Drogen

Drug-Checking in Berlin: Dieser Mann macht es möglich

Egal ob MDMA, Kokain oder Heroin: "Wer am Dienstag seine Substanzen abgibt, weiß hoffentlich bis Freitag, was drin ist", sagt Tibor Harrach.
Tibor
Foto: Benedict Wermter

Bald ist es soweit: In Berlin beginnt Deutschlands erstes Projekt für Drug-Checking. Organisationen wie Vista und Fixpunkt, die akzeptierende Drogenarbeit leisten, und die Schwulenberatung Berlin bieten Drogenkonsumierenden an, Substanzen testen zu lassen. Gefördert wird das Modellprojekt vom Berliner Senat, 150.000 Euro stehen im Doppelhaushalt bis Ende des Jahres für Beratungsstellen und Laboranalysen bereit. Die Drogenprüfungen sollen sicheren Konsum ermöglichen und Überdosierungen verhindern.

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Das Projekt koordiniert der Berliner Grünen-Politiker Tibor Harrach, der sich seit 2008 in der Drug-Checking-Initiative Berlin-Brandenburg engagiert. Harrach ist einer von Deutschlands Drogenexperten, im Bücherregal seines Büros stehen Enzyklopädien der Rauschmittel.

Wir treffen uns in der Drogen- und Suchtberatungsstelle Misfit, in einem loftartigen Büro mit Blick auf die Spree und die Oberbaumbrücke. Bei Misfit sollen ab Herbst ebenfalls Drogen entgegengenommen und zur Untersuchung ins Labor geschickt werden.

Im Gespräch erzählt Tibor Harrach, wie Drug-Checking in die Partyszene gebracht werden soll und warum die Analyse von Drogen für Konsumierende so wichtig ist.

VICE: Herr Harrach, wie kann Drug-Checking Überdosierungen vorbeugen?
Tibor Harrach: Wir nehmen Substanzen entgegen, die keinen Maßnahmen zur Qualitätssicherung unterworfen sind, und untersuchen sie. Dann wissen wir, was und wie viel davon enthalten ist. Mit diesem Wissen lassen sich Überdosierungen und Vergiftungen durch unerwartete und gefährliche Substanzen vermeiden.

Diese Rückmeldung geben wir Konsumenten und ermöglichen so einen verantwortungsvollen und risikobewussten Konsum. Dazu müssen wir auch definieren, was die Normaldosis ist.

Ich habe erst einmal festgestellt, dass die akzeptierende Drogenhilfe Probleme bei der Definition einer Normaldosis hat. Berater haben bei solchen pharmazeutischen Fragen manchmal Blockaden, die es aufzuheben gilt. Wenn wir aber Drug-Checking erfolgreich umsetzen wollen, dann müssen wir Konsumenten ausreichende Orientierung geben.

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Sagen Sie dann den Konsumierenden: "Du bist so und so groß, also nimmst du maximal so viel Milligramm einer Substanz?"
Wir geben keine Konsumempfehlungen ab. Wenn Drogennutzer zu uns in die Beratung kommen, reflektieren wir zuerst mit ihnen den Konsum. Das heißt, wir arbeiten mithilfe eines Fragebogens Konsummuster und Risikoverhalten heraus.

Im Anschluss haben die Konsumenten künftig die Möglichkeit, mehrere Proben abzugeben. Sie sagen uns, als was sie die Substanzen gekauft haben – also als Kokain, MDMA, Heroin und so weiter –, und wir verpacken die Drogen und geben den Klienten eine Karte mit einem Code. Dann schicken wir die Substanzen in ein professionelles Labor.

Nach ein paar Tagen kriegen wir das Ergebnis mit den Wirkstoffen und Verunreinigungen. So können wir Konsumenten warnen und ihnen einen Dosierungsrahmen aufzeigen, der vor einer Überdosierung schützt. Der Dosierungsrahmen ist der Bereich, in dem nach aktuellen Studien eine Substanz psychoaktiv wirkt und Schäden wahrscheinlich nicht auftreten. Wir berücksichtigen auch individuelle Faktoren wie Körpergewicht, Toleranz, Geschlecht und Gesundheitszustand.


