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Alle Fragen, die du dir zum Thema Abschiebung nie stellen getraut hast

Kann die Innenministerin jemanden abschieben? Darf ein Abzuschiebender bleiben, wenn er im Flugzeug herumschreit?

Wenn viele Flüchtlinge kommen, steigt gleichzeitig die Zahl derer, die kein Asyl erhalten und entsprechend auch abgeschoben werden. hat die Abschiebe-Zahl im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt und auch die plant, bis 2019 über 50.000 Abschiebungen vorzunehmen. Abschiebungen sind innerhalb kurzer Zeit zu einer professionellen Maschinerie Europas geworden.

Deutschland

österreichische Regierung

Dennoch ist jede Abschiebung eine Herausforderung und kaum eine passiert wirklich freiwillig. Die Öffentlichkeit weiß relativ wenig über die Vorgänge, die Menschen zwingen, in jenes Land zurückzukehren, aus dem sie geflohen sind. Deshalb versuchen wir hier, alle Fragen zu beantworten, die du dir zum Thema Abschiebung schon mal gestellt hast (inklusive denen, die du nicht vor anderen aussprechen wolltest).

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Was ist eine Abschiebung?

Wer keine Aufenthaltserlaubnis für Österreich besitzt, muss Österreich verlassen und in sein Herkunftsland reisen. Die Abschiebung ist eine staatliche Zwangsmaßnahme und wird von der Polizei vollzogen.

Wer entscheidet über eine Abschiebung?

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), das dem Innenministerium untersteht, prüft einen Asylantrag. Die Beamten des Ministeriums—nicht Richter—entscheiden über den Antrag auf Basis der rechtlichen Grundlagen (es gilt eine EU-Richtlinie). Vereinfacht gesagt: Wird ein Asylwerber individuell verfolgt, bekommt er Asyl, findet in seinem Herkunftsland allgemeine Verfolgung statt, bekommt er subsidiären Schutz.

Humanitäres Bleiberecht wird gebilligt, wenn eine Abschiebung die Person besonders hart treffen würde. Beispiel: Ein Schwerkranker würde in ein Land abgeschoben werden, in dem die Krankheit nicht ausreichend medizinisch behandelt werden kann. Gegen den Bescheid des BFA kann vor Gericht Beschwerde erhoben werden.

Kann die Innenministerin eine Abschiebung veranlassen?

Anders als Richter sind Verwaltungsbeamte weisungsgebunden. Theoretisch könnte die Innenministerin also eine Abschiebung veranlassen oder verhindern—vorausgesetzt, ihre Entscheidung bewegt sich im rechtlichen Rahmen und kommt durch ein mögliches Beschwerdeverfahren vor Gericht.

Warum reden immer alle von Dublin?

Die Dublin-Verordnung regelt, wie das Asylverfahren innerhalb von Europa abläuft, sprich welcher Staat wofür zuständig ist. Die Verordnung heißt so, weil sie 1990 in Dublin unterzeichnet wurde. 2003 wurde sie erneuert, seit 2014 gilt Dublin III für alle EU-Mitgliedsstaaten sowie für Norwegen, Island, Schweiz und Liechtenstein.

Im Grunde besagt das Übereinkommen: Jener Staat, in dem ein Flüchtling als erstes einreist, muss sich um das Asylverfahren kümmern. In der Praxis sind das vor allem Griechenland und Italien, in Österreich kommen eher selten Boote an.

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Stellt ein Flüchtling einen Asylantrag jedoch nicht in seinem Ersteinreiseland (zum Beispiel, weil Italien Flüchtlinge in den Norden einfach durch winkt), so kann Österreich eine „Dublin-Überstellung" einleiten—was einfach bedeutet, Flüchtlinge nach Italien, Slowenien oder Ungarn zurückzuschicken. Wie auf der ÖVP-Homepage zu lesen ist, kümmert sich Innenministerin Johanna Mikl-Leitner „vor allem um Dublin-Fälle, um Platz zu schaffen. Denn diese Fälle (…) blockieren unser System." So eine „Überstellung" ist keine Abschiebung, sondern schiebt die Verantwortung, die Asylwürdigkeit eines Asylwerbers zu prüfen, an ein anderes, „zuständiges" Land weiter.

Was zum Teufel ist ein „sicherer Drittstaat"?

Der Begriff ist europäisch geprägt. Drittstaat beschreibt einen Staat, mit dem die EU keine Verträge geschlossen hat und dessen Staatsangehörige somit kein Recht auf freien Personenverkehr innerhalb Europas haben. Aus österreichischer Sicht ist zum Beispiel Deutschland kein Drittstaat, der Iran hingegen schon. Stuft die Regierung den Drittstatt als sicher ein, kann dorthin vereinfacht abgeschoben werden.

Aus welchen Gründen darf Österreich Menschen abschieben?

