Zu Besuch im Hanfladen, der auch nach der dritten Razzia weiterverkauft
Äußerlich ist der Tee, den Marcel Kaine (l.) und sein Geschäftspartner Bardia Hatefi verkaufen, kaum von THC-haltigem Cannabis zu unterscheiden || Alle Fotos: Flora Rüegg

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Drogen

Zu Besuch im Hanfladen, der auch nach der dritten Razzia weiterverkauft

Die "Hanfbar" soll mitten in Braunschweig Cannabis verkauft haben – behauptet die Staatsanwaltschaft. Die beiden Besitzer sehen sich im Recht und machen einfach weiter.

Marcel Kaine bereitet einen Smoothie vor. Er wirft Früchte in den Mixer, gibt Wasser dazu und ein paar Hanfsamen. Er steht hinter dem Tresen seines Hanfladens – heute, an einem warmen Julitag, eröffnet er die zweite Filiale. Draußen auf einer Bühne spielen Bands, rund 500 Leute sind in die Braunschweiger Innenstadt gekommen und feiern die Eröffnung. Alles sei gut gelaufen an diesem 16. Juli, wird Marcel später sagen. Bis zu dem Moment, als er aus dem Augenwinkel "einen Haufen Polizisten" sieht. Es ist der Beginn einer großangelegten Razzia – nicht die erste, und nicht die letzte.

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Als er von der Hausdurchsuchung erzählt, sitzt Marcel, 27 Jahre, Hornbrille, Vollbart, an einem regnerischen Septembertag in seinem Laden. Sechs Tage später, am 19. September, wird es eine dritte Razzia geben. Die Polizei wird Hanfblüten, Datenträger, Ordner, Kassenbelege und 28.500 Euro beschlagnahmen. Sie wird laut Staatsanwaltschaft außerdem in Marcels Garage 1,25 Gramm Haschisch und 9,45 Gramm in kleine Tütchen verpacktes Marihuana finden. Ein Video, das VICE vorliegt, zeigt, wie Zivilpolizisten in der oberen Etage des Ladens am Tisch sitzen und die Ware begutachten. Danach verlassen sie das Geschäft mit mehreren Kisten.

Ein ganzes Geschäft voller Hanf

Marcel sieht sich zu unrecht von den Behörden kriminalisiert. Im Frühjahr 2017 eröffnete er seine erste Filiale in Braunschweig und nach eigenen Angaben den ersten Laden dieser Art deutschlandweit. Die "Hanfbar" ist weder ein Headshop, in dem es Bongs gibt, noch ein illegaler Coffeeshop, der Weed verkauft. "Wir sind ein reiner Gesundheitsladen", sagt Marcel.

Hier gibt es Smoothies, Tee, Aufstriche, Schokoriegel – alles auf Hanfbasis. Fast alles in der Hanfbar besteht aus Holz: die Palettenmöbel, die Bar, die Regale mit den Teesorten. In jeder Ecke, an jedem Fenster stehen Pflanzen.

Marcel sagt, dass die THC-Werte seiner Hanfblüten, die er zu Tee verarbeitet und dann verkauft, alle im legalen Bereich liegen. "Jede Charge, die wir bestellen, bringt unser Produzent vorab in ein Labor und lässt die Werte testen. Blüten mit einem Wert nahe der Schmerzgrenze lehne ich ab." Die Schmerzgrenze liege für ihn bei einem THC-Wert von 0,19 Prozent. Viele Blüten würden es nur auf 0,1 Prozent bringen. Erlaubt sind in Deutschland Werte bis 0,2 Prozent. Die Blüten hätten aber lediglich einen hohen Anteil von Cannabidiol (CBD), sagt Marcel. Eine berauschende Wirkung sei deshalb nicht möglich.

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CBD ist der nicht high machende Wirkstoff in Hanf. Er wirkt entkrampfend und schmerzlindernd. Seit Januar letzten Jahres darf Cannabis in Deutschland gesetzlich als Medikament eingesetzt werden. Doch wie Marcels und Bardias unfreiwillige Behördendates zeigen, gilt es für viele noch immer vor allem als Droge.

