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Die Flüchtlinge im Lager Traiskirchen organisieren sich

AktivistInnen im Lager Traiskirchen mobilisieren für eine Demo am Sonntag. Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen.
Alle Fotos vom Autor

V.l.n.r.: Shabir Hussain, Muhammad Awais, Mohammad Numan Jhammat. Alle Fotos vom Autor.

AktivistInnen im Lager Traiskirchen und ihre UnterstützerInnen wollen am Sonntag eine Großdemo am Bahnhof Traiskirchen organisieren. Die Demo war ursprünglich untersagt worden, doch nun ist die HochschülerInnenschaft der Uni Wien als neue Anmelderin für die Demonstration eingesprungen, die um 13:00 Uhr am Bahnhof Traiskirchen starten soll.

Gegen die menschenunwürdigen Zustände im Lager Traiskirchen fand bereits am Montag, dem 20. Juli, eine erste Demonstration statt. Auch in der Vergangenheit hatte es immer wieder Proteste von Flüchtlingen aus Traiskirchen gegeben. Im November 2012 zogen Flüchtlinge in einem Protestmarsch nach Wien und besetzten anschließend die Votivkirche. Laufend gibt es Sitzstreiks und kleinere Proteste der Betroffenen gegen die Zustände im Lager.

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Ich habe mich mit Mohammad Numan Jhammat* getroffen, einem der Aktivisten der aktuellen Protestbewegung. Numan ist in Dubai aufgewachsen, seine Eltern stammen aus Pakistan. Der 28-Jährige war im Jahr 2012 Traiskirchen untergebracht und einer der Aktivisten des Marsches nach Wien und der anschließenden Besetzung der Votivkirche. Kurz danach musste er Österreich verlassen, konnte dann aber mit einem Studierenden-Visum wieder einreisen. Numan studiert nun an der Akademie der bildenden Künste und unterstützt die Proteste im Lager Traiskirchen.

Numan erzählt, dass aktuell die meisten Menschen im Lager aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Indien, Palästina und Bangladesch stammen würden. Er selbst spricht Urdu/Hindi, Arabisch, Englisch und Deutsch und kann sich damit mit vielen der Flüchtlinge im Lager gut verständigen und damit bei der Vernetzung mit den Unterstützungs-Gruppen helfen.

Mohammad Numan Jhammat und Shabir Hussain. Die Forderungen auf den Bildern wurden von den abgebildeten Personen formuliert und dann auf Deutsch übersetzt.

Zu unserem Gespräch hat Numan zwei Flüchtlinge aus Pakistan mitgebracht, die beide erst vor rund einer Woche in Österreich angekommen sind. Der 29-jährige Muhammad Awais* stammt aus Sialkot im Nordosten des Landes, der 45-jährige Shabir Hussain* aus der Millionenstadt Islamabad. Beide leben aktuell in Traiskirchen. Das Interview führen wir auf Englisch, einige Male übersetzt Numan auch von Urdu auf Englisch (Urdu ist die Hauptsprache in Pakistan, die mit dem indischen Hindi eng verwandt ist).

Zu Beginn sprechen wir über die Lage im Lager. „Viele Leute im Lager sagen, dass sie gerade aus einem Krieg kommen, aber es hier immer noch aussieht wie in einem Kriegsgebiet", berichtet Shabir. Muhammad und Shabir erzählen, dass sie beide 24 Stunden am Tag auf der Wiese leben müssen. Es gibt für sie keine Räume, nicht einmal Zelte. Vor der Hitze schützen sie sich notdürftig, bei Regen dürfen sie sich in einer der Hallen unterstellen.

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Ein großes Problem ist die Hygiene. Die Toiletten stinken erbärmlich, wie Shabir erzählt. Es gibt viel zu wenige Sanitärräume für die Anzahl von Menschen, die im Lager untergebracht ist. Numan betont, dass vor allem Frauen von den unzulänglichen hygienischen Bedingungen stark betroffen seien.

Ein weiteres Problem ist das Essen, wie alle drei berichten. Es gäbe lange Schlangen vor den Essensausgaben. Vor allem aber sagen die drei, dass die Qualität sehr unzulänglich sei, es wäre auch nicht genügend Essen für alle Insassen vorhanden. Numan erzählt: „Als ich im Lager Traiskirchen ankam, dachte ich, dass ich das einfach nicht essen kann. Mittlerweile ist es eher noch schlechter geworden."

Numan sagt, dass ein weiteres Problem die Art des Essens sei: „Es wird überhaupt keine Rücksicht auf kulturelle Situationen genommen. Ich kann nicht Menschen aus Indien Rind servieren, für gläubige Menschen ist das ein heiliges Tier." Er sagt, dass in Linz und davor auch einmal in Traiskirchen sogar Schweinefleisch an die Menschen ausgegeben wurde, die zu einem guten Teil aus dem muslimischen Kulturraum stammen.

Es gibt für die Menschen, die auf der Wiese schlafen, auch keinerlei Rückzugsräume, keinen Ort, wo persönliche Gegenstände verwahrt werden können. Shabir erzählt: „Ich habe niemals Ruhe. Ich kann nie wirklich tief schlafen und einmal entspannen."

