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Warum es in Österreich einen linken Populismus braucht

"Die Grünen werden nicht zu Unrecht als Wohlfühlpartei wahrgenommen. Der gerechte Zorn der Leute auf die gegenwärtigen Verhältnisse findet dort keinen Ausdruck."

Der gute alte "Konsens der Mitte", also die Verschmelzung von Sozialdemokratie und Konservativen zu einem postdemokratischen Lobbyismus für den Mittelstand, existiert nicht mehr. Zumindest dann nicht, wenn man die erste Runde der Bundespräsidentschaftswahl eben nicht als reine Personenwahl betrachtet, sondern sehr wohl auch als richtungsweisend für die Politik auf Bundesebene.

Die Sozialdemokratie hat sich schon lange von ihrer ehemaligen Stammwählerschaft, den Arbeiterinnen und Arbeitern, abgewandt und eine neue Heimat im Establishment des Bürgertums gefunden. Das schafft einen Nährboden für Bewegungen, die jene Menschen mitreißen, die sich schon im ersten Schritt nie als Teil des Konsens der Mitte verstanden haben, oder die sogar von ihm ausgeschlossen wurden.

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Die Rede ist von jenen Menschen, die trotz eines 40-Stunden-Jobs am Monatsende mit leeren Taschen dastehen. Jenen Menschen, die lediglich von einer kleinen Mindestpension leben müssen. Jenen Menschen, die von einem stupiden AMS-Kurs zum nächsten geschickt werden. Jenen Menschen, die in Österreich also von der FPÖ abgeholt werden.

Alle FPÖ-Wählerinnen und Wähler grundsätzlich als rechtsextrem, faschistoid, ausländerfeindlich oder Nazis zu bezeichnen, ist dumm. Selbst das—an sich schon sehr undifferenzierte—Adjektiv "rechts" trifft nicht auf alle zu, die sich von den Positionen der Freiheitlichen angesprochen fühlen. Egal, wie traurig die Wahrheit für einige sein mag: Es fehlt ganz einfach an Alternativen.

Während es in Griechenland mit Syriza eine linkspopulistische Bewegung zur stärksten Kraft des Landes geschafft hat, in Spanien die Protestbewegung Podemos bei den Regionalwahlen 2015 viele Stimmen hinter sich vereinen konnte und sogar die britischen Labour Party mit Jeremy Corbyn einen für sozialdemokratische Verhältnisse linkspopulistischen Politiker zum Parteivorsitzenden gewählt hat, fehlt in Österreich jegliche linke Opposition zur FPÖ.

Um den Weg zu einer solchen linken Opposition in Österreich zu bereiten, muss die Linke zuerst mit ihren Tabus brechen. Dazu gehört auch, den Populismus als eine Strategie des Widerstandes anzuerkennen und ihn nicht komplett der FPÖ zu überlassen. Gemeint ist damit auch nicht nur plumpe Phrasendrescherei. Es geht vielmehr darum, Inhalte klar und deutlich so zu kommunizieren, dass sie von einer breiten Basis der Gesellschaft verstanden werden und sich möglichst viele Menschen angesprochen fühlen.

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Das sieht auch Benjamin Opratko, Politikwissenschaftler, Redakteur des Politblogs mosaik und Unterstützer der Kampagne Aufbruch, ähnlich: "Wenn Populismus heißt, den politischen Gegner klar zu benennen und zu sagen, es gibt uns, die große Mehrheit, die ein Interesse hat an sozialer Politik, ordentlichen Löhnen und einem funktionierenden Bildungs- und Gesundheitssystem und es gibt die Reichen und Mächtigen, eine Kaste von Politikern und Wirtschaftseliten, die all diesen Interessen im Weg stehen, dann gäbe es in Österreich sicher Bedarf für einen Linkspopulismus", sagt Opratko gegenüber VICE.

In Griechenland konnte die linkspopulistische Syriza vom Unmut der Bevölkerung profitieren

Wie auch viele seiner Kollegen sieht Opratko die Wurzel des Unmuts in der Gesellschaft als direkte Folge zunehmender Ungleichheit. Für ihn geben die Grünen darauf nicht die richtigen Antworten. "Die Grünen werden nicht zu Unrecht als Wohlfühlpartei wahrgenommen. Der gerechte Zorn der Leute auf die gegenwärtigen ungerechten Verhältnisse findet dort überhaupt keinen Ausdruck", meint der Politikwissenschaftler.

Tatsächlich ist es die FPÖ, die es zur Zeit als einzige Partei schafft, den Wütenden und Besorgten ein Angebot zu machen. "Eine im besten Sinne linkspopulistische Kraft könnte den Anspruch der FPÖ, die einzig wahre Protest- und Oppositionspartei zu sein, zurückweisen und sie insofern auch bei Wahlen schwächen", ist Opratko aber überzeugt.

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Eine populistische linke Initiative darf sich aber nicht rein auf die im Grunde inhaltslose, passive Parole "FPÖ verhindern" stützen. Eine solche Initiative muss mehr sein. Denn während wir als Gesellschaft auf rechtsextreme Auswüchse wie die Identitären oder auch auf die nicht mehr als 50 Anhänger von Pegida getrost scheißen können, können wir auf den durchschnittlichen Hofer- oder Strache-Wähler nicht verzichten.

Die Sparpolitik wurde von der Sozialdemokratie mitbeschlossen.

