Ein Militärpfarrer erzählt, wann Soldaten weinen
Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben: Grey Hutton

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Ein Militärpfarrer erzählt, wann Soldaten weinen

"Es gibt Situationen, in denen Soldaten die Körperteile eines Kameraden in einen Sarg kriegen müssen."

Peter Schmidt (54) ist wie ein Schwamm, der das Negative aus den Soldaten aufsaugt. Der evangelische Militärpfarrer hört zu, wenn die Männer und Frauen vom Krieg erzählen, von Bomben und toten Kameraden. Jeden Mittwoch beim Gottesdienst gibt Schmidt in einer kleinen Kapelle der Berliner Julius-Leber-Kaserne Gottesdienste vor den Soldaten über Schuld und Vergebung, auch jene Schuld, die die Soldaten selbst bei Einsätzen auf sich laden. Und auch wenn die Soldaten körperlich unversehrt zurück nach Deutschland kommen, bleiben oft psychische Narben aus dem Einsatz zurück. Posttraumatische Belastungsstörungen heißen die, PTBS. Laut der Bundeswehr sind deswegen 524 Soldaten und 33 Soldatinnen im Jahr 2016 behandelt worden.

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Wenn es dringend ist, rufen die Soldaten Schmidt auf seinem Handy an. Seit dem Jahr 2007 ist er Militärpfarrer. "Nach 9/11 dachte ich mir, dass die Soldaten und Soldatinnen jemanden wie mich brauchen, der sie geistlich begleitet", sagt er.

Die Kaserne ist so weitläufig, dass wir mit dem Auto zu Schmidts Büro fahren. Es liegt direkt neben der Startbahn des angrenzenden Flughafens Tegel. Manchmal übertönt der Lärm der Flugzeuge jedes Wort. Und es ist karg: Sitzecke, Schreibtisch, Regal, Möbel, die nach Behörde riechen: "Wenn man als Pastor in so einem Raum sitzt wie hier, könnte man glauben, ich kann lange warten, bis die Leute kommen." Also gehe er auf die Soldaten zu. Dreimal hat die Bundeswehr Schmidt nach Afghanistan geschickt. Ein Interview über die Ängste, Probleme und die Schuld von Soldaten:

Bibel auf dem Altar der Kapelle

VICE: Wann haben Soldaten am meisten Angst?
Peter Schmidt: In Afghanistan fliegen Soldaten per Hubschrauber von einem Lager in das andere, um dort Dienst zu tun. Und die wissen: Jeder Flug ist gefährlich. Die Taliban beschießen diese Hubschrauber regelmäßig. Wenn sie an Bord gehen, wissen sie nicht, ob sie lebend zurückkommen. Einige Soldaten suchen dann das Gespräch mit mir und versuchen, diese Angst zu teilen.

Haben die Soldaten auch Angst, weil von ihrer Arbeit abhängt, ob andere vielleicht sterben?
Sie tragen viel Verantwortung. Jemand muss zum Beispiel einen Konvoi führen und muss sicherstellen, dass alle 15 Fahrzeuge unbeschadet von einem Lager in das andere kommen. Der Soldat hat aber Informationen, dass die Lage auf der Fahrtroute unruhig ist und der Konvoi vermutlich angegriffen wird. Als Vater dreier Kinder muss er fürchten, dass er sie nicht wieder sieht. Aber auch, dass er nicht alle Soldaten heil rüberbringen kann.

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Trotz der Angst, am Ende müssen die Generäle und Soldaten Befehle ausführen?
Richtig. Da kommt der Mut ins Spiel. Obwohl sie einen Blick dafür haben, wie gefährlich das alles wird, machen sie ihren Beruf. Die Soldaten leben zwischen Familiegründen oder Hausbauen und dem Wissen, dass ihr Name nach einem Einsatz auf dem Ehrendenkmal der Bundeswehr stehen kann.

Das sind die Momente, in denen Soldaten dann anfangen zu weinen?
Das kann passieren. Weinen ist ja nur eine körperliche Lösung, um Anspannung loszuwerden. Bei dem einen kann das helfen, bei einem anderen reicht das schon, es anzusprechen. Und für andere ist es gut, wenn sie im Gottesdienst zuhören und ich für sie die richtigen Worte finde.


