Ein Schreibtisch, auf dem Fotos von Jaime Lannister, Cersei Lannister, Jon Snow und Daenerys Targaryen liegen
Foto: Shirin Siebert
Entertainment

Wie wir uns mit Fantheorien Serien wie 'Game of Thrones' kaputt machen

Die letzte Folge ist gelaufen – und hat viele Fans enttäuscht. Selbst schuld. (Keine Spoiler!)

Am Montagmorgen lief die letzte Folge von Game of Thrones, dem größten Serienphänomen unserer Zeit. Über Jahre hatten Fans in Reddit-Threads, Podcasts und aufwendig zusammengeschnittenen YouTube-Videos gerätselt, wer am Schluss auf dem Eisernen Thron sitzen könnte, was der Night King und seine White Walker wirklich wollen, wer sich als prophezeiter Lichtkrieger Azor Ahai herausstellen würde. Und natürlich, was zur Hölle eigentlich Bran "Three-Eyed Raven" Starks Aufgabe beim Kampf zwischen Gut, Böse und allem, was dazwischen liegt, sein soll.

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Vor dem Finale hoffte die internationale Fangemeinde auf ein Ende, dass der epischen Geschichte gerecht werden würde: Vielleicht würde sich die ein oder andere elaborierte Theorie um die wahre Verbindung zwischen dem Night King und Bran Stark doch noch als richtig erweisen. Vielleicht sind Figuren wie Tyrion Lannister nicht plötzlich "dumm" geworden, sondern haben sich als Teil eines raffinierten Plans nur dumm gestellt. Vielleicht, ganz vielleicht, würden die nicht nachzuvollziehenden Storylines doch noch Sinn ergeben.

Stattdessen liefert auch "The Iron Throne" das, was die achte Staffel für mich und viele andere so frustrierend macht: Die Autoren David Benioff und D.B. Weiss hecheln von einem unausgegorenen Plot-Point zum nächsten. Die Twists sind vor allem deshalb überraschend, weil sie so unverdient wirken, und die jahrelang so liebevoll ausgearbeiteten Charaktere verhalten sich unschlüssig bis schlichtweg dämlich.

Das war nicht die Geschichte, die sich viele Hardcore-Fans über Jahre hinweg auch zwischen den einzelnen Staffeln zusammengereimt hatten. Am Schluss blieb bei vielen nur das Gefühl, verraten worden zu sein.

Dabei hätte das Finale von Game of Thrones wahrscheinlich selbst dann enttäuscht, wenn "The Iron Throne" eine gute Folge gewesen wäre. Wer sich wie ich jahrelang in Reddit-Diskussionen vertieft und jede Szene auf Hinweise zu möglichen Storytwists auseinandergenommen hatte, hatte sich die Serie bereits lange vor ihrem Ende kaputt geliebt.

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Wie Fans während der letzten acht Jahre Theorien entwickelt und umgeworfen, Character-Arcs zu Ende gedacht und Prophezeiungen aus den Büchern mit Geschehnissen in der Serie abgeglichen haben, hatte in den langen Wartezeiten zwischen den letzten Staffeln (von den Büchern wollen wir gar nicht erst anfangen) fast etwas Therapeutisches. Weil es keinen neuen Stoff gibt, schafft man ihn sich selbst. Fantheorien sind ein Grund, um mit anderen über etwas zu diskutieren, was man liebt. Sie lassen einen Details sehen, die man übersehen oder schon wieder vergessen hat. Und manchmal erlauben sie einem auch eine komplett neue Perspektive.

Fantheorien sind ein Grund, um mit anderen über etwas zu diskutieren, was man liebt.

Fans werden durch ihre intensive Auseinandersetzung mit einer Serie wie Game of Thrones zu Experten in ihrem Gebiet. Sie versuchen vorauszusehen, was als nächstes passiert. Sie versuchen sich in ihre Lieblingsfiguren hineinzudenken, ihrem fiktiven Handeln in einer Fantasy-Welt eine höhere Bedeutung zuzuschreiben. Und mit diesen Erwartungen im Kopf sitzen sie vor dem Fernseher. Sind sich absolut sicher, dass sie verstehen, was als nächstes passieren sollte. Und dann kommt es doch anders. "Wenn ihr einfach nicht auf Reddit gehen würdet, wenn ihr aufhören würdet, diese beschissenen Theorien zu lesen und euch dann darüber aufzuregen, dass sie nicht eintreten, wärt ihr alle viel glücklicher", schreibt ein frustrierter Fan im GOT-Subreddit. Damit hat er wahrscheinlich Recht.

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Die Sache mit Fantheorien ist nämlich die: Sie sind in der Regel immer tiefschürfender, kryptischer, dreimal mehr um die Ecke gedacht als das, was am Schluss in einer Serie stattfinden kann. Gerade, wenn sich viele Theorien auf Informationen und Storylines aus der Buchvorlage stützen, die in der Serienadaption so nicht vorkamen. Kein Autor, keine Autorin kann tiefer im Thema sein als tausende Supernerds, die ihr Leben der Frage gewidmet haben, wie ein fünf Jahre alter Subplot zufriedenstellend aufgelöst werden könnte.

Fantheorien sind in der Regel immer tiefschürfender, kryptischer, dreimal mehr um die Ecke gedacht als das, was am Schluss in einer Serie stattfinden kann.

Das Gefährlichste an komplexen Fantheorien ist, dass sie die Erwartungen an die Geschichte in unerreichbare Höhen schrauben und die Serie einen nur noch enttäuschen kann. Diese Komplexität kann sie schon aus praktischen Gründen nicht erreichen. Schließlich soll Game of Thrones auch für die Menschen noch verständlich sein, die nicht alle Bücher gelesen haben.

Statistisch lässt sich nicht belegen, ob vor allem die Menschen vom Ende von Game of Thrones enttäuscht sind, für die es jahrelang dazugehört hat, nach jeder Folge auf Reddit nachzulesen, wie es jetzt weitergehen könnte.

So oder so geht mit der Serie eine Ära zu Ende. Am Schluss bleibt nur der Blick zurück. Und die Frage, ob wir nicht auch ein bisschen selbst daran Schuld sind, wie niedergeschlagen wir uns gerade fühlen.

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