Zwei junge Männer in legeren Klamotten sitzen auf einem Sofa aus Holzpaletten

Marcel Kaine (links) und Bardia Hatefi in ihrer Braunschweiger "Hanfbar"

Die Polizei konfiszierte drei Kilogramm Hanfblüten

Die erste Razzia in Marcels Läden fand am 6. Juli statt. Die Staatsanwaltschaft habe am 15. Mai einen Tipp erhalten, dass "Marihuana in der Hanfbar verkauft" worden sei, sagt der Braunschweiger Staatsanwalt Christian Wolters gegenüber VICE. Dieser Anfangsverdacht reiche aus, um einen Durchsuchungsbefehl zu genehmigen.

Wie der Tipp im Wortlaut heißt, belegt der Durchsuchungsbescheid, der VICE vorliegt. Darin steht: Ein "Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe teilte fernmündlich mit, dass ein Jugendlicher Hinweise auf eine Hanfbar in Braunschweig gegeben habe, wo man Nutzhanf (THC-Gehalt unter 0,2 %) erwerben könne."

Auf dieser Grundlage konfiszierten Polizisten drei Kilogramm Hanfblütentee. Das klingt nach wenig, aber allein ein 5-Gramm-Glas der Sorte "Picknick im Park" kostet fast 50 Euro. Insgesamt trugen die Polizisten Hanfblüten im Wert von 60.000 Euro aus dem Geschäft. Sie unterscheiden sich äußerlich kaum von Hanfblüten, die eine berauschende Wirkung haben.


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"Wir gaben den Polizisten im Juli unsere Forschungsanalysen mit", sagt Marcel. Vier bis sechs Wochen später wird sich herausstellen, dass die Hälfte der beschlagnahmten Waren einen THC-Wert von über 0,2 Prozent haben und somit illegal sind. Wie aus den Unterlagen hervorgeht, wurden teilweise nur die Blüten kontrolliert, nicht die gesamte Pflanze. Marcel behauptet, dass dadurch das Gesamtergebnis der THC-Messung verfälscht werden könnte, da die THC-Konzentration in den Blüten höher sei. Auch dürften die Blüten nicht zu lange unverpackt sein und es gebe nur wenige Labore, die die richtigen Methoden anwenden würden.

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"Es hängt davon ab mit welcher Methode gemessen wird und welche Sorten", sagt Georg Wurth, Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbandes. Es gebe verschiedene Unterarten von THC. "Werte könne steigen, wenn sie erhitzt werden, aber es gibt auch Sorten, die beim Erhitzen inaktiv bleiben."

Seitdem die Berliner Polizei sehr hohe Werte bei beschlagnahmten Hanfblüten gemessen hatte, sie lagen teilweise bei 44 Prozent THC, zweifele Wurth an den richtigen Messmethoden der Behörden. Manchmal "pennen auch die Lieferanten" und würden Nutzhanf mit zu hohen THC-Werten verkaufen, sagt Wurth. Ob die Messergebnisse im Falle der Hanfbar-Razzia tatsächlich ungenau waren, bleibt allerdings eine Vermutung.

Überrascht habe ihn die Razzia nicht, sagt Marcel: "Ich habe damit gerechnet, dass die Polizei irgendwann hier auftauchen wird. Denn je mehr Blüten in den Umlauf gebracht werden, desto höher ist eben die Wahrscheinlichkeit, dass sie davon Wind bekommen."

Neben Marcel sitzt sein Geschäftspartner und Mitinhaber Bardia Hatefi. Er trägt einen gepflegten Vollbart, seine kurzen blau-grünen Dreadlocks hat er wie einen Dutt zusammengebunden. Seine Arme sind mit Dragon Ball-Charakteren tätowiert, auf seine Finger hat er die Worte "Nutz" und "Hanf" stechen lassen.

Die beiden lernten sich im Sommer 2015 auf einem Musik-Event in Braunschweig kennen. Die Idee für einen Hanfladen war zu dem Zeitpunkt bereits geboren. "Wir befassten uns mit der Pflanze und uns wurde klar, wie vielseitig sie ist. Nicht nur wegen der Ernährung, sondern auch als Heilmittel", sagt Bardia. Jeder Landwirt könne Hanf anbauen, aber es habe keine Gastronomie gegeben, die sich auf die Pflanze spezialisierte.

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Knapp zwei Jahre vergingen und Marcel eröffnete den Laden. Bardia stieß etwas später hinzu. "Wir leben das, was wir tun", sagt Bardia. Die beiden sind Veganer und leben Straight Edge. Das heißt, sie lehnen jede Form von Suchtmitteln ab.