Auch bei VICE: Der Krieg der Anderen – Warum Deutsche gegen den IS in den Kampf ziehen


Dürfen nur Christen zur Seelsorge kommen?
Nein, das Gespräch ist ohne religiöse Vorbedingung. Hier sitzen Katholiken, Protestanten, Menschen ohne konfessionelle Bindung oder Muslime.

Warum sprechen Soldaten lieber mit Ihnen und nicht mit dem Arzt?
Wenn ein Soldat psychisch krank ist, dann wird das in der Bundeswehr medizinisch behandelt. Also gibt es Papiere, die das dokumentieren. Starke Depressionen können den Dienst beeinträchtigen, dann steht womöglich die Karriere des Soldaten auf dem Spiel. Also sind die Soldaten vorsichtig damit, schnell zum Arzt zu gehen. In der Militärseelsorge gibt es keine Akten über die Gespräche, wir stehen außerhalb der Befehlskette der Bundeswehr.

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In der Bibel steht, du sollst nicht töten. Wie kann ein gläubiger Mensch Soldat sein?
Bei Soldaten wird der Glaube auf die Realitätsprobe gestellt. Jesus sagt zwar: Wenn einer dich auf die eine Wange schlägt, biete ihm auch die andere dar. Aber in unserer Welt geht es darum: Schaue ich einfach nur zu, wenn Menschen willkürlich umgebracht werden, oder nicht? In dieser grundsätzlichen Frage glaube ich, dass es richtig ist, sich für die Opfer einzusetzen.

Sind Sie dafür kritisiert worden?
Es gibt Menschen, die das ablehnen und sagen: "Das ist alles übel, das geht auch nicht, dass man bei der Bundeswehr Seelsorge macht." Ich vertrete die Auffassung, dass wir eine Verpflichtung zum Schutz anderer haben. Und dazu dient nunmal die Bundeswehr.

Gibt es dann also einen gerechten Krieg?
Nein, Krieg ist fürchterlich. Jeder, der Krieg erlebt hat, der weiß, dass man das nicht erleben möchte. Es gibt Situationen, in denen es notwendig ist, Schwächeren zu helfen. Und das kann auch bedeuten, dass man selbst schuldig wird.

Bei dem Leid, von dem Sie hören, zweifeln Sie da manchmal an Gott?
Ich zweifel immer wieder an Gott. Ich verstehe Gott nicht immer. An einem verschneiten Winterabend saß ich am Wochenende mit meinem Sohn vor dem Fernseher. Aus dieser Ruhe bin ich plötzlich rausgerissen worden, weil ich einer Familie eines Soldaten eine Todesnachricht überbringen musste. Gott mutet auch mir immer wieder Dinge zu, gegen die ich mich wehren möchte.

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"Ich zweifle immer wieder an Gott"

Was macht die Schuld mit den Soldaten?
Unterschiedlich. Manche kapseln sich ab. Auch wenn sie immer noch der Vater von drei Kindern, Ehefrau, Partner, Nachbar und so weiter sind. Sie haben Sachen erlebt, die will niemand erleben müssen. Bei anderen sind es hohe Reizbarkeit oder Missbrauch von Alkohol, kann alles passieren.

Wenn Soldaten Schuld auf sich geladen haben, versuchen Sie, die ihnen zu nehmen?
Es gibt ja faktische Schuld, also wenn Soldaten Menschen in Notwehr töten müssen. Die kann ich gar nicht nehmen. Die Soldaten haben im Nachhinein vielleicht Zweifel, ob sie tatsächlich alles getan haben, um den Tod anderer Menschen und womöglich auch Unschuldiger zu verhindern. Ich versuche, das Gefühl der Schuld mit ihnen zu analysieren, und den Menschen, die Belastendes erlebt haben, einen Weg aufzuzeigen, wie sie trotzdem klarkommen in ihrem Leben.

Hat Ihnen ein Soldat schon mal etwas so Schlimmes erzählt, dass Sie es der Bundeswehr melden mussten?
Nein, es gibt keine Weitergabe von einem Seelsorge-Gespräch an jemand anderen. Es sei denn, der Soldat oder die Soldatin wünscht es, beispielsweise bei Versetzungsfragen, weil die Wege zwischen Wohnort und Kaserne zu weit sind.

