen Team bei Musikvideodreh mit Berliner Graffiti-Oma

Für die Aktivistin Irmela Mensah-Schramm sind solche Anfeindungen trauriger Alltag.
Foto: Screenshot aus dem YouTube-Video "Kopf in den Wolken" von Neufundland

Wenn eine weißhaarige alte Dame mit Spraydose und Ceranfeldschaber durch die Straßen Berlins zieht, ist das höchstwahrscheinlich Irmela Mensah-Schramm. Die 72-Jährige tut dann das, was sie schon seit 30 Jahren tut: Sie kratzt NPD-Aufkleber ab, übersprüht Hetze gegen Ausländer oder entfernt Hakenkreuz-Schmierereien. Ein Filmteam begleitete sie vor einer Woche dabei – bis der Dreh wegen Drohungen von Neonazis abgebrochen werden musste.

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Ein Kamerateam filmte die Aktivistin am 14. Februar für ein Musikvideo der Popband Neufundland. Im Clip zum Song "Kopf in den Wolken" wollte die Band Mensah-Schramm und ihr tägliches Putzen gegen Rechtsextremismus porträtieren. Auf ihrer Route durch Berlin-Lichtenberg soll die Gruppe jedoch vor einer Kneipe angepöbelt worden sein. "Es kamen dort einige aggressive Neonazis auf unsere beiden Filmer zu", sagt Sänger Fabi Mohn gegenüber VICE. Er sei nicht vor Ort gewesen, habe aber ständig mit den beiden Filmemachern telefoniert. Die beiden wollen anonym bleiben, aus Angst, die Rechtsextremen könnten sie ausfindig machen. "Die Typen drohten, dass sie die beiden schlagen und deren Equipment zerstören", sagt Mohn. Daraufhin haben sie den Videodreh abgebrochen: "Als die Filmemacher dann ins Auto stiegen, wurden sie von Motorrädern verfolgt", sagt Mohn. "Immer wenn sie anhielten, haben die Typen sie bedrängt." Die Polizei riefen sie jedoch nicht, weil Mensah-Schramm ihnen versichert habe, dass diese erstmal nicht viel machen könne. Auch später erstattete das Filmteam keine Anzeige.

Die 72-Jährige sagt gegenüber VICE, dass sie bei der Verfolgung des Autos schon nicht mehr dabei gewesen sei. Sie habe die Bedrohung davor zunächst nicht wahrgenommen, weil die Kameramänner hinter ihr her gegangen seien, um sie zu filmen. "Wenn ich Sticker abmache, bin ich in meinem Element und gucke mich nicht um", sagt sie. "Ich bin oft über die Straße und die beiden jungen Männer konnten mir nur schwer folgen." Wie ernst die Situation war, sei ihr erst klar geworden, als die Männer den Dreh abgebrochen haben. "Da habe ich erst gemerkt, wie geschockt die beiden waren", sagt sie. "Die Nazis greifen natürlich eher junge Männer an, statt eine alte Dame wie mich."

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Die 72-Jährige sei an diesem Tag nicht bedroht worden, doch sie habe abends trotzdem nicht schlafen können: "Ich kann nie gut schlafen, wenn es tagsüber zu solchen Anfeindungen gegen mich oder meine Begleiter kommt", sagt die Frau, die deutschlandweit als "Graffiti-Oma" bekannt wurde. Sie habe bewusst eine Straße in Lichtenberg ausgesucht, wo sie noch nie Probleme gehabt habe. Jetzt kann sie auch diese Ecke in ihre seitenlange Problem-Liste packen. Mensah-Schramm kann nicht sagen, wie oft sie schon angefeindet wurde. Obwohl die alte Dame sich genau an Straßennamen, einzelne Stickermotive oder Anklageschriften wegen Sachbeschädigung (die sie sich durch das Übersprühen rechter Parolen schon öfter eingehandelt hat) erinnern kann. "Die Nazis kennen mich doch alle, das passiert so oft", sagt sie. Neonazis traten sie, verfolgten sie oder bewarfen sie mit Steinen. Die Aktivistin erhielt Drohanrufe oder Briefe mit einem Foto von Adolf Hitler. Die "Kameradschaft Neukölln" verteilte sogar mal Sticker mit einem Bild, das sie dabei zeigte, wie sie Aufkleber entfernte. Dazu stand die Aufschrift: "Wenn Schramm abkratzt, stört uns das nicht wirklich!" Manche Ecken Berlins meide sie trotz ihrer Furchtlosigkeit ganz, sagt sie: "Nach Pankow-Buch traue ich mich gar nicht mehr, weil da ein bekannter Neonazi einen Aufruf gestartet hat, mich zu melden."


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Die Band Neufundland hat das halbfertige Musikvideo trotzdem ins Netz gestellt und dazu einen Text über den Vorfall veröffentlicht. "Die Vorkommnisse zeigen, mit welchen Situationen Irmela im Kampf gegen Rechtsextremismus tagtäglich fertig werden muss", sagt Sänger Fabi Mohn. "Diesen Mut wollten wir auch in unserem Video zeigen."

Drei Tage nach dem Videodreh fuhr Mensah-Schramm wieder nach Lichtenberg zurück und riss Aufkleber der Kleinpartei "Der III. Weg" und anderer rechter Gruppen ab. Das Motto "Angriff ist die beste Verteidigung" sei jedoch nicht ihre Taktik. "Wenn die Antifa posaunt, dass Antifa Angriff heißt, dann finde ich das falsch", sagt sie. "Gegen Hass hilft kein neuer Hass." Sie wolle die Leute durch ihre hartnäckige Arbeit dazu bewegen, aus der rechten Szene auszusteigen. "Mir können Polizei, Bürger oder Neonazis alle den Buckel herunterrutschen", sagt sie und fährt weiter raus, um rechtsextreme Aufkleber abzukratzen.

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