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Sex

Wie ein Body-Mod-Experte eine neue, blutige Form der Körperkunst erfunden hat

Der Schweizer Body-Modification-Profi Yann Brenyak verbindet mit einer von ihm entwickelten, einzigartigen Technik Tattoos und Narbenverzierungen.

Alle Fotos: bereitgestellt von Yann Brenyak

Das Gesicht des in der Schweiz geborenen und in London lebenden Body-Modification-Künstlers Yann Brenyak ist von Implantaten, veränderten Augenbrauen, viel Tinte (unter anderem ein riesiger Totenschädel auf seinem Kopf), Narbenverzierungen und einer gespaltenen Zunge, die er wie eine Schlange hin- und herbewegen kann, gezeichnet. Wenn man sich durch seine Instagram- und Tumblr-Accounts scrollt, findet man viele detaillierte Fotos davon, wie er die Haut seiner Kunden wie bei einer Kartoffel abzieht oder ihnen Metallimplantate in die Brust einsetzt. Da die Arbeit des Künstlers die Grenzen der Body-Modification-Subkultur neu definiert, kann er inzwischen eine große Anhängerschaft vorweisen und ist regelmäßig in verschiedenen Studios auf der ganzen Welt zu Gast.

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Zwar sind das Abschaben der Haut und Narbenverzierungen nichts wirklich Neues, aber Brenyak experimentiert im Feld dieser Praktiken und hat sich mit seinen „Graphic Skin Portraits" so eine eigene Nische geschaffen. Bei dieser Technik tätowiert er den Arm des Kunden erst komplett schwarz und schneidet dann mithilfe eines Skalpells ein silhouttenartiges Bild in die Farbe. Die daraus resultierenden Kunstwerke—oftmals Gesichtsporträts—sehen aus wie umgekehrte Tätowierungen, die durch Haut-Modifikationen erschaffen wurden.

Ich wollte mehr darüber erfahren, wie der Künstler in diesem Tätigkeitsbereich gelandet ist und sich dort seinen eigenen Platz geschaffen hat. Deshalb habe ich Brenyak kontaktiert und er erklärte mir auch bereitwillig, wie er aus einer Leidenschaft eine Karriere machte.

„Jeder denkt immer gleich ‚Mein Gott, warum fügst du dir so viele Schmerzen zu und machst deinen Körper kaputt? Du siehst aus wie ein verdammter Freak … Bla, bla, bla'", meinte Brenyak während unseres Skype-Gesprächs, das er zwischen zwei Terminen bei seiner Arbeit in einem Tattoo-Studio in Sacramento unterbringen konnte. Der Künstler war meiner Neugierde gegenüber nicht nur positiv und offen eingestellt, ich würde ihn sogar als einen spirituell angehauchten Schatz bezeichnen—selbst dann noch, als er seinen Mund öffnete und mir seine Zunge(n) entgegenstreckte. „Meine Mutter weiß nicht mal, dass ich eine gespaltene Zunge habe", erzählte er mir.

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Ich fragte Brenyak, ob er das Gefühl haben würde, dass die Öffentlichkeit die Ziele und die Motivation hinter Body Modifications nicht versteht. „Eigentlich ist das Ganze nicht wirklich extremer als Schönheitsoperationen. Es tut sogar nicht mal so sehr weh", erklärte er mir mit starkem Akzent. „Ich meine, man könnte auch das Rasieren der Augenbrauen als extrem bezeichnen."

Insgesamt war Brenyaks Haltung während unseres Gesprächs eher aufklärerisch als defensiv. „Manche Leute machen täglich viel mehr Qualen durch, wenn sie ins Fitnessstudio gehen, um irgendwann ein einziger Muskelberg zu sein. Für viele Menschen sind Tätowierungen oder Narbenverzierungen jedoch viel hilfreicher, wenn es darum geht, sich in der eigenen Haut wohlzufühlen."