Trinken viele Soldaten viel?
Ich habe mitbekommen, dass Soldaten im Einsatz viele Energy-Drinks zu sich nehmen. Wenn Sie wach bleiben und durchhalten wollen. Von Alkohol habe ich nichts mitbekommen, aber mein Mitarbeiter in der Seelsorge ist betrieblicher Suchtkrankenhelfer. Er hat es selbst geschafft, von einer Sucht loszukommen, und ist Ansprechpartner für Soldaten mit solchen Problemen. Das gibt ist bei der Bundeswehr genauso wie in anderen Branchen.

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Wie gehen die Soldaten damit um, dass sie oft monatelang weg sind?
Es ist nicht einfach, die Welt in Deutschland dreht sich ja auch weiter. Ich hatte mal mit einem Soldaten zu tun, der nach drei Monaten im Einsatz die Nachricht bekam, dass sein drittes Kind im Bauch seiner Frau gestorben war. Der Soldat wollte dann über Trauer und Hoffnung sprechen. Aber da er über 5.000 Kilometer von zu Hause entfernt war, konnte er nichts tun, nur seiner Frau zuhören. Sowas muss ausgehalten werden.

Und wenn der Soldat plötzlich zu Hause gebraucht wird?
Wenn es eine schlimme Notlage gibt, sitzt der Soldat am nächsten Tag im Flieger. Die militärische Führung weiß ja auch, dass ein geistig abgelenkter Soldat nichts nützt. Muss zum Beispiel der Partner plötzlich dringend operiert werden und niemand sonst kann sich um die Kinder kümmern, darf der Soldat die Notlage regeln und kommt dann nach zwei Wochen in den Einsatz zurück, ohne dass er als Drückeberger oder Weichei gilt. Früher ging das für die Soldaten nicht so einfach.

Peter Schmidt in Afghanistan beim Unterricht mit mongolischen Soldaten | Foto mit freundlicher Genehmigung von Peter Schmidt

Wann waren sie zuletzt in Afghanistan?
Im April, Mai war ich da. Kurz davor sind die Taliban in einen Armeestützpunkt nahe der Provinzhauptstadt Masar-i-Scharif eingedrungen. Die Taliban haben 140 afghanische Soldaten im Camp "Shaheen" ermordet. Nicht weit davon entfernt ist das Bundeswehr-Camp "Marmal". In "Marmal" war eine Woche lang Trauer geflaggt, weil man geschockt war, was da für eine brutale Gewalt abgegangen ist. Da habe ich mich wirklich gefragt: Was ist das hier für ein verrückter Laden, diese Welt?

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Als Sie in Afghanistan waren, sind da auch Soldaten getötet worden?
Ja, durch Angriffe der Taliban. Die afghanischen Soldaten habe ich dann verabschieden müssen. Ich habe der Gefallenen mit den Soldaten an einem Gedenkstein in Afghanistan gedacht. Als ich in Deutschland war, musste ich gefallene Soldaten am Kölner Flughafen in Empfang nehmen. Das waren Deutsche. Insgesamt sind 56 deutsche Soldaten in Afghanistan gestorben.

Können Sie schießen und sich selbst verteidigen?
Nein. Ich bin Zivilist. Wenn ich im Einsatz bin, bekomme ich einen Mitarbeiter an die Seite. Der ist Soldat, begleitet mich überallhin und ist im Notfall auch für meine Verteidigung da.

Welche Soldaten haben Sie beeindruckt?
Es gibt Soldaten, die sind dafür ausgebildet, dass sie die Körperteile eines Gefallenen, der zum Beispiel von einer Bombe zerfetzt wurde, in Würde in den Sarg kriegen. Falls kein Bestatter da ist, müssen das die Kameraden übernehmen. Was die da mit sich herumtragen an Bildern und Belastung, das ist schon heftig. Die sind für mich schon wahre Helden.

Die Startbahn des Flughafens Tegel grenzt an die Julius-Leber-Kaserne

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