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Der Staatsschutz ermittelt gegen diesen Münchner, weil er einen Artikel über Kurden geteilt hat

Polizei: "Wir sind verpflichtet, das zu verfolgen" – Betroffener Facebook-Nutzer: "Das ist bescheuert."
Foto: Privat

Johannes König ist ziemlich fassungslos. "Das ist doch skandalös, oder?", fragt er am Telefon immer wieder. Am Morgen des 21. Februar 2018 hat der 27-Jährige einen Anruf von der Münchner Kriminalpolizei bekommen. Ob er wirklich der Johannes König sei, der am 17. August 2017 einen Artikel des Bayerischen Rundfunks geteilt hat? In dem Fall müsse er wissen, dass der Staatsschutz gerade gegen ihn ermittele – wegen des Zeigens von Kennzeichen einer verbotenen Organisation. Und das, obwohl König nur einen Artikel kommentarlos geteilt hatte, den der Bayerische Rundfunk mit der verbotenen Flagge der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) bebildert hatte.

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Dass die Polizei gegen einen Facebook-Nutzer ermittelt, nur weil er den Beitrag eines öffentlich-rechtlichen Senders geteilt hat, ist wahrscheinlich eine Premiere. "Dass nun auch das kommentarlose Posten eines BR-Nachrichtenartikels, der mit einer YPG-Fahne bebildert ist, Grund für eine Vorladung zum Staatsschutz sein soll, ist ein neuer irrwitziger Höhepunkt der Repression", sagt König. "Das ist doch völlig bescheuert."

Die Münchner Polizei sieht das anders. "Grundsätzlich ist das Verwenden verbotener Kennzeichen von Organisationen eine Straftat", erklärt Sven Müller vom Münchner Polizeipräsidium. "Wir sind also verpflichtet, das zu verfolgen, wenn wir uns nicht selber wegen Strafvereitelung strafbar machen wollen."

Der Bayerische Rundfunk dürfe die Flagge zu Zwecken der Aufklärung natürlich zeigen, erklärt der Polizeisprecher. Aber jeder, der diesen Beitrag teilt, mache sich strafbar. Dass das kaum einer wissen dürfte, betrachtet der Beamte nicht als sein Problem: "Der BR könnte seine Leser ja auch darauf hinweisen, dass es da rechtliche Schwierigkeiten gibt", sagt er. Natürlich sei das ein Eingriff in die Meinungsfreiheit, aber die Meinungsfreiheit sei eben manchmal beschränkt.


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Er gibt allerdings selbst zu, dass das "eine schwierige Rechtsthematik" sei: "Als der Gesetzgeber das geschrieben hat, wusste er nicht, dass es soziale Netzwerke geben wird." Solange aber niemand das Gesetz anpasst, könne die Polizei gar nichts anderes tun, als sowas zu verfolgen, wenn sie darauf aufmerksam werden. Ob der Nutzer sich wirklich strafbar gemacht habe, müsse dann die Staatsanwaltschaft entscheiden.

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In einem Fall ist das schon passiert: Am 9. Januar entschied das Amtsgericht München, den Strafbefehl gegen einen Facebook-Nutzer abzulehnen. Die Polizei hatte im August seine Wohnung durchsucht, weil er eine YPG-Flagge auf seinem Profil gepostet hatte. Im Januar berichtete der Nutzer dann selbst auf Facebook, dass das Gericht ihn "nicht für hinreichend verdächtig hält".

Die Rechtslage um die YPG-Flagge ist komplizierter, als die Münchner Polizei sie darstellt. Die Flagge ist erst seit März 2017 verboten, wie aus einem Rundschreiben des Innenministeriums hervorgeht. Im August entschied das Frankfurter Verwaltungsgericht dann aber, dass die Symbole von YPG, YPJ und der PYD (der "Partei der Demokratischen Union", der kurdischen Partei in Syrien) auf einer Demonstration nicht verboten werden dürfen. Der Grund laut Gericht: Die YPG sei in Deutschland nicht wegen ihrer Nähe zur PKK, sondern vor allem wegen ihres Kampfes gegen den IS bekannt.

Die Münchner Polizei sieht das anders – weshalb linke Aktivisten mittlerweile von einer konzertierten Kampagne gegen YPG-Unterstützer ausgehen. Der Kommunikationswissenschaftler Kerem Schamberger, dessen Wohnung die Polizei im August ebenfalls wegen eines Facebook-Posts, auf dem eine YPG-Flagge zu sehen war, durchsucht hatte, kritisierte die Maßnahme damals gegenüber VICE: "Es ist auffällig, dass die Verfolgung von Öcalan- und YPG-Fahnen zugenommen hat, nachdem die Türkei Kritik daran geäußert hat", sagte Schamberger. "Die bayerische Justiz und die Polizei machen sich zum Handlanger von Erdoğans Diktatur in der Türkei. Das ist der eigentlich Skandal." Polizeisprecher Müller weist dieses Vorwurf zurück: Eine Kampagne gebe es nicht. "Wir hatten ja während der Sicherheitskonferenz gerade eine große Demo, bei der auch YPG-Fahnen geschwenkt wurden", sagt er. "Da wurde auch nicht gleich eingeschritten, die Leute wurden nur aufgenommen."

Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Nicole Gohlke, hat die neuesten Ermittlungen gegen Johannes König ebenfalls kritisiert. "Die Münchner Staatsanwaltschaft verfolgt Menschen, die Beiträge des Bayerischen Rundfunks verlinken, auf denen kurdische Symbole zu sehen sind", schreibt sie auf ihrem Facebook-Profil. "Ich frage mich immer: Merken die nicht, wie nah sie mit solchen Methoden an Typen wie Erdoğan dran sind? Oder finden die es gut, so nah an Typen wie Erdoğan dran zu sein? Beides ist echt gruselig!"

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