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"Die Vorstellung, dass der Sack grinst, wenn ich mir in den Intimbereich fasse …"

Wir haben Leute gefragt, die auf der Arbeit videoüberwacht werden, was sie sich deshalb alles verkneifen müssen.
Symbolfoto: pxhere | CC0

Stell dir vor, du arbeitest und jemand schaut dir zu. Die ganze Zeit, ununterbrochen. Stehst du grade etwa faul in der Gegend rum? Übersiehst eine Kundin? Tippst auf deinem Handy herum?

Für verdammt viele Menschen in Deutschland ist genau das Realität: Sie werden auf der Arbeit videoüberwacht. Für wie viele Leute genau, weiß man aber nicht. Niemand erhebt die Zahl der privaten Kameras in Deutschland. Wahrscheinlich sind es dieses Jahr mehr als im vergangenen. Im Mai 2017 hat die Bundesregierung die private Videoüberwachung nämlich gesetzlich noch einmal erleichtert. Und wahrscheinlich hängen viele dieser Kameras an Stellen, an denen sie eigentlich nicht hängen dürften.

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Videoüberwachung am Arbeitsplatz ist weder komplett verboten, noch pauschal erlaubt – und die Freude vieler Vorgesetzter bei der Interpretation von Gesetzen ist bekanntermaßen groß, wenn es um ihre Interessen geht. Theoretisch dürfen Kameras nicht aufgehängt werden, um allgemein das Arbeitsverhalten der Mitarbeitenden zu kontrollieren, sondern nur, um beispielsweise Einbrüche oder Diebstähle zu verhindern. Die Leute, die ihre Arbeit vor einem Kameraauge verrichten müssen, beruhigt das aber oft wenig.

Wir haben drei von ihnen gefragt, was sie sich während der Arbeit schon alles verkneifen mussten, weil über ihrem Kopf eine Kamera hing.

Liliana*, 25, arbeitet bei einer Franchise-Imbisskette

Ich habe meinen Chef mal gefragt, warum bei uns im Restaurant überall Kameras hängen. "Damit die Kunden nichts klauen können", meinte er. Warum vier von den fünf Kameras dann in unserem Arbeitsbereich hängen, den Kunden und Kundinnen gar nicht betreten dürfen, hat er nicht gesagt.

Wenn Leute neu bei uns anfangen, dann sind sie immer entsetzt. Aber in dem Franchise-Imbiss, in dem ich arbeite, sind fast alle Angestellten Jugendliche, die sind 16, 17 Jahre alt – die würden sich nie beschweren.

Unser Chef hat die Kameras mit seinem iPad gekoppelt. Das heißt, er kann sich jederzeit in all unsere Arbeitsräume reinklicken. "Hoffentlich schaut der gerade nicht zu", der Satz fällt bei uns total häufig.

Man gewöhnt sich aber wahnsinnig schnell daran. Ich denke jetzt nicht den ganzen Tag, ohhh, ich werde überwacht, das funktioniert eher so über das Unterbewusstsein. Wenn man grade mal schnell 'nen Keks essen will, fällt es einem plötzlich wieder ein: Hoffentlich schaut der gerade nicht zu. Oder wenn es an der Nase juckt und man hinfassen will und plötzlich ploppt der Gedanke auf: Das lasse ich besser.

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"Die Kameras zeichnen auch Ton auf, da ist über den Vorgesetzten lästern eher nicht drin."

Manchmal hatte ich es auch schon, dass ich es eilig hatte und keine Zeit mehr, in die Umkleide zu gehen, um mich umzuziehen. Da drücke ich mich dann immer in so eine Ecke am Rand der Küche rum – das ist der einzige Ort, von dem ich glaube, dass die Kameras ihn nicht erfassen.

Einmal standen wir nach der Arbeit noch alle zusammen in der Küche und haben uns unterhalten – und plötzlich krieg ich eine SMS von meinem Chef: "Warum hat die Kathrin keine Schürze an?"

Am stärksten muss ich mich bei den Gesprächen einschränken. Die Kameras zeichnen auch Ton auf, da ist über den Vorgesetzten lästern eher nicht drin. Wobei – manchmal reden wir trotzdem recht offen. Eigentlich kann er uns ja auch nicht feuern deswegen, das ist ja nicht legal, was er macht. Wobei – angeblich hat ihn auch schonmal wer angezeigt, ein Ex-Mitarbeiter, und das hat auf jeden Fall keine Konsequenzen gegeben. Die Kameras hängen immer noch.

