VICE Reviews

DUST COVERED CARPET
Pale Noise
Siluh 
9

Dust Covered Carpet haben mich süchtig gemacht und mir Orte meiner Seele gezeigt, die ich vielleicht niemals sehen wollte. Ich weiß, ihr habt keine Ahnung, was ich meine. Wenn ich mir Pale Noise anhöre, will ich, dass es schneit, will ich in Glasscherben liegen, die nur bunt sind, weil die Sonne drauf scheint. Ehrlich, Dust Covered Carpet sind eine synästhetische Erfahrung. Jeder Song hat einen anderen Grauton. Klares Wasser, das trüb ist, weil es traurig ist, und Dinge nach außen trägt, die viel zu lange unter deinen zitternden Blutgefäßen waren. Ach, fuck you all. Ich wische mir meine hochgekommene Emotion mit einem Seidentuch aus dem Gesicht.
SEVERE DARKO

MIRAC
Was willst du tun, Fisch?
Duzz Down San
0

Auf Was willst du tun, Fisch? wird einem mit Tracks wie Cornflakes, Pizza und #fisch anständig der Appetit verdorben. Wiener Vollproleten-Swag trifft auf Bubenzimmer-Lo-Fi-Hip-Hop und missbraucht einen unschuldigen Tierwitz als Appetizer. Mit höchstgradig stupiden Songtexten, nervösem Snare-Drum-Geflirre und prolziger Monotonie sind acht der neun Nonsens-Tracks eine nicht enden wollende Ballade des Mists, ein einziges Ärger Nice. Wenn der Fisch könnte, würde er sich selbst vom Cover angeln.
DOLL PHIN

DORIAN CONCEPT
Joined Ends
Ninja Tune/Hoanzl
9

Normalerweise halten Alben, auf die alle Szeneaffen fünf Jahre warten wie auf das Ergebnis des AIDS-Tests, niemals die Erwartungen. Die Gefahr war auch bei Dorian Concept ziemlich hoch, zumal der Release-Termin immer wieder nach hinten geschoben wurde. Aber jetzt ernsthaft: Als ich Joined Ends das erste Mal laut über Kopfhörer laufen hatte, habe ich fast ein bisschen geweint. Endlich hält eine dieser österreichischen Platten mal das, was alle monatelang vor sich hin hyperventilieren. Wenige Clubtracks, dafür viele verspulte Perlen, die der Soundtüftler virtuos aneinanderreiht. Um mal in einem Satz vier Worte zu benutzen, für die man in Reviews eigentlich zu Recht Prügel kassiert.
ANTON AUSNAHMEKÜNSTLER

THE NEW PORNOGRAPHERS
Brill Bruisers
Matador
2

Wow, das hier ist echt abgefuckter Yuppie-Bullshit! Ich hätte es wissen müssen, als mir das Album von einem übertrieben freundlichen, Zehenschuhe tragenden Pädagogik-Studenten empfohlen wurde. The New Pornographers sind wie zu Hause gebrautes Bier—je älter ich werde, desto mehr Idioten mögen es.
MICHAEL DROP

NAZAR
Camouflage
Wolfpack Entertainment
7

Österreich—Iran und retour. Am besten im Auto, im tiefergelegten 7er womöglich. Woofer auf Anschlag und Nazar rein. Ja, für sowas würde sogar ich mal den Führerschein machen. Die echten „Kanax“, von denen Nazar da mit roher Ehrlichkeit spricht, haben den aber schon und lachen mich derweil aus. Ich geb‘s gleich mal zu, mit diesem „Street“-Zeug aus der Deutschrap-Ecke konnte ich noch nie was anfangen, aber der Favoritener Beitrag überrascht abseits von Bling, Beef und Diss. Klar werden hier und da Mütter gefickt, aber Nazar muss das Game nicht fronten, ja nach eigener Aussage ist er nicht mal der Größte, sondern lediglich ein „freundlicher Diktator“. Muss er auch nicht, denn er hat viel gefährlichere Waffen im Gepäck: eine Message. Und die ist absolut okay—so okay, dass ich mir sogar wünsche, dass die „Stürzler“ im hintersten Eck des kleinsten Kuhdorfs auch mal eine gewisse Bescheidenheit im Rap Business mitkriegen. Camouflage tarnt nichts, selbst die schwere Kindheit wird aufgearbeitet, viel Popkultur wird zitiert, aber auch auf Monet und Rembrandt wird gereimt. Ein beeindruckendes Major-Label-Debüt. Ich geh mich dann mal zum Führerscheinkurs anmelden.
ZLATAN IBRAHIMOWITSCHNIG

THE 2 BEARS
The Night Is Young
Southern Fried
7

The Night Is Young von The 2 Bears bietet 13 gemütliche House Tracks, die zum Abhängen auf einem abgewetzten Sofa animieren. Man muss automatisch an eine Couch auf einer Dachterrasse denken, in der sich Wespen ein Nest gebaut haben. Irgendwie bekommt man auch Lust auf Alkohol, wobei die Sorte von Song zu Song variiert—von Bier über Caipirinha bis hin zu Nussschnaps. Ich denke, dieses Album ist gut dafür geeignet, sich nach der Arbeit in der Badewanne zu entspannen und die Zehen im Takt zappeln zu lassen. Man darf sich einfach nicht von den vielen verschiedenen Eindrücken (Sprechgesang, irgendwelche seltsamen Sprachen etc.) verwirren lassen, sonst schafft man es nicht, sich wie gewöhnlich nach der Arbeit einen runterzuholen.
DIRTY RAMMLET