Das BFA listet drei Gründe. Wenn 1.) der Drittstaat sicher ist, wenn 2.) der Asylantrag abgewiesen wird, oder wenn 3.) die Asyl-Status aberkannt wird (etwa, wenn der Flüchtling schwer straffällig geworden ist). Innenministeriums-Sprecher Karl-Heinz Grundböck fügt hinzu: „Die Beamten des BFA prüfen jeden Antrag individuell. Wenn er positiv beschieden ist, darf der Asylwerber auch bleiben, wenn das Drittland sicher ist. Ein Deutscher kann theoretisch auch Asyl in Österreich bekommen."

Wie erfährt der Betroffene von seiner Abschiebung?

Dem Asylbewerber wird sein Bescheid zugestellt. Ist er negativ und rechtskräftig, hat er die Möglichkeit, „innerhalb einiger Wochen" eine Rückkehrberatung bei der Caritas oder dem „Verein Menschenrechte" in Anspruch zu nehmen.

Was ist der Unterschied zwischen freiwilliger und zwangsweiser Ausreise?

Voriges Jahr wurden 3.278 Menschen zur Ausreise gezwungen, 5.087 gingen freiwillig. „Freiwillig" ist an dieser Stelle aber eher semi-freiwillig; der Betroffene hat hier nur die Wahl zwischen den Optionen „ohne Gewalt zum Flughafen" oder „mit Gewalt und Festnahme". Entscheidet er sich für „freiwillig", bekommt er zusätzlich bis zu 370 Euro vom BMI — je nachdem, wie schnell er sich entscheidet. Weiters hat der „freiwillig" Ausreisende die Möglichkeit, an EU-Reintegrationsprojekten in seinem Herkunftsland teilzunehmen. In Afghanistan etwa werden Berufsausbildungen, Mikro-Kredite für Firmengründungen und Perspektiven-Seminare angeboten. Nimmt er dies nicht an, wird der Betroffene festgenommen und in ein Schubhaftzentrum gebracht.

Wie funktioniert eine Abschiebung dann technisch?

Die Polizisten bringen die Abzuschiebenden vom Schubhaftzentrum zum Flughafen, zwei Beamte pro Person. Handelt es sich um eine Einzelperson, wird meist ein Linienflug gebucht. Bei mehreren Abzuschiebenden chartert das Innenministerium einen Flieger oder organisiert Plätze in einem Frontex-Flug. Ganz so problemlos wie in diesem Werbevideo laufen sie allerdings nicht immer ab.

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Was ist Frontex genau?

Frontex ist eine Agentur der EU und kümmert sich um den Schutz der europäischen Außengrenzen. Bei Abschiebungen hilft Frontex den Mitgliedsstaaten. So chartert die Agentur etwa Flugzeuge, die mit Abzuschiebenden aus mehreren EU-Ländern geboardet werden. Österreich organisiert die meisten Frontex-Flüge und war 2006 die erste Nation mit Charter-Flügen. In diesem Werbefilm lässt Frontex unproblematisch erscheinen. Ein Frontex Escort Leader sagt aber zu Zeit Online: „Keiner geht freiwillig. Jede Abschiebung geschieht gegen den Willen der Beteiligten."

Was passiert, wenn sich jemand gegen seine Abschiebung wehrt?

Ob eine Person mit einem Flugzeug fliegen darf (oder muss), liegt im Ermessen des Flugzeug-Kapitäns. In mehreren Fällen haben sich Piloten bereits geweigert, schreiende, frustrierte oder panische Flüchtlinge abzuschieben. Die deutsche Pilotenvereinigung Cockpit rät Piloten, „sich nur an Abschiebungen zu beteiligen, bei denen der Abschübling freiwillig fliegt". Sei die Person gefesselt, unter Beruhigungsmitteln oder in Begleitung mehrerer Polizisten, k önne diese Freiwilligkeit bereits „verneint" werden. Ob es sich dabei um einen Linien-, Charter oder Frontex-Flug handelt, wäre egal.

Was sind „Hercules"-Maschinen, die von der FPÖ für Abschiebungen gefordert werden?

Dagmar Belakowitsch-Jenewein, Abgeordnete der FPÖ, wurde 2015 Zeugin eines Flüchtlings, der lautstark im Linien-Flugzeug gegen seine Abschiebung protestierte. Sie forderte daraufhin, Abschiebungen mit Hercules-Transportmaschinen des Bundesheeres durchzuführen. Strache war übrigens 2006 schon dafür, Originalton: „Für was haben wir militärische Transportflugzeuge wie die Hercules? Da k önnen sie dann schreien und sich anurinieren. Da st ört's dann niemanden." Dass ein Rechtsstaat unbescholtene Bürger militärisch abführt, macht allerdings vielleicht kein so gutes Bild. Die Regierung kündigte vor Kurzem trotzdem an, Flüge mit der Hercules zu prüfen.

Wer kontrolliert, dass die Polizei bei der Abschiebung keine Menschenrechte verletzt?

2006 widersetzte sich der Gambier Bakary J einer Abschiebung. Er wollte nicht gehen, ohne vorher seine Familie noch einmal zu sehen. Auf der Rückfahrt vom Flughafen brachten die Polizeibeamten ihn nicht zurück ins Schubhaftzentrum, sondern in eine Lagerhalle. Dort folterten die Beamten ihn und fuhren ihn mit dem Polizeiwagen an (Ein 33-minütiger Kurzfilm dokumentiert den Fall ziemlich eindringlich).