Numan berichtet, dass auch die Anzahl des Betreuungspersonals völlig unzureichend sei: „Es gibt nicht genug ÄrztInnen, DolmetscherInnen, Personal. Die meisten Leute im Lager wissen nicht, warum sie hier so untergebracht werden, was hier passiert. Niemand erklärt es. Es gibt völlig traumatisierte Menschen aus Kriegsgebieten, um die sich niemand kümmert." Numan sagt, dass bei einem seiner letzten Besuche im Lager vor rund 10 Tagen eine Ambulanz an ihm vorbeigefahren sei. Als er fragte, was los sei, sagte man ihm, dass gerade eine Frau ohne medizinische Unterstützung ein Kind geboren hätte—und dass das nicht das erste Mal gewesen sei (Im Innenministerium wird auf meine Nachfrage gesagt, dass ein solcher Fall dort nicht bekannt sei).

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Wir kommen auf die Demonstrationen der Flüchtlinge zu sprechen. Numan erklärt, wie wichtig solche Demos seien und ist empört, dass die erste Anmeldung für die Demonstration am Sonntag untersagt wurde: „Eine Demo gibt uns und unseren Anliegen öffentliche Sichtbarkeit. Sie wollen keine Sichtbarkeit. Wenn die Leute darüber sprechen, wie die Zustände im Lager sind, dann beschämt das die Stadt und die Regierung. Das wollen sie verhindern." Er glaubt, dass es wichtig sei, dass gerade die Menschen in Traiskirchen von den Zuständen im Lager erfahren: „Jeder in Traiskirchen würde zum Beispiel völlig zu Recht wollen, dass es ausreichende medizinische Versorgung für die Bevölkerung gibt. Und genau das benötigen wir auch."

Wir dürfen nicht einmal eine Demo anmelden. Wir brauchen und wollen die Unterstützung von ÖsterreicherInnen.

Ich spreche auch die UnterstützerInnen-Gruppen an. Ich zeige Bilder von roten Fahnen und Transparenten auf Deutsch, übersetzte diese und frage, was die drei davon halten, ob sie sich instrumentalisiert fühlen. Muhammad antwortet für alle drei: „Wir kämpfen alle für die gleiche Sache. Wer uns unterstützen will, ist willkommen." Numan erwähnt, dass es auch sehr viele selbstgemalte Schilder und Transparente in verschiedenen Sprachen gegeben habe, die seien aber in der Presse selten gezeigt worden. Oft sei es aber auch nicht so einfach, so etwas im Lager zu organisieren.

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Numan betont dabei die Wichtigkeit der Unterstützung von außerhalb des Lagers. „Wir dürfen nicht einmal eine Demo anmelden. Wir brauchen und wollen die Unterstützung von ÖsterreicherInnen." Bei der Demo am Montag dieser Woche seien hunderte Flüchtlinge aus dem Lager gewesen, aber gerade einmal einige dutzend ÖsterreicherInnen. Er glaubt, dass es sehr wichtig wäre, wenn Leute, die in Österreich leben, die Demos der Flüchtlinge viel stärker unterstützen würden.

Ich frage, was Leute von außen tun können. Numan sagt, dass es gut sei, wenn Leute Kleidung oder Hygiene-Artikel sammeln. Ein großes Problem dabei sei aber die Verteilung der Spenden im Lager. Es fehlt dort an Personal dafür. Er sagt, dass es aber auch um politische Fragen geht. „Es gibt genug leere Häuser und Wohnungen. Warum müssen Flüchtlinge oder Obdachlose dann unter solchen Bedingungen leben? Das wäre nicht nötig, hier geht es um die Politik der Regierung." Er bittet auch solidarische Menschen in Österreich: „Macht bekannt, wenn wo Häuser leer stehen und für Menschen genützt werden könnten, die Wohnraum brauchen. Sprecht mit Betroffenen. Baut politische Strukturen auf."

Schließlich frage ich Numan, was die Forderungen der Flüchtlinge seien. Er sagt, dass es einerseits um ganz einfache Dinge geht, etwa genug und genießbares Essen, feste Unterkünfte, ausreichende medizinische Versorgung und DolmetscherInnen. Für ihn geht es aber um mehr: „Die Menschen im Lager haben viele Fähigkeiten. Warum werden die nicht genützt? Alle Menschen sollten das Recht haben zu bleiben und mit eigener Arbeit zur Gesellschaft beizutragen." Als ich ihn nach einer Vision frage, lächelt er: „Ich denke sozial und sozialistisch. Ich will gleiche Rechte und Möglichkeiten für alle. Alle Menschen sollten gleich viel wert sein."

* Die im Artikel genannten Namen können geändert sein. Alle Bilder mit Gesichtern werden in Absprache mit den abgebildeten Personen und mit deren ausdrücklicher Genehmigung gezeigt.

Folgt Michael auf Facebook und Twitter: @michaelbonvalot