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Sex

Ich bin 1.000 Kilometer für das Tinder-Date aus der Hölle gefahren

Als lesbische Frau hast du es in der Pampa wirklich nicht leicht.
Foto: Dating Queen | Hintergrund: Pexels

Wir sind bei der Hauptspeise angekommen, als ich merke, dass sie betrunken ist.

Mein Date und ich sitzen im Außenbereich eines Restaurants, vor uns Teller mit Silberlachs und Rotwein. Es ist einer dieser herrlichen warmen Sommerabende, wie man sie nur im äußersten Norden der USA erleben kann. Die Sonne, die zu dieser Jahreszeit nie untergeht, steht hell im Westen und alles leuchtet in weichen Sepiatönen. Das Restaurant liegt direkt am Chena River, der gemächlich neben uns fließt. In seinem braunen Wasser tummeln sich Enten und Möwen. Viel romantischer kann es in Fairbanks, Alaska, kaum werden.

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Außer, dass mein Date, Alice, eben schon ordentlich einen sitzen hat.

Schon vorhin, als ich zu ihr ins Auto gestiegen bin, dachte ich, Alkohol gerochen zu haben. Aber ich tat es ab. Wir hatten doch den Großteil des Tages zusammen verbracht. Wann zur Hölle soll sie Zeit gehabt haben, sich zu betrinken? Meine unausgesprochene Frage beantwortet sie schließlich unabsichtlich, als sie nach ihrem Handy greift. Dabei lässt sie unachtsam den oberen Teil ihrer Tasche offen. Zwischen einer Handvoll Zettel sehe ich eine Gatorade-Flasche. Sie ist dreiviertel voll mit einer goldenen Flüssigkeit. Ein Sportgetränk sieht anders aus.

Mir fällt die angebrochene Flasche Jack Daniel's auf ihrer Küchenanrichte ein.

Ich nehme einen Schluck Wein und versuche, die Vorstellung zu verarbeiten, dass sie heimlich im Badezimmer getrunken hat – und das wahrscheinlich den ganzen Tag über. Es erklärt auf jeden Fall eine ganze Menge. In den letzten paar Stunden hat Alice:

  • abfällige Bemerkungen über Obdachlose und amerikanische Ureinwohner von sich gegeben;
  • mir immer wieder zweischneidige aggressive Komplimente gemacht, die ziemlich sicher als "Negging" durchgehen;
  • pausenlos von jeder Person erzählt, die sie jemals gedatet, gevögelt, mit den Augen ausgezogen oder von der sie einen feuchten Traum gehabt hat.

Gerade berichtet sie mir ausführlich von ihrer ersten großen Liebe. Eine 17-Jährige, die sie kennenlernte, als sie – bedeutend älter – deren High-School-Volleyballtrainerin war.

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Kurz gesagt: Ich leide.


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Alice und ich hatten uns auf Tinder kennengelernt. Ich lebe in Whitehorse, im kanadischen Yukon-Territorium. Die 25.000-Einwohner-Stadt im dünn besiedelten Nordwesten verfügt zwar über eine aktive, dafür aber extrem überschaubare lesbische Gemeinschaft. Viele hier sind älter, vergeben oder beides. Ich hätte wahrscheinlich mehr Erfolg, einfach aus dem Fenster zu brüllen "Wollen irgendwelche Ladys mal zubeißen?" als mit ernsthaften Date-Anstrengungen. Und genau deswegen habe ich bei Alice nach rechts gewischt, obwohl sie knapp 1.000 Kilometer entfernt in Fairbanks wohnt.

Ich hatte gerade erst eine furchtbare Trennung hinter mir. Die zweijährige Beziehung war damit geendet, dass sie mir zurief: "Es ist kein Fremdgehen, wenn ich dir davon erzähle!", und in einen Flieger nach Peru stieg. Ich war nicht auf der Suche nach etwas Ernstem. Ich wollte mich nur ein bisschen von meinen seelischen Wunden ablenken.