Eine offene Glasdose liegt auf einem Tisch, Hanfblüten kullern heraus

Der umstrittene Hanfblütentee, Sorte: Dampfbad

"Ey Leute, wir werden hier gerade hochgenommen"

Mittwoch, 16. Juli, Eröffnungsfeier der zweiten Hanfbar. Es ist circa 18:30 Uhr. Bardia steht auf einer Bühne am Friedrich-Wilhelm-Platz, einige Meter vom Laden entfernt. Und nur ein paar Schritte vom Rotlichtviertel, dort, wo auf der Straße täglich mit Drogen gedealt wird. Vor dem Auftritt des Rappers Marvin Game, dem Hauptact des Abends, nutzt Bardia die Zeit für eine kurze Rede. Er erzählt den Besuchern von der ersten Razzia und was ihm und Marcel von Staatsanwaltschaft und Polizei vorgeworfen wird.

Dann betritt Marvin Game die Bühne. Nach 15 Minuten bemerkt Bardia, wie er später erzählt, dass die Leute unruhig werden. Er hört, wie jemand "irgendwas von Polizei" sagt.

Marvin Game unterbricht seine Show, Polizeiautos mit Blaulicht fahren am Platz vorbei und halten vor der Hanfbar, Polizisten stürmen aus den Fahrzeugen. "Ey Leute, wir werden hier gerade hochgenommen", sagt Marvin Game in sein Mikro. Hunderte Menschen laufen zur Hanfbar, sie bilden eine spontane Demo, rufen "CBD, CBD" und "Hanfbar, Hanfbar". Bardia ruft in die Menge, seinen linken Arm in Richtung der Polizisten gerichtet: "Das ist eine Kampfansage gegen alle möglichen Leute, die Schmerzen haben, die Schlafstörungen haben, die das Zeug brauchen, und das hat nichts mit Berauschen zu tun und es nichts Falsches, was wir machen, Leute."

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Marcel steht währenddessen noch immer hinter dem Tresen und bereitet Smoothies vor. Dann stürmen fünf bis zehn Polizisten den Laden, ausgerüstet mit Helmen, Schlagstöcken und Pfefferspray.

"Sind sie der Besitzer?", brüllt der Einsatzleiter Marcel an. Er packt den 25-Jährigen am Arm, zieht ihn aus dem Laden. Auch zwei Freunde, die ihm an diesem Tag hinter der Bar geholfen haben, werden abgeführt. "Das war ein aggressives und völlig überzogenes Auftreten der Polizei", sagt Marcel Mitte September als er die Ereignisse dieses Tages schildert. Einiges davon haben Besucherinnen und Mitarbeiter auf Video dokumentiert.

Bardia erzählt weiter, wie er an diesem Tag draußen bei der Menge steht, während sein Freund und Geschäftspartner bereits in einem der Polizeiwagen sitzt. Wegen der spontanen Demo hat die Polizei Verstärkung geholt. Anwohner zählen 40 Polizisten mit 22 Polizeiautos, samt Blaulicht. Zu dem Zeitpunkt wissen Bardia und Marcel nicht, welche Szenen sich in der Hanfbar abspielen.

Jane, die mit ihrem Tattoo-Studio im oberen Bereich des Ladens einen Kunden tätowiert, erzählt später gegenüber VICE, wie fünf Polizisten die Treppen hoch gestürmt seien. "Sie haben gerufen, dass alle ihre Hände hochhalten sollen."

Die Polizisten kontrollieren demnach kurz darauf die Ausweise, doch eine junge Frau kann eine Polizistin, die vor ihr steht und sie anbrüllt, nicht verstehen. Sie trägt ein Hörgerät. "Ich habe ihr Handzeichen gegeben, dass sie ihren Ausweis rausholen soll. Sie war völlig irritiert", schildert Jane die Szene.

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Ihre Freundin habe Anfang des Jahres einen so schweren Hörsturz erlitten, dass sie taub geworden sei. Nach mehreren Wochen und dank des Hörgerätes habe sie wieder ein wenig hören können und Fortschritte gemacht. "Als nach 30 Minuten der Einsatz vorbei war, sagte sie zu mir, dass sie nach Hause muss", erzählt Jane. Durch den Stress habe die Frau wieder einen Hörsturz erlitten. Seitdem sei sie in der Reha und müsse wieder von vorne anfangen. Auch ältere Menschen seien zu dem Zeitpunkt in der Hanfbar gewesen, sagt Bardia. Er habe ein paar Tage später im Laden mit ihnen gesprochen. "Sie waren noch immer völlig aufgelöst."