Während die FPÖ eine Politik der Exklusion verfolgt, muss eine linke Alternative die Inklusion der typischen FPÖ-Wählerschaft verfolgen. Es geht dabei nicht einfach nur darum, den Hackler aus Favoriten als Feindbild zu definieren, der immerhin im Gegensatz zum Grün-Wähler aus Döbling die tatsächliche Realität einer Migrationsgesellschaft nicht nur aus der Ferne kennt, sondern jeden Tag miterlebt und aus Existenzängsten auf die Blauen setzt. Denn, wie Jakob Augstein in einem Kommentar im Spiegel treffend gezeigt hat, bringt der Mensch umso weniger Anerkennung für andere auf, je weniger Anerkennung er selbst erfährt.

Die Stärke einer progressiven Gesellschaft entsteht also nicht wie im Falle der Propaganda der FPÖ und anderer rechter Parteien durch den Ausschluss von Migrantinnen und Migranten, sondern durch ihren Einschluss und die Festmachung eines gemeinsamen Gegners: "dem globalen Kapital", wie es der slowenische Philosoph und Theoretiker Slavoj Žižek bezeichnet.

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Dieses "globale Kapital", das sich in Westeuropa, und allem voran in Österreich, als sozialliberale, marktwirtschaftliche Form des Kapitalismus präsentiert, ist Schuld an der Finanzkrise ab 2007 und der darauf folgenden Austeritätspolitik, die vor allem den Süden Europas hart getroffen hat und schließlich auch zum sozialen Abstieg großer Teile der Mittelklasse geführt hat. Eine Austeritätspolitik, die auch von ehemaligen Mitte-Links-Parteien in ganz Europa mitgetragen und mit beschlossen wurde.

Unterstützer der spanischen Protestbewegung Podemos in Wien | Foto: Michael Bonvalot

Im April stieg auch in Österreich die Arbeitslosenquote erneut, wie das Sozialministerium am Montag mitteilte. Im Vergleich zum Vorjahresmonat waren um 1,1 Prozent mehr Menschen ohne Job. Konkret haben derzeit 424.697 Menschen keine Arbeit. Nach nationaler Definition bedeutet das eine Arbeitslosenquote von 9,1 Prozent. Bei der Jugendarbeitslosigkeit sind die Zahlen sogar noch deutlich höher. Allein in Wien gab es 2015 unter den 20- bis 34-Jährigen 57.805 Arbeitslose.

Diesen Menschen wird es, gelinde gesagt, scheißegal sein, ob die Mahü nun eine Fußgängerzone oder Begegnungszone wird, oder Fußgänger weiterhin am Trottoir flanieren und Autos auf der Fahrbahn fahren.

"Ein linkspopulistisches Projekt müsste also vor allem jene ansprechen, die unter den Entwicklungen in Österreich leiden, die Angst vor dem sozialen Abstieg haben und die sorgenvoll in die Zukunft blicken", sagt der Politikwissenschaftler Benjamin Opratko. Die Grünen sind, wie alle Wahlanalysen zeigen, für diese Schichten jedenfalls keine Option. Und auch die SPÖ scheint immer weniger den richtigen Nerv zu treffen.

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Die wohl schwierigste Aufgabe einer linkspopulistischen Partei im Stimmen-Match gegen die FPÖ läge wohl darin, die nationalpopulistische Komponente des freiheitlichen Parteiprogramms auszugleichen. "Wäre ein linker Populismus, der in erster Linie sozialpopulistisch agiert, tatsächlich ein geeignetes Mittel gegen den Rechtspopulismus, der mittlerweile sowohl sozialpopulistisch, als auch nationalpopulistisch argumentiert? Ich glaube nicht. Der rechtspopulistische Zeitgeist wird uns leider noch länger beschäftigen", zeigt sich Werner T. Bauer, Mitarbeiter der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung, pessimistisch.

Tatsächlich müsste eine linkspopulistische Bewegung auch den Begriff des "Volkes" neu belegen, um ein ähnlich identitätsstiftendes "Wir-Gefühl" zu vermitteln, wie es der FPÖ gelingt. Einen interessanten Ansatz entwirft dazu die Philosophin und Publizistin Isolde Charim in einem Kommentar in der Wiener Zeitung. Sie schreibt: "Vom Volk sprechen heißt, die Menschen nicht nur als Klassensubjekte verstehen, sondern auch andere Identitätsbestimmungen gelten lassen. Heißt zu akzeptieren, dass die politische Auseinandersetzung immer auch eine ideologische ist."

Es geht also um den ideologischen Kampf mit emotional aufgeladenen Bildern, die auch eine Antwort auf die Frage liefern können, wer wir sind. Während die FPÖ hier die Lösung in Nationalismus und Xenophobie sucht, und dem Volksbegriff eine konkrete Gestalt, nämlich den "echten Österreicher", gibt, müsste eine linke Alternative einen anderen Weg gehen. Eine linkspopulistische Partei müsste, anstatt Migrantinnen und Migranten zum Sündenbock zu erklären, das österreichische Volk in all seinen bunten Facetten als Gegnerschaft zu einer kleinen, wirtschaftlichen Elite benennen—so, wie es in Ansätzen durch die Occupy-Bewegung bereits versucht und in Griechenland durch Syriza tatsächlich realisiert wurde.

Ob ein solches Projekt auch in Österreich gelingen könnte, kann sich nur durch den praktischen Versuch zeigen. Man sollten den Rechten jedenfalls nicht unwidersprochen die Macht überlassen und dabei zu sehen, wie sie die Verlierer der Wirtschaftskrise gegeneinander ausspielt.

Diskutiert mit Paul auf Twitter: @gewitterland