Stanic – Die Kolumne

Pamela Rendi-Wagner: Diese Frau könnte Österreich retten

Bodyshaming im Wahlkampf? Nehmt die SPÖ-Kanzlerkandidatin endlich ernst.
Pamela Rendi-Wagner
Fotos: Imago Images | Eibner Europa (rechts) || Imago Images | CHROMORANGE (links) || Collage: VICE 

Feministin, Gastarbeitertochter und VICE-Kolumnistin: Alexandra Stanić schreibt wöchentlich darüber, wie sie Politik, Rassismus und Sexismus erlebt.

Pamela Rendi-Wagner ist Arbeiterinnenkind, ihre Mutter bekam sie mit 19. Die ersten Jahre ihrer Kindheit verbrachte sie in einem Gemeindebau im zehnten Bezirk Wiens. An Ski-Kursen konnte sich nicht teilnehmen – kein Geld. Jetzt könnte sie Österreichs erste gewählte Bundeskanzlerin werden. Nur sehen die Prognosen nicht rosig aus, laut Umfragen liegt die SPÖ bei rund 21 Prozent, die ÖVP bei 35.

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Heute führt Rendi-Wagner, kurz PRW, ein bürgerliches Leben, auch wenn sie auf Instagram Kinderfotos aus dem Arbeiterbezirk postet. So schickt sie ihre zwei Kinder etwa an eine Privatschule und das, obwohl es in Österreich sehr gute, öffentliche Schulen gibt. Das irritiert Menschen zu Recht, ändert aber nichts an der Tatsache, aus welchen Verhältnissen sie kommt. Deswegen glaubt man ihr, wenn sie sagt, dass sie für die über 300.000 armutsgefährdeten Kinder in Österreich etwas verändern will. Jede und jeder soll unter Rendi-Wagner die gleichen Chancen erhalten wie sie: von der Tochter einer Alleinerziehenden zur Ärztin, weiter zur potentiellen Kanzlerin Österreichs. Ihre Geschichte macht Mut.

Nicht alles, was Rendi-Wagner sagt, halte ich für richtig. Ich kann zum Beispiel nicht nachvollziehen, warum sie findet, ausländische Ehepartner von Österreichern sollten nicht automatisch ein Bleiberecht erhalten, oder wieso sie der Meinung ist, Österreich könne nicht mehr Geflüchtete aufnehmen.

Aber sie ist eine, die mit ihrer Politik nicht nach unten tritt, so wie es ÖVP und FPÖ tun. Sie hetzt nicht gegen marginalisierte Gruppen wie Migrantinnen oder Geflüchtete. Sie spricht sich gegen die C02-Steuer aus, die in erster Linie Pendlerinnen treffen würde. Und sie war es, die einen Misstrauensantrag gegen die Regierung unter Sebastian Kurz gestellt hat – ein wichtiger Schritt. In den letzten Wochen des Wahlkampfs ist Rendi-Wagner kämpferischer geworden. Ihr dabei zuzusehen, wie sie ihre Wut richtig kanalisiert – etwa gegen Kurz – tut gut. Österreich braucht jemanden, der bei Missständen die richtigen Worte findet. Und PRW spricht sie aus.

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Auf die Frage, ob sie eine Feministin ist, antwortet sie: "Selbstverständlich, was sonst?!"

Aber macht sie das allein schon zu etwas Besonderem? Braucht Österreich sie, weil sie eine Frau ist? Pamela Rendi-Wagner weiß, dass Frauen anders bewertet und behandelt werden – weil es ihr selbst so geht. Kurier-Chefredakteurin Martina Salomon unterstellt ihr, sie sei nicht im Politikbusiness angekommen, "obwohl sie gebügelt hat, Fußball gespielt hat, sich ins Dirndl geschmissen hat" und sagt noch dazu "so wie sie ausschaut, wird sie sich nur von ein paar Salatblättchen ernähren". Bodyshaming at it’s best.

Das macht auch Salomons Einstieg, Rendi-Wagner sei "eine Topfrau, sehr sympathisch, vereint Karriere und Kinder" nicht besser, denn auch der ist nichts weiter als eine in nette Worte gepackte, vor sexistischen Stereotypen triefende Aussage. Und nicht umsonst hält Rendi-Wagner in diesem Interview fest, dass Männer einem ständig die Welt erklären wollen – innerhalb wie außerhalb der SPÖ. Das scheint ehrlich und zeigt: Diese Politikerin kämpft nicht nur gegen die "alte" SPÖ, sondern auch gegen Männer in Machtpositionen.