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Wollen Sie damit eher Partygäste oder zum Beispiel auch Heroinkonsumierende erreichen?
Wir sind für alle Konsumenten illegaler Drogen da. Nur Cannabis können wir alleine schon aufgrund der hohen Zahl Konsumierender nicht untersuchen. Auch Cannabis-Konsumenten sollen wissen, wie viel THC und CBD in ihrer Substanz ist und ob das Cannabis verunreinigt ist. Das wird aber innerhalb des in Berlin geplanten Abgabemodells für Cannabis geregelt.

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Ich rechne damit, dass unser Angebot für Gelegenheitskonsumenten aus der Partyszene attraktiv ist, die nach ein paar Tagen ein Ergebnis erhalten können. Wer also am Dienstag seine Substanzen abgibt, weiß hoffentlich bis Freitag, was drin ist.

Für Heroin-Konsumenten ist unser Angebot nicht ganz einfach zu nutzen, weil sie oft nicht die Zeit haben zu warten, sondern wegen ihrer Abhängigkeit und fehlender Möglichkeiten zur Vorratshaltung den Stoff schnell nach dem Erwerb konsumieren. Aber auch für sie kann Drug-Checking interessant sein, wenn sie etwa mit einer Substanz schlecht zurechtgekommen sind. Da reichen uns schon Reste auf einer Folie, die wir ins Labor schicken und analysieren lassen können. Das Ergebnis hilft, auf Gründe für den schlechten Zustand des Konsumenten zu schließen.

Warum ist Ihre Arbeit gerade für heroinabhängige Menschen so wichtig?
Ein Modell zum Substanzmonitoring in Drogenkonsumräumen gibt es schon, allerdings nur innerhalb einer wissenschaftlichen Studie. Demnach schwankte im ersten Halbjahr 2019 in Berlin der Gehalt von Heroin zwischen 12 und 79 Prozent. Das ist lebensgefährlich für Konsumenten, die den üblichen stark gestreckten Stoff erwarten und dann unerwartet die dreifach höhere Dosis konsumieren. Deswegen wollen wir unser Angebot so praktikabel wie möglich machen. Drug-Checking ist eine sinnvolle Ergänzung, die wir unbedingt brauchen.

Ich frage mich, ob Ihr Angebot für Clubgänger praktikabel ist, die die Analyse vor dem Wochenende ja irgendwie in den Alltag einplanen müssen. Gibt es keine Schnelltests?
Bisher kann man bei Schnelltests nur sagen: Dieser oder jener Wirkstoff ist drin oder nicht. Eine umfassende Analyse von Wirkstoffen, ihrem Gehalt und den Verunreinigungen ist nur durch ein Drug-Checking möglich. Wer also sicherer konsumieren will, muss schon ein paar Tage vorausplanen.

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Im Internet gibt es schon Pillenwarnungen, zum Beispiel bei ChEck IT, einem Angebot aus Österreich. Wo ist der Mehrwert des Drug-Checkings?
Es ist gut, dass es Pillenwarnungen gibt. Sie können jedoch nur einen ungefähren Überblick über die Marktlage geben. Pillen, die dieselben Farben und dasselbe Logo haben, können ganz unterschiedlich zusammengesetzt sein. Da gibt es auch regionale Unterschiede, etwa zwischen Wien und Berlin.

Man muss schon eine Tablette oder einen Abrieb aus einer Charge überprüfen lassen, um zu wissen: Da ist dieses und jenes drin. Allein ein Internetcheck zur Identifizierung einer Substanz ist also unsicher! Außerdem sind Pulver wie Kokain, Speed oder Ketamin Substanzen, die man nicht einfach wiedererkennen kann.

Wann geht das Drug-Checking los?
Wir stehen in den Startlöchern! Das Projekt ist politisch gewollt und ein Rechtsgutachten positiv ausgefallen. Polizei und Staatsanwaltschaft akzeptieren unser Modell. In diesem Herbst wollen wir an den Start gehen. Verwaltungsvorgänge werden gerade zwischen Trägern, Behörden und Labor abschließend geklärt.

