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Russland nationalisiert sein Internet – und das ist gefährlich

Ein neues Gesetz soll ein "souveränes" russisches Internet bringen. Das ist fatal für die Meinungsfreiheit.
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Bild bestehend aus: Putin: imago images | ITAR-TASS || Hintergrund: Pexels | Computer: Maxpixel | Sticker: publicdomainvectors.org || Collage: Sasa Schrödl

Einer der liebsten Kniffe der russischen Staatsführung ist, ihre Moves so schwammig zu beschreiben, dass niemand genau weiß, was los ist. So ist es auch dieses Mal, bei dem zum 1. November in Kraft getretenen Internetgesetz. Nicht einmal dessen Name scheint gesetzt, sogar Experten schreiben mal vom "Gesetz zum souveränen Internet" und mal vom "Gesetz zum sicheren Internet", viele lassen den Namen einfach weg oder umschreiben ihn, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass die richtige Bezeichnung – "Gesetz 90-F3", sich nach einer neuen Interkontinentalrakete anhört.

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So nebulös wie der Name ist auch die Bedeutung der neuen Regeln. Glaubt man etwa den Ausführungen auf der Website des russischen Parlaments, der Duma, oder Putins Regierungssprecher Peskow, geht es vor allem darum, eine nationale Ersatz-Infrastruktur zu schaffen. Dieses "Runet", welches nur wirklich relevant wird, wenn Russland etwa wegen seines Dauerkonflikts mit dem Westen von eben diesem Westen und somit vom weltweiten Netz abgeschnitten werden sollte. Oder wenn im Fall einer Störung, eines koordinierten Hackerangriffs beispielsweise, das weltweite Internet kollabieren würde. Das Runet wäre demnach nur so eine Art doppelter Boden.

Ja, es sind Zweifel an dieser Darstellung erlaubt.

Zahlreiche russische und internationale Fachseiten beschreiben, was dieses Gesetz noch bedeutet: Es bietet dem Kreml die vollständige technische Kontrolle über jeglichen russischen Netz-Traffic. An dieser Stelle kommt dann wieder der Lieblingskniff der russischen Staatsführung ins Spiel, denn niemand weiß bislang genau, wie das in der Praxis aussehen wird. Nach allem, was der russische Staat aber – vor allem seit dem erneuten Wechsel von Wladimir Putin ins Präsidentenamt im Jahr 2012 – gegen die Meinungsfreiheit unternommen hat, sind die Aussichten düster.

Reporter ohne Grenzen schreibt dazu: "Dieses Gesetz ist der Versuch, die Internetzensur in Russland auf eine neue Stufe zu heben: Es belegt, dass die russische Führung bereit ist, die gesamte Infrastruktur des Netzes unter politische Kontrolle zu bringen, um bei Bedarf den digitalen Informationsfluss abzuschneiden."

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Und noch etwas ist verunsichernd: Das neue Regelwerk setzt nur einen Rahmen, der erst noch in Gesetze gegossen werden muss. Die Anzahl dieser Gesetze ist haarsträubend: 28. Wie etwa das Portal The Bell beschreibt, sind aber bislang nur fünf dieser 28 geplanten konkreten Gesetze überhaupt ausformuliert. Auf den ersten Blick könnte man meinen, das liege an einem lahm vor sich hinwerkelnden Staatsapparat, doch der russischen Opposition ist dieses System seit längerem als zersetzende Maßnahme bekannt. Der Staat schafft gezielt Unsicherheit. Keiner weiß, wo er hintreten darf: Unter jedem Blatt wartet potentiell eine Mine.

Gibt es bald auch ein DE-net?

Auch in Deutschland und Europa gab es schon Forderungen nach einem eben deutschen oder europäischen Internet. Die Idee dahinter ist natürlich zunächst einmal mehr Autonomie zu schaffen – gegenüber dem großen Bruder USA. Autonomie klingt zunächst nicht übel, aber das gilt auch für "sicher" und für "souverän", wie die Duma ihr Runet nennt. In der internationalen Politik aber ist Unabhängigkeit kein erstrebenswerter Zustand – sondern wechselseitige Abhängigkeit. Nur wenn Staaten miteinander verflochten sind, sind sie gezwungen, friedlich miteinander umzugehen. Man kann also nur hoffen, dass Europa oder einzelne europäische Staaten Russland nicht nachziehen.

In Russland kommt noch eine nationale Besonderheit ins Spiel: Das Internet spielt für die dortige Zivilgesellschaft eine viel größere Rolle als in Deutschland. Da alle großen Fernsehsender unter staatlicher Kontrolle sind und der Printmarkt seit Jahren praktisch kollabiert ist, ist das Internet der letzte große freie Raum, in dem Meinungen und Gedanken ausgetauscht werden. Es gab natürlich schon zahlreiche Versuche, dies einzuschränken, etwa wenn identifizierbare User für Posts in Sozialen Netzwerken eingeknastet werden oder diese Netzwerke während größerer Demonstrationen lahmgelegt werden. Aber im Grunde ist das Netz in Russland frei. Bisher.

Wie das auch heute schon ganz anders funktioniert, zeigt den Russen ein Blick nach Osten. In China unterliegt das Internet schon immer totaler staatlicher Kontrolle. Das Internet von Anfang an nicht ganz reinzulassen, ist aber leichter, als es im Nachhinein wieder rauszuschmeißen und Türen zu verschließen, die sonst immer offen standen.

Am Ende bleibt zu hoffen, dass das Gesetz 90-F3 an der harten Realität zerschellt. Zahlreiche Experten äußern nämlich Zweifel, ob die technische Abtrennung eines "Runets" vom weltweiten Internet so möglich ist wie angedacht. Immerhin sehen wir alle doch beim Brexit gerade, wie schwer sich eine einmal eingegangene Beziehung wieder auflösen lässt.

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