Ein Drogenlabor zur Herstellung von Piko
Titelbild: LPD Oberösterreich

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Drogen

Österreich hat ein Crystal Meth-Problem

Die burgenländische Polizei stellt 39 Kilo Meth sicher und verhaftet 63 Personen – ein neuer Spitzenwert. "Seit 2012 werden wir mit Abhängigen regelrecht überschwemmt", meint der Leiter des Suchtmittelzentrums in Linz. Was ist dran am Phänomen Meth?

"Ich weiß noch, dass das ganz komisch war. Plötzlich war das Zeug da. Plötzlich hatte es jeder. Von einem Tag auf den anderen. So habe ich es damals zumindest empfunden", erinnert sich Christina*, als sie uns von ihrem ersten Kontakt mit Crystal Meth erzählt.

Sucht man im Internet nach Bildern von Crystal-Meth-Konsumenten, bekommt man schockierende Horrorbilder zu sehen. Bilder von verfaulten Zähnen, offenen Wunden am ganzen Körper, kaputten Fingernägeln und Zombie-Gesichtern.

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Christina ist 23. Sie sieht anders aus. Keine Spur von den Horrorgesichtern im Internet. Ihre erste Line liegt knapp vier Jahre zurück. Ihre letzte fast drei. Aufgewachsen ist Christina in einem kleinen Ort in Oberösterreich. Das erste Mal konsumiert hat sie Crystal Meth in Linz. "Irgendwann war ich bei einem Bekannten. Der hat mir dann Methamphetamin angeboten. Ich kannte mich mit Drogen damals noch nicht so wirklich aus und hatte keine Ahnung was das ist", erzählt sie uns. "Der Bekannte hat nur gemeint, dass das so ähnlich wie Speed wäre. Nur besser. Er hat das Ganze irgendwie total normal beschrieben, so als wäre es völlig harmlos."

Christina zog ihre erste Line mit 18. Erst im Nachhinein erfuhr sie, dass sie gerade Crystal gezogen hatte. "Mich hat das dann natürlich total gestresst, ich kannte davor nur die Schreckensgeschichten und Bilder die man mit Crystal sofort verbindet. Das hat mich ziemlich überfordert", erinnert sie sich. Dennoch blieb es nicht bei dem einen Mal. "Vorher verbindest du eben nur diese schlimmen Bilder mit der Droge und dann sind es auf einmal die Leute in deiner eigenen Umgebung, die genau diese Droge konsumieren, als wäre es völlig normal", erzählt Christina gegenüber VICE.

Alle Grafiken: VICE Media

Einer, der täglich mit Meth-Abhängigen zu tun hat, ist Kurosch Yazdi. Als Leiter des Zentrums für Suchtmedizin an der Linzer Wagner-Jauregg Nervenklinik arbeitet er täglich quasi im "Epi-Zentrum" des österreichischen Meth-Missbrauchs. "Jährlich haben wir etwa 3.800 Personen, die zu uns in die Drogenambulanz kommen. Ein Drittel davon hat mit Meth zu tun. Das ist schon ein sehr hoher Wert."

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In seiner Klinik behandelt Yazdi hauptsächlich die Härtefälle: Jugendliche, die oft obdachlos und verwahrlost sind. Viele von ihnen sind von Speed oder Heroin auf Meth—oder "Pico", wie es auf der Straße genannt wird—gekommen. In Oberösterreich sei dieser Schwenk zur Droge Crystal Meth auch besonders einfach. Meth ist stärker, billiger und vor allem leichter erhältlich als anderswo in Österreich.

"Ganz klar ist es die Nähe zu Tschechien, die die Verbreitung bei uns begünstigt", sagt der Suchtmediziner. Dort wird Meth schon seit den 70ern konsumiert. Bis in die 2000er sei die Droge bei uns nur marginal vorhanden gewesen, der Konsum habe sich vor allem auf Personen bezogen, die durch Arbeit oder Ausbildung eine Verbindung zum Nachbarland hatten.

"Ganz klar ist es die Nähe zu Tschechien, die die Verbreitung bei uns begünstigt."

Als Yazdi 2012 die Leitung des Linzer Suchtzentrums übernahm, ging es mit der Verbreitung jedoch rasant aufwärts. "Seither werden wir mit Patienten regelrecht überschwemmt.", sagt er zu VICE. 2015 sei der Anteil an Meth-Abhängigen noch mal kräftig angestiegen und habe sich 2016 nun auf demselben Niveau gehalten. Meth ist aber nicht nur bei jungen Menschen und sozial Schwachen ein Thema. Bekannt geworden sind prominente Fälle von Sportlern wie Andre Agassi bis zu Politikern wie Volker Beck oder Michael Hartmann. Dort habe Meth jedoch einen anderen Kontext und diene "zur Leistungssteigerung, wenn Kokain nicht mehr ausreicht", erklärt Yazdi.