Es gab viele Knackpunkte auf dem Weg zum Drug-Checking, doch unser Hauptproblem war: Machen sich Berater strafbar, wenn sie eine Substanz entgegennehmen? Der Besitz von illegalen Substanzen ist laut Betäubungsmittelgesetz strafbar. Kann man aber von Besitz sprechen, wenn man eine Substanz entgegennimmt, um sie nur ins Labor zu bringen, wo sie analysiert und dabei vernichtet wird? Da sagt der Gutachter: Der Besitzwille fehlt. Dieser Argumentation folgen alle maßgeblichen Parteien.

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Sie haben mit dem Verein Eve&Rave vor dreißig Jahren schon einmal Drug-Checking durchgeführt. Warum hat Ihnen diese Argumentation damals nicht genutzt?
Wir haben damals mit der Gerichtsmedizin der Charité Drug-Checking gemacht. Allerdings gegen den Willen des Senats, der die Polizei losgeschickt hat. Die Charité und Eve&Rave sind durchsucht worden, Verfahren wurden eingeleitet. Die Richter sind aber schon damals nicht den Anträgen der Staatsanwaltschaft gefolgt, und die Verfahren wurden eingestellt.

Über Jahrzehnte wurde trotzdem behauptet, Drug-Checking sei illegal. Das war das Narrativ zur Verhinderung von Drug-Checking. Jetzt haben wir einen anderen politischen Willen, und dieses Mal klappt es.

Kritiker aber zweifeln das Projekt an. Drogenkonsum werde verherrlicht, sagen sie.
Es gibt unterschiedliche Formen von Kritik. Ein wiederkehrender Punkt ist, dass Drug-Checking den Drogenkonsum fördere. Dem entgegne ich, dass im Ausland schon wissenschaftlich begleitete Modelle laufen. Alle Untersuchungen zeigen: Drug-Checking führt nicht zu mehr Konsum, im Gegenteil. Je häufiger Konsumenten teilnehmen, desto kritischer werden sie im Umgang mit ihren Substanzen und desto weniger konsumieren sie am Ende.

Können wir davon ausgehen, dass das Verbot von Drogen und die Strafverfolgung der Nutzer langsam ein Ende nehmen?
In vielen Ländern scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein, insbesondere in den USA, in Asien und Lateinamerika, wo es noch einen ausgesprochenen "Krieg gegen Drogen" gibt. In Europa ist Portugal das einzige Land, das so weit gegangen ist, Drogengebrauch weitgehend zu entkriminalisieren. In den Niederlanden werden die Coffee Shops zwar geduldet, ihre Versorgung mit Ware ist aber nach wie vor rechtlich nicht gesichert.

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Bei Cannabis sind wir am weitesten, der medizinische Nutzen ist belegt. Länder wie Kanada, Uruguay und jetzt auch Luxemburg regulieren die Substanz für den Freizeitkonsum von Erwachsenen. Da bewegt sich was in der Politik und der öffentlichen Wahrnehmung – auch in Deutschland. Hier haben wir medizinisches Heroin, das in speziellen Kliniken an eine kleine Zahl von Schwerstabhängigen im Rahmen der Substitutionsbehandlung abgegeben wird.

Das sind aber alles nur Trippelschrittchen. Denn für alle anderen Substanzen haben wir weltweit keine umgesetzten Regulierungsmodelle. Das ist ein Problem für Konsumenten, die mit Ausnahme von Portugal kriminalisiert sind und Stoffe konsumieren müssen, die hinsichtlich ihrer pharmazeutischen Qualität höchst unsicher sind. Und natürlich ist unsere Drogenpolitik ein Riesenproblem für die Anbau- und Transitländer, die von Gewalt zwischen kriminellen Drogenkartellen und staatlichen Institutionen geplagt sind – wobei regelmäßig völlig Unbeteiligte getroffen werden.

Konsumieren Sie eigentlich?
Darauf möchte ich nicht antworten, denn dann würde mir die Gegenseite vorwerfen: "Ach, du machst das nur, weil du selber konsumierst." Mein Engagement kommt daher, dass ich Pharmazie studiert habe und in den 90ern in der Technoszene unterwegs war. Damals wurden neue Substanzen konsumiert, und ich bin zu Eve&Rave gestoßen. Wir haben uns Gedanken gemacht, was das für Substanzen sind und wie wir ihnen begegnen. Und so bin ich all die Jahre dabeigeblieben.

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