Brenyaks Interesse an der Kultur der Body Modifications wurde geweckt, als er im Kindesalter ein Bild davon sah, wie sich ein von oben bis unten tätowierter Mann an Haken aufhängen ließ. Die ganze Materie faszinierte ihn sofort und er fragte seinen Vater, ob er sich ein Tattoo stechen lassen dürfte. Als ihm seine Bitte aufgrund seines jungen Alters verwehrt wurde, fing seine Stiefmutter damit an, seinen Rücken mit Henna-Tätowierungen zu verzieren. Von da an gab es kein Halten mehr. „Der Wunsch, meinen Körper zu verändern, schlummert schon mein ganzes Leben lang in mir", erzählte er. „Es hat mich schon immer fasziniert, dass man seinen Körper nach den eigenen Vorstellungen verändern kann und die Fantasie somit zur Realität wird."

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Brenyak machte im schweizerischen Piercingstudio Tribe Hole eine Ausbildung zum Piercer, traf dort dann auf den Body-Mod-Künstler Lukas Zpira und lernte bei ihm weiter. So eignete er sich schnell eine Reihe an BM-Techniken an—zum Beispiel astransdermale Implantate, Narbenverzierungen, das Zusammennähen von gedehnten Ohrlöchern oder Brandings. Letztgenanntes will Brenyak aufgrund des Geruchs von verbranntem Fleisch jedoch lieber vermeiden. 2011 zog er dann nach London und arbeitete dort in verschiedenen Studios. Dabei perfektionierte er seine Fähigkeiten und fing schließlich auch damit an, seine Technik der grafischen Hautentfernung zu entwickeln.

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„Mir wurde gesagt, dass das niemals möglich wäre", sagte mir Brenyak zu seiner Tattoo-Vernarbungs-Technik. Seine Ex und gute Freundin Delphine Noiztoy von The Lacemaker Sweatshop ermutigte ihn jedoch dazu, weiter zu experimentieren und die Grenzen der Body Modifications auszuloten. „Zur ihr hat man früher auch mal gemeint, dass tätowierte Dot-Portäts ein Ding der Unmöglichkeit wären. Sie hat jedoch immer weiter gemacht, bis das Ganze nicht nur möglich, sondern auch perfektioniert war. Sie hat mir gezeigt, dass im Bereich der Body Modifications nichts unmöglich ist, und so wurde meine Vorstellung von der grafischen Hautentfernung schließlich Wirklichkeit. Durch sie habe ich gelernt, dass meiner Kunst keine Grenzen gesetzt sind."

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Nachdem er ausgiebig auf seinen eigenen Beinen geübt hatte, fertigte Brenyak 2013 das erste Hautporträt (ein Bild von Björk) erfolgreich an. Seitdem hat er seine Technik dazu eingesetzt, um eine ganze Reihe an verschiedenen Gesichtern und geometrischen Formen zu kreieren, die wie geisterhafte Kunstwerke anmuten und aus der Haut der Träger herauszufahren scheinen. Wenn er seine Technik einsetzt, fühlt er sich so, als würde die Außenwelt ausgeblendet werden und er in einen Zustand der Gnade verfallen: „Ich verliere mich dann ganz in meinem Handwerk."

Ich setzte mich auch mit dem 26-jährigen Pilzkundler Lefio Bardolph in Verbindung, dessen Körper von Brenyak schon mehrmals bearbeitet wurde und der auch das erste Hautporträt erhielt. „Solche erfrischenden Ideen wie die von Yann waren mir schon lange nicht mehr untergekommen. Meiner Meinung nach sind es seine Leidenschaft und sein Einsatz für die Kunst, die ihn für die Leute so interessant und anziehend machen. Man erkennt sowas sofort—also einen Menschen, der für eine bestimmte Sache perfekt geeignet ist und der seiner Vision auch bei Gegenwind treu bleibt. Er ist ein echt toller Typ und bringt dazu noch eine Menge Charakter mit."

Nachdem er sich von Brenyak bereits die Ohren anspitzen und durchlöchern ließ, holte sich Bardolph noch das Björk-Narbenporträt auf seinem Oberarm. „Vor der ganzen Prozedur hatte ich doch etwas Schiss, weil es meine erste Narbenverzierung war", erinnerte er sich. „Wegen meiner Angst habe ich bei einem entscheidenden Schnitt auch mal etwas gezuckt oder mich bewegt, weil ich das Gefühl einfach nicht gewohnt war."