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Ähnliches erzählte unserem Kollegen Matthias Kreuziger Anfang 2015 ein anderer Arzt aus Oberösterreich, der aufgrund von Beziehungsproblemen selbst zu Meth griff: "Man kann zwar eine Dopamin-Ausschüttung auch durch Kokain erreichen, aber das ist kein Vergleich zu Meth", so M. "Zehn Stunden Euphorie, das sind zehn Stunden ohne Selbstzweifel." M. verlor durch den Konsum so ziemlich alles: Erst seine Frau und den gemeinsamen Sohn, dann die Wohnung und schließlich den Job. Nur die Droge blieb ihm.

Sichergestelltes Crystal Meth im Dezember 2016 und Jänner 2017. Fotos: LPD Niederösterreich/Burgenland

"Wenn du Meth durch die Nase einnimmst, wirkt es direkt auf dein Gehirn. Wenn du spritzt, dann wirkt es im Herzen. Das ist ein viel emotionaleres Erlebnis", erzählte der ehemalige Mediziner damals. M. wurde schließlich verhaftet, es folgte ein Entzug, dann der Rückfall. Wir haben versucht, M. für diesen Artikel zu erreichen, wollten ihn fragen, wie es ihm heute geht. Wir haben ihn nicht erreicht. Zurückgerufen hat er bis heute nicht.

Hier kannst du die gesamte Geschichte zu M. nachlesen.

Aus Tschechien werden mittlerweile nicht mehr nur Meth-Kristalle oder das zerstampfte Pulver, sondern auch das Know-how zum "Kochen" importiert. Zuletzt hoben heimische Beamte im November ein Labor in Hallein bei Salzburg aus, in dem ein 44-Jähriger im DIY-Verfahren Crystal Meth aus Hustensaft, Feuerzeugbenzin und Salzsäure braute. Zuvor hatte er sich jahrelang mit Meth aus Tschechien versorgt.

Im Dezember führte es Ermittler aus Niederösterreich von St. Pölten nach Wien, wo man in Neubau ein Labor, das ein Chemie-Student betrieben hatte, hochnahm. Kaum ein Monat vergeht ohne eine Meldung über Meth.

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Den aktuellsten Fall präsentierten burgenländische Behörden am 12. Jänner 2017: Seit Herbst 2015 sei in einer groß angelegten, grenzüberschreitenden Aktion gegen eine Bande aus der Slowakei und Österreich ermittelt worden. Am Ende standen 63 Verhaftungen und 39 Kilogramm sichergestelltes Meth mit einem Straßenwert von geschätzt 3,9 Millionen Euro. Ein Spitzenwert, der auch zeigt, wie verbreitet Meth vor allem im Norden Österreichs ist. Ein weiterer spektakulärer Fall ereignete sich in einem niederösterreichischen 100-Einwohner-Kaff:

Gerade einmal zwei Kilometer Luftlinie trennen das Dorf Hirschenwies von der tschechischen Grenze. Ein paar Bauern- und Einfamilienhäuser und viel Wald. Und dann steht da etwas abseits von den anderen Häusern noch ein kleines Gebäude, kaum größer als eine Gartenhütte. Erreichbar ist es nur zu Fuß über einen verwachsenen Forstweg.

Versteckt im Wald und nur zu Fuß erreichbar: Das ehemalige Crystal-Meth-Labor in Hirschenwies. Foto: Paul Donnerbauer/VICE Media

Das grüne Tor zum Garten des Hauses ist mit einem Fahrradschloss versperrt, eine Überwachungskamera filmt den Eingang. Im hinteren Teil des Gartens steht eine Zielscheibe mit Einschusslöchern. Verstreut liegen überwucherte Utensilien herum, die man für Haus- und Gartenarbeit benützen könnte. Oder aber, um wie der 47-jährige Martin P. und der 52-jährige Franz E. Crystal Meth zu kochen.

Bis November 2014 produzierten die beiden hier in der Abgeschiedenheit Crystal Meth. Wie viel genau, darüber gibt es keine Auskunft. Allein mit einem Produktionsprozess sollen es aber 120 Gramm gewesen sein. Das hier in Hirschenwies produzierte Meth hatte einen Reinheitsgrad von 80 Prozent. 50 Prozent höher als der Durchschnitt.

