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Sex

Wie du Polyamorie richtig machst

Das solltest du alles bedenken, bevor du deine Beziehung öffnest.
Collage: Zoe Ligon

Collage: Zoe Ligon

Monogamie ist nicht tot, aber auch Polyamorie mutet so lebendig an wie eh und je. So hat der Dating-Dienst OkCupid dieses Jahr ein neues Feature eingeführt, bei dem Beziehungspartner zusammen nach neuen Liebschaften suchen können, die Schauspielerin Mo'Nique produziert einen Podcast, in dem sie von ihrer offenen Ehe erzählt, und der Fernsehsender Showtime führt eine Reality-TV-Serie namens Polyamory: Married and Dating in seinem Portfolio an. Außerdem bietet auch Tinder (zumindest in Australien) eine Option fürs Gruppendating an. Wenn wir darüber reden, "offen zu sein", dann verwandeln sich Beziehungen von einem System zu einer Art Raum—den wir selbst gestalten und in dem wir uns selbst zurechtfinden müssen.

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Aus diesem Grund habe ich mehrere Menschen einberufen, um über den derzeitigen Stand in Sachen Sex und Beziehung zu diskutieren. Außerdem geht es um verschiedene Bindungsmodelle—die, denen wir Folge leisten, und die, die wir zerstören wollen.

Zusammen mit drei Freunden habe ich untersucht, wie und warum man sich für verschiedene Beziehungsmodelle entscheidet und diese dann auch durchzieht. Der Kunstredakteur David Velasco, die progressive Essayistin Charlotte Shane sowie die Lyrikerin und Sozialarbeiterin Jasmine Gibson erforschen die Grundlagen ihrer offenen oder monogamen Beziehungen, in denen sie sich auch als Menschen weiterentwickeln. Für unsere Diskussion haben wir einen bewährten Rahmen gewählt: Beim Brunch zusammenkommen und sich öffnen.

David Velasco: Ich habe immer Schwierigkeiten mit den Vokabularien. Selbst der Begriff "Beziehung" fühlt sich für mich irgendwie unzureichend an—so als ob "meine Beziehung" die einzige ist, die ich habe, oder als ob alle meine andere zwischenmenschlichen Beziehungen irgendwie weniger wert wären.

Ich bin mit einem meiner Partner jetzt schon seit 12 Jahren zusammen und wir sind von Anfang an offen gewesen—wir mochten es auch gar nicht, uns gegenseitig als "fester Freund" zu bezeichnen. Unserer Meinung nach sind wir einfach nur zwei Menschen, die sich lieben und gerne Zeit miteinander verbringen. Außerdem haben wir noch einen weiteren Partner, mit dem wir uns jetzt schon seit mehreren Jahren treffen. Es war dabei auf jeden Fall ein ziemlich interessanter Prozess, sich darauf zu einigen, wie man das Ganze überhaupt definieren soll. In Bezug auf diese Vorstellung von "Beziehungsmodellen" bin ich persönlich stark dafür, so etwas gar nicht erst festzulegen.

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Ana Cecilia Alvarez: "Modell" ist in diesem Fall sowieso ein ziemlich spielerisches Wort, denn es impliziert ein System und gleichzeitig etwas, das man nachmacht bzw. dem man folgt.

Velasco: Zu diesem ganzen Thema gibt es auch ein sehr nützliches Buch. Ich bin in Portland aufgewachsen, wo ich als queerer junger Mann, der seinen Weg erst noch finden musste, in den 90ern wie im Himmel war. Dort stieß ich auch auf besagtes Buch, das den Titel The Ethical Slut trägt. Einer meiner Partner hat sich vor Kurzem das dazugehörige Hörbuch runtergeladen, das von den Autorinnen Dossie Easton und Janet W. Hardy eingesprochen wurde. Ihre Stimmen sind dabei unglaublich weich und therapeutisch und die beiden beschreiben jede potenzielle Möglichkeit auf eine neutrale Art und Weise. Außerdem geben sie einem richtig gute Tipps in Bezug auf das Thema Konfliktbewältigung. Einer meiner Favoriten ist dabei das Üben von Auseinandersetzungen: Man schreit sich einfach gegenseitig an und lässt damit alles raus.

Ich habe mich auch schon oft über Monogamie und den Reiz, das Ganze zu probieren, unterhalten. Irgendwie hat eine solche Abmachung auch etwas Erotisches an sich.