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Bardolph beschrieb mir die sieben Stunden andauernde Session als Zusammenarbeit und merkte noch an, dass einzig und allein der Zeitpunkt der Pause zum Streitthema wurde: „Unterm Messer werde ich immer richtig hungrig. Er will jedoch ständig weitermachen. Letztendlich müssen wir beide alles geben!" Außerdem half der Body-Mod-Künstler dabei, das finale Design und die Anordnung der Schnitte festzulegen, denn da gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten. „Er hatte fast so viel Einfluss auf die Body-Mod-Ideen wie ich."

Seitdem haben die beiden noch bei anderen Body Modifications zusammengearbeitet. Ihr aktuellstes Projekt ist dabei die Tätowierung von Bardolphs Schulter, wo bereits Haut entfernt wurde und nun ein Frauengesicht zu sehen ist.

„Die Atmosphäre während unserer Zusammenarbeit—egal ob nun eine geerdete, fast schon ritualhafte Energie oder eine härtere und konzentriertere Welle—fühlt sich immer genau so an, wie ich sie brauche, um unsere herausfordernden Unterfangen zu meistern. Das werde ich niemals vergessen—genauso wenig wie seine Frotzeleien, wenn ich nach einem unerwarteten Schnitt kurz aufschrie."

Die beiden Hautporträts von Bardolph | Foto: Instagram

Ich habe zudem noch mit einem weiteren Body-Mod-Künstler namens Shiva gesprochen, der mit Brenyak seit dessen Umzug nach London befreundet ist. Shiva fertigt ebenfalls Narbenverzierungen und umgekehrte Tattoos an, bezeichnete Brenyak mir gegenüber jedoch als den Pionier der Hautporträts.

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„Dieser einzigartige grafische Porträtstil ist sein Baby und er hat ihn perfektioniert", schrieb mir Shiva per Mail. „Ich habe auch schon gesehen, wie sich andere Künstler daran versuchten, aber keiner hat es so gut hingekriegt wie Yann."

Auf meine Frage, was die Leute der Body-Mod-Community mit Brenyaks Vermächtnis verbinden werden, antwortete er: „Der Scheißkerl wird vor allem dafür in Erinnerung bleiben, dass er sich immer Klingen und anderes Equipment von mir leihen musste, weil er ständig vergessen hat, sich neues Zeug zu bestellen. Spaß beiseite: Yann gehört zu den wenigen Künstlern, die die Narben-Industrie weiterentwickelt und nach vorne gebracht haben."

„Ich habe auch schon gesehen, wie sich andere Künstler daran versuchten, aber keiner hat es so gut hingekriegt wie Yann." – Shiva

V. Vale ist der Gründer des Verlags RE/Search und dazu noch der Autor von Modern Primitives, einem bahnbrechenden Buch über die Body-Mod-Kultur. Der Hobby-Historiker, der vor allem für seine Dokumentation des Wiederaufkommens der Körperkunst in der westlichen Kultur bekannt wurde, meinte mir gegenüber, dass Brenyak eine vielversprechende Karriere vor sich zu haben scheint. „Ich will hier jetzt auch nicht zu dick auftragen, aber es sieht doch so aus, als ob Brenyak danach strebt, die Palette, den Umfang, die Richtung und das visuelle Verzeichnis der Körpermodifikationen zu erweitern."

Ein grafischen Narbentattoos zu machen, ist eine blutige und ziemlich krasse Angelegenheit. Brenyak beschreibt das Ganze als Arbeit, der sich nur ernsthafte Body-Mod-Enthusiasten mit einem fundierten Wissen über diese Subkultur annehmen.

„Es gibt zwei Arten von Menschen, die an Body Modifications interessiert sind", erklärte er mir. „Diejenigen, die das Ganze trendig finden, und diejenigen, die etwas über die Geschichte, die Kultur und die Herkunft von Body Modifications wissen wollen. Zweitgenannte hegen dabei auch eine Faszination für die Rituale und die subkulturellen Feinheiten. Sie wollen nicht einfach nur ihren Körper verändern, um in eine bestimmte Rolle oder vermeintliche Identität zu ‚passen.' Ich glaube nicht, dass man sich von einem Mann mit einem Skalpell die Haut wegschneiden lässt, wenn man sich diesem Lifestyle nicht ernsthaft verschrieben hat."