Manchmal spiele ich auch damit. Kürzlich, als mich alles richtig angekotzt hat, bin ich auf die Anrichte gestiegen, hab mich direkt vor der Kamera aufgebaut und ihr beide Mittelfinger gezeigt. Und da habe ich nicht gedacht: Hoffentlich schaut der gerade nicht zu.


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Jens*, 29, über seine Zeit als Barkeeper in einer Bar in Berlin

Als ich angefangen habe, in dem Laden zu arbeiten, hatte der gerade neu aufgemacht: So eine richtige Hipster-Bar mit ultrapeinlichem Namen mitten in Berlin. Kameras gab es da noch nicht. Die kamen erst, nachdem bei uns eingebrochen worden war. Wegen Diebstahlschutz, hat unser Chef gesagt.

Unser Chef war ein junger Typ, ein paar Jahre jünger als ich und eigentlich haben wir uns auch ganz gut verstanden. Aber dann war ich mal an einem Abend mit ihm auf einer WG-Party, zu der er mich eingeladen hatte. Und da hat er angefangen, Scherze darüber zu reißen, dass er seine Angestellten beobachten könne.

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Die Bilder aus der Überwachungskamera werden nämlich direkt auf sein Handy gesendet. Zwei Klicks und er schaut den Angestellten beim Arbeiten zu. Ich habe selber gesehen, wie er das auf der Party gemacht hat. Was genau er dazu gesagt hat, weiß ich nicht mehr, aber es ging so in die Richtung, dass er es einfach geil fand, die Kontrolle über uns zu haben.

Ich habe ihn natürlich gleich darauf angesprochen, da kam dann irgendein ausweichendes Gelaber. Die Bilder würden ja nach 24 Stunden gelöscht und er würde sowieso nur ganz selten draufschauen und so Zeug. Nicht sehr überzeugend.

"Gerade die Neuen, die noch nicht viel Erfahrung hatten in dem Job, die haben sich total verunsichern lassen von dem Gedanken, dass ihnen permanent jemand über die Schulter schaut."

Das macht schon was mit einem, wenn man permanent unter Überwachung steht. Mich hat das noch am wenigsten betroffen, weil ich schon sehr lange als Barkeeper arbeite und weiß, was ich kann. Aber gerade die Neuen, die noch nicht viel Erfahrung hatten in dem Job, die haben sich total verunsichern lassen von dem Gedanken, dass ihnen permanent jemand über die Schulter schaut. Die Menge der Gläser, die zu Bruch gegangen sind, ist dadurch eher gestiegen.

Für die Raucher war es auch schwierig: Mal eben eine rauchen gehen und dann noch ein bisschen quatschen vor der Tür, das ist schon schwierig, wenn direkt über dem Eingang eine Kamera hängt.

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Ich selber fand das Gefühl am unangenehmsten, dass mir misstraut wird. Wenn ich zu lange neben der Kasse stand und mir das aufgefallen ist, dann habe ich mich schnell weggestellt. Nicht, dass noch wer denkt, ich wolle Geld da rausnehmen. Oder wenn Freunde mich in der Bar besucht haben und wir mal kurz in Ruhe quatschen wollten: Zum Reden schnell in den Lagerraum gehen, das war mit den Kameras einfach nicht mehr drin. Als ob meine Freunde etwas aus unserem Lager klauen würden!

Und dann war da noch die Sache mit dem Putzen. Eigentlich ist Putzen nicht die Aufgabe von Barkeepern. Wir wischen mal über die Anrichte und über die Tische und schauen, dass unser Arbeitsbereich sauber ist. Mehr nicht. Aber unser Chef wollte, dass wir auch wischen und sogar die Klos putzen.

"Plötzlich kriege ich eine WhatsApp von meinem Chef: 'Wo bist du?'"

Bevor die Kameras kamen habe ich das, naja, man könnte sagen: nachlässig behandelt. Aus Protest. Weil ich nicht eingesehen habe, dass ich nach meiner 16-Stunden-Schicht auch noch den Boden putzen soll – und obendrein finde ich es in einer Bar auch gar nicht nötig, jeden Tag den Boden zu wischen. Aber als die Kameras dann da waren, musste ich doch jeden Tag nach der Arbeit noch wischen gehen. Oder zumindest den Wischmob oft genug auf und ab bewegen, dass es in den Kameras nach überzeugendem Bodenputzen ausgesehen hat.