Auf dem Bildschirm war Alice dafür die ideale Kandidatin: charmant, humorvoll, zuvorkommend und selbst in einer offenen Fernbeziehung. Ich sagte ihr ehrlich, in welchen Umständen ich mich gerade befand. Aber obwohl sie mir ihr Verständnis für meine Lage zusicherte, ging sie sofort in die Vollen. Es dauert nicht lange und wir schrieben und sprachen täglich mehrere Stunden über Messenger.

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Obwohl wir uns in verschiedenen Zeitzonen befanden, hatten wir eine Chemie. Ich selbst habe in meinem Leben schon einige Damen bezirzt, aber bin noch nie wirklich bezirzt worden: Sie schickte mir regelmäßig zuckersüße Guten-Morgen-Nachrichten. Sie interessierte sich für meine Arbeit als Autorin. Wir unterhielten uns über die Poetin Rupi Kaur. Als ich sagte, ich hätte Bedenken, weil das mit uns so schnell ging und ich mich nicht bereit fühlte, konterte sie mit dem Charles-Bukowski-Zitat: "Ich will die ganze Welt oder nichts". Wenn wir gemeinsam Liebe finden können, sagte sie, würde es das wert sein.

Wie sich später herausstellte, hatte sie noch nie im Leben Bukowski gelesen. Sie hatte lediglich seine Zitate in Instagram-Memes gesehen. Sie wusste nicht, dass er ein Schriftsteller gewesen war. Bis heute bin ich extrem misstrauisch gegenüber allen, die Kaur als Lieblingsdichterin angeben.

Vier Monate ging das so. Dann lud sie mich ein, eine Woche bei ihr in Alaska zu verbringen.

Ich sprang ins Auto und fuhr gut 13 Stunden nach Fairbanks. Es war Juni, der Sommer hatte den Norden voll erfasst und ich war auf dem Weg zu einer Frau, nach der ich verrückt war – und die auch nach mir verrückt war, wie ich damals dachte. Es war eine der schönsten Fahrten meines Lebens.

Mir wird ein bisschen schlecht.

Und jetzt sitze ich hier und höre dieser betrunkenen Bildungsbürgerin-Hochstaplerin dabei zu, wie sie sich damals durch ein Kellerfenster in das Haus ihrer minderjährigen Geliebten geschlichen hat, um sie zu vögeln. Mittendrin seien dann ihre Eltern reingeplatzt und sie musste sich in einem Schrank verstecken und beten, dass niemand sie hört. Wie in einer schlechten Teenie-Komödie. Immerhin hätten sie am Ende darauf verzichtet, die Polizei zu rufen.

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Ich kann sehen, dass sie mit der kindlichen Ungeduld einer Betrunkenen, die mir gerade ein Geheimnis gestanden hat, auf meine Zustimmung wartet.

Ich frage, wie alt das Mädchen heute wäre. Insgeheim will ich in Erfahrung bringen, wie lang die Geschichte zurückliegt.

"Oh", sagt sie und gibt der Bedienung zu verstehen, dass wir gerne mehr zu trinken hätten. "Dreißig oder so. Dein Alter schätze ich."

Mir wird ein bisschen schlecht.

Alice übergeht mein Unbehagen souverän. Ich bezweifle, dass sie es überhaupt bemerkt hat. Die Bedienung kommt mit unseren Getränken. Jetzt erzählt sie davon, dass sie vor Kurzem mal einen Freund hatte. Da war einfach diese sexuelle Chemie, verstehst du? Also, der hatte zwar eine Frau. Deswegen konnten sie nie wirklich zusammen sein. Aber die Frau hatte sich etwas gehen lassen, verstehst du? Er brauchte einfach jemanden, der auf Fitness abfährt wie Alice.

"Sein Schwanz war aber viel zu groß", sagt sie. "Also, so richtig, angsteinflößend groß." Sie hat jetzt ihr Handy in der Hand und dreht es zu mir um. "Siehst du?"