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Erst ein verstopfter Kanal wurde den beiden "Köchen" zum Verhängnis. Bei einer Hausdurchsuchung fand die Polizei schließlich 400 Gramm Crystal Meth. Mit Drogen hätte Hirschenwies aber eigentlich nichts zu tun, versichert uns ein Mann aus dem Nachbarort, der uns den Weg zu dem Meth-Labor zeigt. Normalerweise sei es hier sehr ruhig und auch die beiden Drogendealer seien ja Zugereiste gewesen.

Seit der Hausdurchsuchung steht das Gebäude leer. Foto: Paul Donnerbauer/VICE Media

Hirschenwies ist aber ohnehin nur ein kurzer Zwischenstopp auf unserer Recherchefahrt. Eigentlich sind wir am Weg ins tschechische Grenzgebiet. Auf sogenannten "Asia-" oder "Vietnamesenmärkten" soll dort Crystal Meth verkauft werden. Ein Videobeitrag der Welt zeigt etwa, wie man auf solchen Märkten, die entlang der deutschen und österreichischen Grenze immer wieder zu finden sind, innerhalb von Minuten die Droge angeboten bekommt.

Besonders attraktiv für den Kauf kleinerer Mengen Crystal Meth wurde Tschechien aber nicht nur durch das Angebot auf den Asiamärkten, sondern auch durch seine liberale Drogenpolitik. So wird der Besitz von Drogen für den Eigenbedarf in Tschechien nicht als Straftat, sondern nur als Ordnungswidrigkeit geahndet. Wer mit weniger als 1,5 Gramm Meth erwischt wird, muss lediglich mit einer Geldstrafe rechnen. Wird man mit mehr erwischt, drohen aber weiterhin Gefängnisstrafen von bis zu acht Jahren.

Bei unserem Lokalaugenschein auf einem Asiamarkt nahe der Kleinstadt Kaplice zeigt man sich zurückhaltend. Ein junger Mann erklärt auf Nachfrage, dass man Crystal Meth hier nicht mehr bekomme. "Die Kontrollen sind sehr streng geworden. Ein Kollege ist wegen dem Verkauf von Crystal hier aufgeflogen und sitzt für mehrere Jahre im Gefängnis", erzählt der Verkäufer.

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Außer Elektroschocker, Pfeffersprays und Landser-Pullis, bekommt man zumindest auf den Märkten im österreichisch-tschechischen Grenzgebiet offenbar nichts (mehr) angeboten. Innerhalb Tschechiens gilt die vietnamesische Mafia aber immer noch als Hauptproduzent und -vertreiber der Droge. Gerade mal eine Woche vor unserem Besuch am Markt bei Kaplice wurde eine zehnköpfige Bande in Cheb und Pilsen hochgenommen—samt 45 Kilogramm Crystal Meth.

Auf den sogenannten Asiamärkten im tschechischen Grenzgebiet bekommt man so ziemlich alles: Schlagstöcke, Messer, Pfefferspray, Taser, Wurfsterne, Schlagringe und Grammwaagen—aber kein Crystal Meth. Foto: Paul Donnerbauer/VICE Media

Bei der tschechischen Polizei bestätigt man uns, dass die sogenannten "Asiamärkte" an Relevanz als Drogenumschlagplätze verlieren: "Diese Märkte stellten vor allem für ausländische Besucher eine Möglichkeit dar, an Drogen zu kommen, die man preislich nicht mit Drogen in anderen Ländern vergleichen kann", erklärt die Pressesprecherin Barbora Kudláčková gegenüber VICE. "Durch Kontrollen und Druck der Sicherheitsorgane hat sich der Handel aber auf andere Plätze wie Wettlokale und Bars verlagert."

Bei der tschechischen Polizei geht man außerdem davon aus, dass ein Großteil des dort industriell produzierten Meths gar nicht für den Inlandsverkauf, sondern den Export bestimmt ist. Als Hauptabnehmer gilt hier Deutschland. Aber auch nach Oberösterreich, Niederösterreich und Wien wird nachweislich exportiert, so Kudláčková.

Einer, der tschechisches Meth selbst in Österreich verkauft und konsumiert hat, ist Philipp*. "Das Pico aus Tschechien war schon sehr gutes Zeug, meist um die 80 Prozent rein. Die Leute, die ich kenne, die es selbst gemacht haben, bekamen das nicht hin", erzählt er uns in seiner Wohnung in Wien. Den Zugang zu Meth bekam Philipp über seine Ex-Freundin und deren ehemalige Firma, ein Betrieb in der Infrastruktur-Branche. Dort seien die Drogen von der Geschäftsleitung in rauen Mengen importiert, und an Mitarbeiter und deren Umfeld verkauft worden. "Das waren Säcke voll mit Kristallen, so wie bei Breaking Bad, nur nicht blau."