ODESZA
Remixes
Counter Records
5

Hätte ich mir, anstatt durch Europa zu reisen, ein Auto gekauft, wären die Remixe von Odesza diese eine CD, die immer im Player meiner Karre wäre. Die fünf Songs sind so unaufdringlich wie der vorbildliche Nachbar, unerträglich monoton oder sterbenslangweilig sind die Tracks aber dennoch nicht. Sie bilden einen angenehmen Spaziergang durch stimmungsneutrale Beats, die einem nicht vorschreiben, wie man sich zu fühlen hat. Wenn man sich wieder einmal nicht entscheiden kann, was man hören soll, kann man gerne dieses Album auflegen. Hintergrundmusik ohne Anspruch, mehr nicht.
FERDINAND NOPE

RUSTIE
Green Language
Warp
3

Tut mir leid! Ich dachte, Musik ist dazu da, sich gut anzuhören! Mein Fehler. Ich habe einfach nicht bedacht, dass 200.000 Jahre Klangevolution von altsteinzeitlichen Knochenflöten über Strawinskis Frühlingsopfer bis hin zu den Beatles in einem einzigen Moment kulminieren würden, nämlich dem, an dem ein DJ-Möchtegern 30 08/15-Klingeltöne in Garageband packt und damit seinen Soll erfüllt sieht.
MUSCHA TRIMPOP

SLIPKNOT
.5: The Gray Chapter
Roadrunner Records
4

Endlich wieder ein Grund für heliophobe Teenager, sich lebendig zu fühlen, ohne gleich Rasierklingen auf ihren Unterarmen tänzeln zu lassen. Der gewohnte Sing-Along-Metal von Corey Taylor und seinen maskierten Spießgesellen, die ihre Identität (wahrscheinlich aus gutem Grund) vor der Öffentlichkeit verbergen müssen, ist vermutlich schuld daran, dass Jugendliche heutzutage lieber Amok als Rollschuh laufen. Alles in allem ist das neue Album ziemlich genau das, was der Titel verspricht: ein graues Kapitel. Etwas böse, etwas langweilig, etwas gut und etwas schlecht.
MÜLLERS KUH

ACCEPT
Blind Rage
Nuclear Blast
6

Weißt du, was ein Hesher ist? Das sind die Vokuhila tragenden, headbangenden Söhne Baphomets, die alles rauchen, was grün ist, und alles ficken, was ein Judas-Priest-Shirt trägt. Du kannst dich bei diesen Typen auf wenig verlassen, außer dass sie zuverlässig zu viel Grillanzünder benutzen, aber sie sind 100 Prozent lustiger als du, wissen penibel Bescheid über Mercyful-Fate-Bootlegs und sie lieben Accept, weil jeder, der das nicht tut, seinen Kopf in eine Mikrowelle stecken sollte.
FRED PESSARO

MERCHANDISE
After the End
4AD
5

Irgendein Arschloch im Internet hat Merchandise’ frühere (und bessere) Alben beschrieben als zusammengeschmolzene Tapes von The Smiths und The Stone Roses. Das könnte ich unterschreiben, nur klingen sie jetzt eher wie eine geschmolzene U2-Kassette, die von Echo & the Bunnymen in ihrer hochtrabendsten Phase vollgepisst wurde. Sorry, Dudes es kotzt mich an, dass ich eurem 4AD-Debüt ans Bein pissen muss, aber bei Children of Desire fielen doch reihenweise Schlüppis auf den Boden, wieso um alles in der Welt musstet ihr ein Akkordeon einbauen und das ganze Ding vermasseln?!
HORACE GRANT

THE SUN RA ARKESTRA
Live in Nickelsdorf 1984
TROST
9

„Braucht die Welt ein weiteres Live-Album“, fragen wir uns prinzipiell immer, wenn ein Tonträger mit „live in“, „live at“ oder „alive under“ im Titel (meist verpackt in ein dämliches Wortspiel) in unseren Posteingang flattert. Doch in diesem Fall ist die Antwort alleine schon des Interpreten wegen ein inbrünstiges JA. Dieses wunderbare 3-CD-Set ist ein sakrales Relikt, ein essentielles Dokument für eigentlich jeden, der sich ersthaft mit Musikgeschichte auseinandersetzen möchte. Das Ganze ist übrigens über 20 Jahre, bevor der Nickelsdorfer Boden von Pappfigurrockern entweiht wurde, passiert. Wenn dir Sun Ra nichts sagt, habe ich wahrscheinlich auch gerade dein Lieblingsfestival beleidigt und kann mir noch ein bisschen ins Fäustchen lachen, bis endlich das Vinyl dazu kommt.
SUN RAVER

GERHARD HEINZ OST
Geissel des Fleisches
Digatone Records
8

Die Compilations und Original Music von Morricone, Linklater und Konsorten sind im Normalfall in allen Lebenslagen deine besten Spickzettel, um dich durch Musikdiskussionen zu schummeln. Dieser Soundtrack von Gerhard Heinz ist da eher ein Ausreißer, aber perfekt, um sich wie ein Low-Budget-Agent zu fühlen, der rauchend auf Kinderspielplätzen und auf Mädchenauktionen abhängt. Wer beim Titel dieses österreichischen Krimidramas aus dem Jahre 1965 an Industrial-Gekreische und schrille Splatter-Violinen denkt, liegt ziemlich falsch und wird sich bei diesem feinsten Trash Swing mit Titeln wie Der Würger von Wien und Schenkelparade direkt die Schallackplatte herbeiwünschen.
JOSEX PORN