Bardias Fäuste: "Wir leben das was wir tun"

Die Polizisten konfiszieren laut Marcel die Ware und nehmen die Tageseinnahmen mit. "Dealergeld", sagt Marcel. "Die haben ständig von Dealergeld und Dealerequipment gesprochen." Er schmunzelt und schüttelt ungläubig mit dem Kopf. "Zum Glück haben sie nicht alles mitgenommen, sonst wären wir jetzt wahrscheinlich pleite."

Gegen 20 Uhr ist der Einsatz wie ihn Marcel, Bardia und Jane schildern vorbei.

Auf Anfrage von VICE will sich die Polizei zu den Razzien und den Vorfällen nicht äußern. "Zu laufenden Ermittlungen geben wir keine Stellungnahme", sagt ein Polizeisprecher.

Die Ergebnisse der zweiten Razzia unterscheiden sich sehr zu denen der ersten

Es dauert fast einen Monat bis die Polizei wieder bei Marcel auftaucht. Am 14. August steht sie vor seinem Laden. Zwei Tage vor Beginn eines Straßenfests, an dem auch die Hanfbar einen Verkaufsstand haben wird. Es sind 21 Grad, die große Hitzewelle, die Deutschland über Monate in ein Solarium verwandelte, ist vorbei und ein Polizeioberkommissar hat einen Rat für Marcel, wie der sich erinnern will: "Hört auf damit. Wir wollen nicht, dass ihr die Hanfblüten auf dem Fest und im Internet weiterverkauft."

Außerdem habe er laut Marcel mitgeteilt, dass bei der Untersuchung der zweiten konfiszierten Ware wieder überhöhte Werte dabei gewesen seien: "Allerdings sagte er mir auch, dass die Ergebnisse sich sehr zu den ersten unterscheiden und er wisse auch nicht, warum das so ist."

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Bardia hält sich zwei Hanfblüten vor seine Augen

Bardia sagt, er verstehe nicht, warum ein schmerzlindernder Tee kriminalisiert werde

Marcel und Bardia verkaufen ihren Tee weiter, sie lassen sich nicht einschüchtern

Dass die Hanfbar-Betreiber keine berauschenden Hanfblüten verkaufen, ist auch den Behörden klar. Doch darum gehe es nicht, sondern um die unterschiedliche Auffassung der rechtlichen Grundlage, sagt Staatsanwalt Wolters. "Das Betäubungsmittelgesetz sieht ganz klar vor, dass Nutzhanf gewerblich nur verarbeitet verkauft werden darf." Das heißt als Brotaufstrich, Schokoriegel oder Hanftropfen, nicht aber als Tee, der nur aus Hanf besteht.

Da der Grenzwert der beschlagnahmten, drei Kilogramm schweren Ware, von der ersten Razzia 7,5 Gramm THC erreicht habe und somit den Tatbestand des Besitzes illegaler Betäubungsmittel erfülle, so Wolters, können Marcel – als Inhaber – eine Geldstrafe oder bis hin zu ein Jahr Gefängnis drohen. Allerdings sagt Wolters auch, dass das Betäubungsmittelgesetz recht kompliziert sei – selbst für Kollegen und Kolleginnen.

Ob Marcel und Bardia tatsächlich illegal gehandelt haben, müssen Gerichte entscheiden. Aber der ganze Fall zeigt auch, wie komplex das Thema Nutzhanf für Behörden und Gewerbetreibende ist. Bis heute haben die beiden Hanfbar-Besitzer noch keine Anzeige erhalten.

Marcel sagt, er habe vor einer Haftstrafe keine Angst: "Wenn sie mich einsperren, wird der Effekt noch viel größer sein." Und die beiden machen einfach weiter. Sie wollen weiter ihren Tee verkaufen. In Berlin gibt es bereits Hanfbar-Produkte in einem Partnergeschäft, auch in Köln kann man sie kaufen. Neue Filialen sind in Bremen und Essen geplant. Auch Frankfurt und Nürnberg stehen auf ihrer Liste: Mit jeder weiteren Razzia wollen die beiden einen neuen Laden eröffnen. "Irgendwann", sagt Marcel, "kommt die Politik nicht drumherum, sich mit dem Thema zu beschäftigen."

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