Irgendwann kam dann der Hammer: Ich war gerade auf dem Weg zur Arbeit, als ein Anruf von meinem Kollegen kam, wir bräuchten noch Tabasco. Statt direkt in die Bar zu fahren, bin ich also erst nochmal in den Supermarkt – und plötzlich kriege ich eine WhatsApp von meinem Chef: "Wo bist du?" Der hatte ganz offensichtlich über die Kameras gesehen, dass ich zum Schichtbeginn noch nicht in der Bar war und mir gleich unterstellt, zu spät zu sein. Boah, war ich da sauer.

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Nur ein paar Tage später war ich dann in einer anderen Bar, die dem gleichen Besitzer gehört. Und da hingen auch Kameras! Ich hab, ganz unverfänglich, den Barkeeper angequatscht und gefragt, ob bei ihnen etwa auch eingebrochen worden sei. Nein, sagte der, davon wisse er nichts. Da hat es mir dann gelangt und ich habe gekündigt.

Irgendwie bereue ich, dass ich nicht vors Arbeitsgericht gegangen bin. Aber das ist halt teuer und dauert ewig und bedeutet Berge an Papierkram. Trotzdem: Eigentlich sollte man in solchen Fällen klagen. Sonst leiden die eigenen Nachfolger am gleichen Scheiß.

Anna*, 21, über ihre Zeit bei einer Burgerkette in München

Im Umkleideraum gab es ein paar sichere Stellen. Sonst war alles kameraüberwacht. Der Gastraum, das Hinterzimmer, das Büro, der Gang: einfach alles.

Unser Chef hatte auf seinem Handy den Live-Screen und immer, wenn ihm etwas nicht gepasst hat, hat er angerufen und alle sind gesprungen. Einmal stand ich mit einer Kollegin im Gang und sie hat kurz auf ihr Handy geschaut. Da kam sofort ein Anruf: "Leg dein Handy weg, oder du bist gefeuert!" Dabei hatte sie nur auf die Uhr geschaut!

Das war schon krass, dieses Gefühl: Egal, was du tust, du wirst dabei beobachtet.

Die oberste Regel in dem Laden war: Du darfst niemals einfach rumstehen. Da kam immer sofort ein Anruf: "Putz halt mal die Tische!" oder "Warum stehst du denn in der Gegend rum?" Selbst, wenn der Laden komplett leer war. Wir mussten immer in Bewegung bleiben.

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Unangenehm war es, wenn zum Beispiel mein T-Shirt schief saß und ich meinen BH richten wollte. Vor den Kameras wollte ich das eigentlich nicht machen, also bin ich dafür immer aufs Klo gegangen. Oder wenn ich Schnupfen hatte: Meine Nase habe ich auch fast nur auf der Toilette geputzt.

"Wenn man permanent unter solchem Stress steht, den ganzen Tag rumrennt, ohne Pause, ohne Entspannung, dann macht das schon was mit einem."

Einmal war es richtig schlimm. Da war ich vor Kurzem beim Wachsen gewesen und die Haare im Intimbereich sind langsam nachgewachsen. Das hat gejuckt wie blöd. Aber ich wollte mich auch nicht kratzen vor den Kameras. Allein die Vorstellung, dass der Sack dann da vor der Kamera sitzt und grinst, wenn ich mir an den Intimbereich fasse …

Wir hatten auch ein paar Vollzeitarbeiter da, für die muss der Job richtig die Hölle gewesen sein. Ich erinnere mich an einen Mann Mitte 40, der war schon seit einigen Jahren in dem Laden. Und der war richtig kaputt, das hat man gesehen. Wenn man permanent unter solchem Stress steht, den ganzen Tag rumrennt, ohne Pause, ohne Entspannung, dann macht das schon was mit einem.

Ich habe meinen Chef einmal drauf angesprochen, warum wir denn all diese Kameras hätten. Und er meinte, das müsse unbedingt sein, weil wir mal ausgeraubt wurden. Irgendwas von wegen Kameraüberwachung stand deshalb auch in unserem Arbeitsvertrag. Aber das war superschwammig formuliert und obendrein haben wir alle keine Kopie von unserem Vertrag gekriegt.

Dafür waren sie immer sofort pupsig, schon bei den allerkleinsten Sachen. Einmal kam ich zwei Minuten zu spät – und es waren wirklich zwei Minuten! – weil mein Bus ausgefallen war. Und dann hat mein Chef mich wirklich richtig fertiggemacht. Er hat mich richtig zusammengeschissen: Sie seien auf mich nicht angewiesen, es gebe tausende Studenten, die meinen Job machen könnten und die Einzige, die dieses Arbeitsverhältnis bräuchte, wäre ich. Da habe ich dann gekündigt. Man muss sich auch nicht alles gefallen lassen.

* alle Namen von der Redaktion geändert

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