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Popkultur

Das WM-Aus ist endlich erklärt: Die Shisha ist schuld

Die "Aufarbeitung" des Scheiterns der Fußball-Nationalelf macht gerade jahrelange Integrationsarbeit kaputt.
Collage: VICE || Shisha: imago | allOver-MEV || Antonio Rüdiger: imago | ULMER Pressebildagentur

Mittwoch war wieder so ein Tag, an dem ich verstand, weshalb Menschen Fußballstadien mit bengalischem Feuer abfackeln wollen. Dabei sollte sich eigentlich alles zum Guten wenden: Jogi Löw äußerte sich zum ersten Mal nach dem WM-Aus ausführlich vor der Presse. Fast zwei Stunden lang redete er über Ballbesitz-Statistiken, "neue, adaptierte Spielmethoden" – und blieb trotzdem die Antwort auf die Frage schuldig, die alle Sportjournalisten Deutschlands seit der WM umtreibt: Woran hat's gelegen? Wer hat SCHULD???

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Über die wahren Gründe für das WM-Aus kann man nur spekulieren. Lag es am alternden Jogi? War die Mannschaft nach dem letzten Sieg einfach "zu satt"? Oder lag es vielleicht auch an der beispiellosen Kampagne (vor allem der Bild) gegen Mesut Özil, die die Moral des Teams zerrüttet hat? Alles falsch! Schuld war: eine Shisha.

Die Sportbild enthüllte ebenfalls am Mittwoch, dass der Abwehrspieler Antonio Rüdiger seine Wasserpfeife mit ins Trainingslager nach Südtirol genommen habe. "Das gab es noch nie", heißt es im Artikel. "Es hätte sich für die Teamleitung gelohnt, sich das Zusatzgepäck seiner DFB-Kicker einmal genauer anzuschauen." Laut Welt sei die Symbolik von Shishas zweifelhaft und wirke doch eher "wie die Sicherstellung eines netten Wochenendurlaubs mit Freunden".

Doch ist Antonio Rüdiger nicht der einzige Übeltäter. Julian Draxler habe sogar eine Spielekonsole mitgebracht, um so lange FIFA und Fortnite zu zocken, bis der Betreuerstab das WLAN im Mannschaftshotel abschalten musste. Für die Welt sind das alles Anzeichen, dass die Spieler "nicht auf die Titelverteidigung fokussiert waren". Klingt weniger nach sportlicher Analyse als nach besorgten Helikopter-Eltern.


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Die Shisha ist aber nur der neueste Fund. Denn die investigative Buddelei in der Unterwäsche des DFB-Kaders geht schon länger und hat erst letzte Woche Erschütterndes hervorgebracht: Die Spieler sind nicht alle gleich gut miteinander befreundet, sondern hängen gerne in Gruppen rum. Oder, wie die Bild das ausdrückt: "'Die Mannschaft' war wohl viel tiefer gespalten als bisher bekannt".

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Der Hintergrund: Der Spiegel hatte "von einem Insider" erfahren, dass es in der Mannschaft zwei Gruppen gab: die "Kanaken, wie sie sich selbst nennen, und [die] Deutschen". Die Kanaken: Jérôme Boateng, Antonio Rüdiger, Leroy Sané, Mesut Özil, İlkay Gündoğan – und Julian Draxler, der sich zu ihnen "hingezogen fühlte". Auf der anderen Seite die Biodeutschen wie Matts Hummels, der Bücher liest(!) oder Thomas Müller, der lieber die Pferde seiner Frau striegelt, als in Los Angeles durch die Clubs zu ziehen.

Ein handfester SKANDAL, zu dem die Bild gleich mehrere Politiker knallhart befragte. Allerdings erklärte keiner der Artikel so genau, was eigentlich das Problem ist. Dass Erwachsene verschiedene Interessen haben? Dass nicht alle Mitglieder eines Teams sich immer genau gleich liebhaben? Überhaupt waren die Artikel eigenartig vage, wenn es darum ging, was das jetzt für die Leistung der Spieler bedeutet haben soll – und wer überhaupt wegen was beschuldigt wird. Die "Kanaken", weil sie zu laut Playsi spielen? Die anderen, weil sie die "Kanaken" nicht ermahnen, sich doch nicht "Kanaken" zu nennen? Thomas Müller, weil er immer Nutella unter die Klinken in den Klos schmiert? Keiner wusste es, aber ein Skandal war es eben trotzdem – offenbar einfach, weil ein Skandal her musste. Nur so lässt sich offenbar diese unfassbare Schande des Vorrunden-Aus für viele begreifen.

Das alles ist so albern, dass man sehr gut drüber lachen könnte – wenn da nicht dieser komische Beigeschmack wäre. Denn gerade weil der Vorwurf in den Artikeln so vage ist, hinterlassen sie ein diffuses Gefühl: dass das wohl irgendwie nicht so richtig klappt zwischen den "Einheimischen" und den Spielern mit Migrationshintergrund. Dass es vielleicht einfach keine so gute Idee ist, wenn man so verschiedene Leute in eine Mannschaft steckt.

Und weil sie diese Stimmung schaffen, setzen die Artikel damit das fort, was mit der Özil-Affäre angefangen hat: dass infrage gestellt wird, was schon längst außer Frage schien. Dass Menschen mit Migrationshintergrund und sogar Menschen mit anderer Hautfarbe in der deutschen Nationalmannschaft spielen. So stellt diese schräge, missgünstige "Aufarbeitung" der Niederlage Jahrzehnte erfolgreicher Integration in Frage. Eigentlich völlig wahnsinnig, nachdem wir letztes Mal Weltmeister mit einem nicht weniger diversen Team geworden sind. Aber vielleicht hatte Özil doch recht: Man ist nur Deutscher, wenn man gewinnt.

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