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Vor ein paar Monaten versiegte dann die Quelle—einer der Verantwortlichen bei der Firma wurde hochgenommen. Seither hat auch Philipp kein Meth mehr im Angebot. "Es ist wirklich schwieriger geworden. Ich kenne sehr viele unterschiedliche Leute, die 2016 eingefahren sind. Auch die Strafen sind bei Meth ja höher als etwa bei Speed."

Skrupel, dass Meth gefährlicher wäre als andere Drogen, hatte er nie. "Es brennt ärger als jedes andere Zeug, aber ich würde Pico immer noch Speck vorziehen. Ich kenne auch Leute Mitte fünfzig, die es seit vielen Jahren nehmen und denen man nichts anmerkt—schon gar nicht optisch." Wahrgenommen hat er Meth vor allem als Leistungsdroge: "Für Schichtarbeiter und Ärzte ist es zum Beispiel ideal. Du bist fokussiert, konzentriert und denkst nicht an die Zeit. Ich war selber oft sechs Tage ohne Probleme wach."

Für Suchtmediziner Yazdi bleibt Meth dennoch, oder gerade deswegen, hochgefährlich: "Es geht schneller ins Gehirn und ins Nervensystem und kann dort leicht Schäden anrichten. Das High ist stärker und erzeugt so auch eine schnellere Abhängigkeit." In seiner Klinik betreue er auch viele Patienten, die den "Faces of Meth" ziemlich nahe kommen. Abmagerung und ausgefallene Zähne—der sogenannte "Meth-Mouth", der bei Kalziummangel und mangelndem Speichel auftritt—zählen bei diesen Härtefällen zum Erscheinungsbild. "Meth-Abhängige neigen auch dazu, sich ständig zu kratzen, vor allem im Gesicht. Daher kommt es zu diesen berüchtigten Narben und Hautabschürfungen."

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Die größte Schwierigkeit sieht der Experte jedoch in der Behandlung von primär Meth-Süchtigen. "Wir haben kein geeignetes Substitutionsmittel wie bei Heroin, wo die Behandlung gut funktioniert." Am nächsten käme der Droge Amphetamin, das aber selbst verboten ist. Derzeit könne man nur mit Koffein oder Guarana arbeiten, was Yazdi jedoch als sehr schwach einstuft, um den Entzug zu lindern. "Ritalin wäre eine weitere Möglichkeit, doch auch das darf Süchtigen gesetzlich nicht verabreicht werden."

Bei Heroin-Abhängigen verzeichnet Yazdins Klinik durch die Substitution mindestens einen Erfolg bei einem Drittel der Patienten: "Ein Drittel bricht sofort ab, ein Drittel bleibt in Behandlung und ist weiter risikoanfällig, bei einem Drittel klappt es dauerhaft. Bei Meth sind diese Chancen weitaus schlechter."

Christina hatte Glück. Obwohl es "einige Monate" in ihrem Leben gab, "wo es völlig normal war, von Freitag bis Montag keinen Bissen zu essen und nicht zu schlafen", schaffte sie es durch einen Freundeskreis- und Ortswechsel von der Droge wegzukommen. "Durch Crystal Meth wird man ein anderer Mensch. Ich war teilweise ziemlich gereizt und aggressiv, wenn ich drauf war. Besonders, wenn es irgendjemand gut mit mir meinte und der Meinung war, dass ich eh schon genug gezogen hätte. Da bin ich teilweise wirklich richtig ausgezuckt, obwohl ich eigentlich kein aggressiver Mensch bin", erinnert sie sich heute.

Bereuen tut sie ihren Konsum dennoch nicht. "Ich habe ein total schlechtes Gewissen meinem Körper gegenüber und es ekelt mich heute einfach richtig an. Aber bereuen tu ich es nicht wirklich. Es ist eine Erfahrung, die ich jetzt nicht mehr rückgängig machen kann." Eine Erfahrung, die vor allem in Oberösterreich wohl noch viele machen werden. Der jüngste Meth-Konsument, den Christina kannte, war gerade einmal 16 Jahre alt—und hat bereits selbst mit der Droge gedealt.

Paul auf Twitter: @gewitterland, Thomas auf Twitter: @t_moonshine


*Zu ihrem Schutz haben wir Christinas und Philipps Namen geändert.