Charlotte Shane: Ich glaube, dass das auch gut für das Gebrabbel beim Sex funktionieren würde! Derzeit befinde ich mich in einer Beziehung, die meines Wissens nach komplett monogam ist. Und das ist für mich doch ziemlich neu, denn ich weiß noch, wie ich als Kind nichts mit sexueller Reinheit anfangen konnte. Ich meine, man will doch, dass der Gegenüber gut im Bett ist. Und genau das kommt nur mit Erfahrung, oder? Ich wünschte, dass in unserer Kultur offene Beziehungen normal und monogame Verhältnisse die Ausnahme wären. Ich bin auch der Meinung, dass es sich in diese Richtung entwickelt.

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Ich glaube, dass die meisten Beziehungen heutzutage vorgeblich monogam ablaufen, es daneben aber noch viele Affären gibt. In vielen offenen Beziehungen hat es den Anschein, als würden die Involvierten beim Sex der emotionalen Verbindung zum Gegenüber nicht so viel Bedeutung beimessen wie bei monogamen Beziehungen. Bei Affären sind die meines Erachtens nach verletzendsten Aspekte Unehrlichkeit und Unabhängigkeit.

Jasmine Gibson: Vor meinem Studium war ich mal in einer monogamen Beziehung und es hat nicht funktioniert. Wenn ich gefragt werde, wie es in einer offenen Beziehung abläuft, dann heißt es entweder "Mann, das muss echt schwer sein" oder "Dann gibt es sicher niemals Streit". Aber auch in offenen Beziehungen kann man fremdgehen.

Alvarez: Die Leute gehen immer davon aus, dass es in offenen Beziehungen entweder mehr oder gar keinen Streit gibt.

Gibson: Eine offene Beziehung ist weder schwerer noch einfacher zu führen als irgendein anderes Beziehungsmodell, denn auch hier muss man sich an gewisse Regeln halten.

Alvarez: Zwar führen wir eine offene Beziehung, aber mein Partner und ich haben auch nie ausgeschlossen, irgendwann monogam zu leben. Vielleicht probieren wir das eines Tages mal aus.

Gibson: Für mich sind Beziehungen etwas, das sich ständig verändert. Sie können enden oder langweilig werden oder sich irgendwie weiterentwickeln. Es gab Zeiten, in denen mein Partner und ich keinen anderen Menschen treffen wollten, aber dann eben auch Zeiten, in denen wir zusätzlich noch andere Partner hatten. Erst wenn wir uns Grenzen setzen, gehen die Schwierigkeiten los. "Wir" ist ein komisches, nicht greifbares und elastisches Ding. Und dieser Umstand beruhigt mich doch ungemein.

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Velasco: Ich habe mich auch schon oft über Monogamie und den Reiz, das Ganze zu probieren, unterhalten. Irgendwie hat eine solche Abmachung auch etwas Erotisches an sich.

Gibson: Ich finde Monogamie auf die gleiche Art und Weise erotisch, wie man einen einsamen Cowboy erotisch findet—also die Vorstellung davon, wie nur eine Person für das eigene Verlangen da ist und einem alle Wünsche erfüllt. Das Ganze ist so erotisch, weil es so düster daherkommt. Monogamie zeigt uns auf, wie wir über das Thema Produktivität denken. Man geht davon aus, dass man nur dann produktiv sein kann, wenn man mit nur einem einzigen Menschen zusammen ist. Ich wurde zum Beispiel schon gefragt, wie ich überhaupt etwas auf die Reihe bekomme, wenn ich doch die ganze Zeit nur am Ficken bin. Die Leute sind immer total überrascht, wenn ich ihnen dann erzähle, dass ich auch so produktiv sein kann und dass eine polyamoröse Beziehung auch Vorteile mit sich bringt.

Velasco: Und wie steht es um den Genuss der Eifersucht?

Alvarez: Ich gebe es zwar nur ungern zu, aber irgendwie motiviert es mich, wenn andere Leute auf meinen Partner stehen.

Velasco: Wieso gibst du das nur ungern zu?

Alvarez: Bei einer offenen Beziehung muss ich mein wahres Ich im Vergleich zu meinem idealen Ich akzeptieren. Mein ideales Ich ist total entspannt, cool, neugierig, ermutigend, selbstsicher und zufrieden. Mein wahres Ich ist hingegen unsicher, ängstlich und quengelig.