"Wie stehst du eigentlich zu Pamela Rendi-Wagner?", frage ich meinen Vater, durch und durch roter Gastarbeiter, aber eben auch: ein Mann. Mein Vater war über viele Jahre SPÖ-Mitglied und engagierte sich politisch, etwa als Gewerkschafter. Kurz: Er gehört zur alten SPÖ-Schmiede und die musste die derzeitigen Spitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner erstmal von sich überzeugen. Mein Vater und ich videotelefonieren: Er runzelt die Stirn, guckt nachdenklich in die Handykamera. "Ich traue ihr zu, Österreichs erste Bundeskanzlerin zu werden", antwortet er bestimmt.

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Frage ich meine Freundinnen (generisches Femininum, Männer mitgemeint) und Bekannten, was sie von der politischen Quereinsteigerin halten, sagen sie: "Sie ist ein kluger, guter Mensch." Oder: "Sie ist nur leider in einer Partei, die ihre Seele frisst." Eine türkische Freundin sagt, sie möge sie, weil sie eine Frau ist, die sich für feministische Werte einsetzt. "Ich halte nicht viel von der SPÖ, aber sie scheint kompetent zu sein."

Mein soziales, migrantisches Umfeld ist kein repräsentativer Maßstab für Österreich, aber es ist zumindest interessant, weil es ein reales Problem thematisiert: "SPÖ alt und SPÖ neu fremdeln" stellt auch die Journalistin Christa Zöchling im August fest. Nina Horaczek und Eva Konzett schreiben im Falter, die SPÖ würde nicht mehr an der Obfrau zweifeln, an den Inhalten würde es jedoch fehlen. Ich denke: Die eingerostete SPÖ braucht Pamela Rendi-Wagner. Schafft es die Ex-Gesundheitsministerin, auch jene abzuholen, die der SPÖ den Rücken zugekehrt haben?

Natürlich unterlaufen auch Rendi-Wagner Fehler. Im August twittert sie, das Schnitzel dürfe nicht zum Luxusgut werden und mir bleibt nichts Anderes übrig, als den Kopf zu schütteln. Warum setzt sie sich denn freiwillig in dieses Wespennest? Nicht nur klingt der Schnitzel-Tweet nach klassischem FPÖ-Sprech (Unser Schnitzel!11! Unsere Kultur!11!!! Unsere Dirndl!11!!), sie macht sich damit unnötig angreifbar.

Pamela Rendi-Wagner lacht in unpassenden Momenten, verhaspelt sich bei Reden. Sie wirke unsicher und unvorbereitet, schreiben Medien. Aber um ehrlich zu sein: Gerade das macht sie sympathisch. Anders als bei anderen Politikern und Politikerinnen glaubt man ihr, dass ihr Menschlichkeit wichtig ist, weil dazu eben auch gehört, Fehler zu machen. Damit meine ich im Übrigen die lange Liste an "Einzelfällen", die sich die FPÖ seit Jahren erlaubt.

Etwas mehr Lockerheit on the record, das wünsche ich mir. Als das Wiener Stadtmagazin BIBER nachfragt, wie viel ein Döner maximal kosten darf, weicht sie der Frage aus und verspielt damit eine gute Chance, Punkte zu sammeln. In erster Linie solle er gut schmecken und dafür brauche es biologische und regionale Lebensmittel. Ja, eh. Aber nenn doch einen Preis und oute dich als Döner-Kennerin. Wobei: Vorsicht kann auch gut sein. Nach all den politischen Skandalen wünsche ich mir eine unaufgeregte Regierung für Österreich.

Geht man nach den Prognosen, hat Rendi-Wagner keine Chance gegen Altkanzler Kurz. Aber lassen wir uns für einen Moment auf die Vorstellung ein: Ende September könnte Österreich nicht nur eine Regierung haben, die links von der Mitte steht. Wir hätten auch zum ersten Mal in der Geschichte des Punschkrapfen-Landes auch eine vom Volk gewählte BundeskanzlerIN. Klingt nach Utopie? Ist aber möglich.

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