So etwas soll nicht mehr vorkommen. Seit 2011 hat deshalb verpflichtend „ein Menschenrechtsbeobachter ab dem Kontaktgespräch teilzunehmen. Dieser hat die Beobachtung der Abschiebung bis zur Ankunft des Fremden im Herkunftsstaat wahrzunehmen (…). Der Menschenrechtsbeobachter hat binnen einer Woche über den Ablauf der durchgeführten Abschiebung einen Bericht zu verfassen und der Bundesministerin für Inneres vorzulegen." (Auszug von §10 FPG-DV).

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Das klingt gut, obwohl es noch immer einen Wermutstropfen gibt: Die Auswahl des Menschenrechtsbeobachters obliegt dem Innenministerium, das aktuell den „Verein Menschenrechte" damit beauftragt hat und ihn nebenbei auch finanziell fördert. Das ist ungefähr so, als würde ein Firmenboss seinen engsten Mitarbeiter mit der Kontrolle der Firmenführung beauftragen.

Kann ein Flüchtling auch vollkommen freiwillig in sein Heimatland zurückkehren?

Ja. Auch mit positivem oder noch unentschiedenem Antrag kann ein Asylwerber in sein Herkunftsland zurückkehren. Ihm stehen dann ebenfalls Reisegeld und die Teilnahme an EU-Reintegrationsprojekten zu. „Im vergangenen Jahr haben wir einen Trend zur freiwilligen Rückkehr vor allem bei Irakern bemerkt", erzählt BMI-Sprecher Grundböck. „Sie kamen mit falschen Erwartungen nach Österreich". Sie hätten sich die Asylbedingungen und das Leben in Österreich besser vorgestellt als es in Wirklichkeit ist.

Die österreichische Regierung will bis 2019 über 50.000 Menschen abschieben. Kann sie das überhaupt entscheiden?

Ja und nein. „Diese Zahl darf nicht als Maßgabe oder als Auftrag für die BFA-Beamten gesehen werden, negativer zu entscheiden als bisher", erklärt Ministeriumssprecher Grundböck. Vielmehr versucht die Regierung durch politische Maßnahmen die Abschiebe-Zahl zu erhöhen. Aktuell wurde etwa durch eine Verordnung beschlossen, dass Marokko, Algerien, Tunesien, Georgien, die Mongolei und Ghana als sicheres Herkunftsland gezählt werden.

Welche Nationalitäten werden besonders häufig abgeschoben?

Kosovo, Irak und Serbien führen die Tabelle des BFA an.

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In welche Länder kann nicht abgeschoben werden?

Theoretisch kann in alle Länder abgeschoben werden. In der Praxis gibt es jedoch einige Hindernisse. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ( EGMR) hat etwa entschieden, dass eine Rückführung nach Griechenland unzulässig sei, weil aufgrund der Überbelastung die Asylbedingungen „unmenschlich" seien. BMI-Sprecher Grundböck ergänzt, dass Österreich weiters nicht mit Zwang in Länder abschiebt, die ihre Bürger nicht empfangen. Dafür ist nämlich manchmal ein sogenanntes Heimreisezertifikat notwendig—eine Art Pass, der die Einreise des Geflüchteten garantiert. Mit einigen Ländern gibt es ein sogenanntes Rücknahmeabkommen, mit anderen nicht. Ob Länder ihre geflüchteten Bürger wieder aufnehmen, ist eine Frage der diplomatischen Verhandlungen zwischen den Ländern.

Was passiert, wenn ein Flüchtling seinen Reisepass verloren hat?

Bei jedem Asylansuchen muss der Bewerber Eigenangaben machen, der Pass ist nicht alles. Die Polizisten versuchen mit einer speziellen Fragetechnik, die Angaben des Asylwerbers zu überprüfen. Kommt die Person wirklich aus Syrien, oder ist es ein Türke, der vorgibt, Syrer zu sein? Beherrscht er die Sprache? Kann er seine Heimatstadt beschreiben? Widerspricht er sich? Im Anschluss nehmen die Beamten eine „Plausibilitätsbegründung" vor.

Wie viele Menschen wurden in den vergangenes Jahr abgeschoben?

2015 wurden 8.365 Menschen „ausgereist", das sind laut BFA 40 Prozent mehr als im Vorjahr. In Charter-Flugzeugen gesprochen, waren es 27 im Jahr 2015 und 10 im Jahr 2014.

Was kosten Abschiebungen pro Jahr?

Jährliche Auflistungen dazu gibt es leider nicht. Mikl-Leitner antworte in einer parlamentarischen Anfrage bloß, dass für den Zeitraum Jänner bis August 2015 Kosten in der Höhe von 945.947 Euro angefallen sind. Darin enthalten sind Flugkosten, Begleitbeamten, Steuern sowie Gebühren.

Was mache ich, wenn ich eine Frage habe, die hier nicht beantwortet wurde?

Überhaupt kein Ding. Schreib uns - gerne auch anonym und wir versuchen, die Frage für dich zu beantworten: Hier per E-Mail oder auch auf Twitter.