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Shane: Ich weiß, was du mit deinem idealen, intellektuell gesehen reifen Ich und deinem emotionalen, wahren Ich meinst. Es gibt da diese starke Mischung aus Angst und Unsicherheit, die ein riesiger Turn-on sein kann. Obwohl ich jetzt monogam lebe, füge ich mir immer noch auf die gleiche Art und Weise Leid zu wie damals in meiner offenen Beziehung. Ich zwinge meinen Freund immer noch dazu, mir alles über sein vergangenes Verhältnis zu erzählen—und dann fühle ich mich richtig beschissen.

Meine Idee für ein Performance-Kunstwerk sieht vor, dass ich alle Menschen, mit denen ich je geschlafen habe, in einen Raum bringe und sie dann einfach dort zurücklasse.

Gibson: Mein Ex war verheiratet und ich meinte zu ihm: "Ich muss alles über diese Frau wissen!"

Alvarez: Für mich sind diese Menschen so etwas wie intime Fremde. Eigentlich müssen wir ja auch irgendwelche Gemeinsamkeiten haben, denn es hat sich ja die gleiche Person in uns verliebt. Meine Idee für ein Performance-Kunstwerk sieht vor, dass ich alle Menschen, mit denen ich je geschlafen habe, in einen Raum bringe und sie dann einfach dort zurücklasse.

Velasco: Hey, in diesem Raum war ich schon mal! Einer meiner Partner … eigentlich hasse ich dieses Wort ja. Ich bevorzuge "Lover". Einer der Menschen, die ich liebe, ist früher mal mit einem Mann zusammen gewesen, der jetzt gut mit uns befreundet ist. Wir sind zu dritt nach Argentinien geflogen und im Flugzeug wollte dann eine Familie—also ein Mann, eine Frau und ein Kind—zusammensitzen. Irgendjemand wollte uns deswegen dazu bewegen, die Plätze zu tauschen. Das Argument dieser Person war folgendes: "Sie sind eine Familie!" Der ehemalige Liebhaber meines Liebhabers meinte daraufhin nur: "Wir sind ebenfalls eine Familie!"

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Alle: Oooooh, wie süß!

Velasco: Ich habe nie mit ihm geschlafen—und darum geht es auch gar nicht! Ich habe jedoch eine Vorstellung von der Welt, in der ich leben will. Und diese Welt beinhaltet auch ein Familienbild, das viel mehr umfasst, als es derzeit tut.

Alvarez: Das lässt mich an das Konzept des Co-Parenting oder an Fantasien von gemeinschaftlichen Wohnverhältnissen mit offenem Geschlechtsverkehr denken.

Noisey: AnnenMayKantereit über die große Liebe, Polyamorie und … Tinder

Gibson: Mein Partner und unsere beiden Liebhaber haben auch schon scherzhaft darüber geredet, zusammen in ein Haus zu ziehen und ein Baby zu haben. Wir denken einfach, dass das die beste Art und Weise ist, wie ein Kind groß werden kann—also mit gesunden Beziehungen zu Erwachsenen, bei denen die Liebe einen höheren Stellenwert einnimmt, als eine genau Mama- und Papa-Rollenverteilung.

Velasco: Einer meiner Liebhaber lebt im selben Gebäude wie ich, halt bloß in einem anderen Stockwerk. Und der andere wohnt auch nur eine kurze Fahrradtour entfernt. Ich finde die Idee einer Wohnkommune großartig, denn dann bin ich allen wichtigen Menschen ganz nah—egal ob nun Liebhaber, Freund oder irgendwas dazwischen. Da ich auch nicht jünger werde, beschäftige ich mich natürlich immer intensiver mit der Frage nach Kindern. Mir fällt spontan jedoch keine kompliziertere Sache ein. Ich meine, für mich sind Beziehungen schon unglaublich kompliziert, aber Kinder setzen dem Ganzen wirklich die Krone auf.

Alvarez: Witzig. Ich persönlich habe zwar kein Verlangen danach, mich fortzupflanzen, aber wenn ich neue Wege finden müsste, wie man sich zwischenmenschlich mehr füreinander interessiert und mehr für den Gegenüber sorgt, dann würde ich es auch nicht ausschließen, Mutter zu werden. Und in einem Punkt stimme ich dir zu: Diese ganze Beziehungskiste ist im Vergleich zur Nachwuchsdiskussion wirklich Kindergeburtstag.