Auf dem Bildschirm ist ein Bild von einem Mann. Er posiert vor einem Spiegel. In der einen Hand hält er sein Handy, mit dem er das Selfie macht. Er ist groß, pralle Muskeln, der Kopf rasiert. Und, wie versprochen, hat er einen erschreckend großen Schwanz.

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Ich nicke höflich und nehme einen Schluck von meinem Wein. Plötzlich überkommt mich ein Anflug von Panik. Ich muss an die Handvoll ziemlich expliziter Fotos denken, die ich ihr von mir geschickt habe.

Als wir endlich mit dem Essen fertig sind, steht Alice auf und torkelt nach drinnen, um die Rechnung zu zahlen. Eine halbe Stunde ist sie schon weg, aber ich kann mich nicht aufraffen, nach ihr zu schauen. Ein vorbeilaufender Hilfskellner, der meine missliche Lage bemerkt, setzt mich darüber in Kenntnis, dass ich mein Date, falls ich es suchen würde … nun ja, sie sitze an der Bar und trinke ein paar Kurze.

Ich bedanke mich für die Information und drehe mich um, um den Enten dabei zuzuschauen, wie sie in grünen Linien über das Wasser schaukeln. Irgendwie bekomme ich es hin zu weinen.

Als Alice zurückkommt, kann sie sich kaum noch auf den Beinen halten. Sie grinst mich an. Einen Freund habe sie zufällig getroffen, sagt sie.

Wir fahren zu ihr nach Hause und gehen ins Bett. Sie macht noch einen Film an, ist keine Minute später aber schon eingepennt. In voller Montur. Sogar die Socken hat sie noch an. Sie schnarcht laut. Ich liege wach und starre an die Decke, das erdrückende Gewicht meiner zerstörten romantischen Fantasie hält mich davon ab, mich zu bewegen.

Bin ich so verkorkst, dass ich mich nur zu solchen Frauen hingezogen fühle?

Am Morgen wird der Grund für das ganze Debakel klar – zumindest teilweise. Ihre offene Beziehung ist doch nicht so offen, wie sie behauptet hatte. Und ihre Partnerin ist alles andere als glücklich darüber, dass ich hier bin. Alice hat sichtlich mit ihrem schlechten Gewissen zu kämpfen. Sie könne es nicht mehr aushalten, sagt sie. Ihre Partnerin habe ihr pausenlos SMS geschrieben.

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Es funktioniere einfach nicht, sagt sie. Und dann bittet sie mich zu gehen.

Ich steige in mein Auto und fahre die 1.000 Kilometer fast in einem Rutsch zurück. Passenderweise scheint die Sonne nicht mehr. Es ist grau, kalt und schüttet wie aus Eimern. Die ganze Fahrt durch heule ich und mache mir Vorwürfe. Selbst Schuld. Warum bin ich auch so dumm? Stimmt irgendetwas nicht mit mir, dass diese Frau mich nur im Vollsuff ertragen kann? Bin ich so verkorkst, dass ich mich nur zu solchen Frauen hingezogen fühle?

Als ich zu Hause ankomme, ist mein Selbstmitleid in Wut umgeschlagen. Ich habe länger im Auto gesessen, als ich in Fairbanks war.


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Ich schnappe mir mein Handy und rufe Alice an, um ihr die Meinung zu geigen. Wie zur Hölle kann jemand so scheiße sein? Ich dachte, ich bedeute dir was? Ich dachte, du wärst ein toller Mensch.

"Ich bin ein toller Mensch", sagt Alice ruhig. "Ich wollte das alles nicht so. Was ich tue, hat nichts zu bedeuten."

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Fassungslos lege ich auf. Ich schenke mir einen ordentlichen Scotch ein und setze mich auf mein Bett.

Plötzlich muss ich lachen. Es ist, als wäre mir ein schweres Gewicht von den Schultern gefallen. Ich nehme einen Schluck von meinem Drink. In meinen Ohren klingelt es. So hört es sich an, wenn man gerade noch einmal die Kurve kriegt.

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