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Hunderte Menschen solidarisieren sich in Wien mit den verhafteten HDP-Abgeordneten in der Türkei

In der Türkei wurden in der Nacht von Donnerstag auf Freitag mindestens 11 kurdische Politiker verhaftet. Wir haben den Protest österreichischer Kurden vor dem Parlament begleitet.

Auch knapp vier Monate nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei geht die Repressionswelle gegen die Gegner des autoritären Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan weiter.

Nachdem erst am Montag 13 Journalisten der Zeitung Cumhuriyet festgenommen wurden, weil sie angeblich eine nicht näher definierte terroristische Organisation unterstützt hätten, kam es in der Nacht von Donnerstag auf Freitag zum aktuellen Höhepunkt der Repression gegen oppositionelle Kräfte in der Türkei.

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Um 00:43 Uhr begann die türkische Polizei damit, das zentrale Büro der linksliberalen, prokurdischen Demokratische Partei der Völker (HDP) in Ankara zu durchsuchen. Auch Privatwohnungen von HDP-Mitgliedern wurden gestürmt.

Nach unterschiedlichen Angaben wurden im Zuge der nächtlichen Razzien 11 oder 12 Abgeordnete der Partei verhaftet. Unter ihnen auch die beiden Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ. Laut dem türkischen Nachrichtenportal T24 waren in Teilen der Türkei ab 00:54 Uhr außerdem Nachrichtendienste wie Twitter, Facebook und Whatsapp nicht erreichbar.

Die Polizei verhaftet den Parlamentsabgeordneten Idris Baluken in Ankara.

Erst im Juni war die Immunität von 55 der 59 HDP-Abgeordneten im türkischen Parlament auf Drängen von Erdoğans Partei AKP aufgehoben worden. Dass nun zumindest 11 Abgeordnete tatsächlich verhaftet wurden, wird von Seiten der türkischen Behörden offiziell damit begründet, dass die Abgeordneten gerichtliche Vorladungen ignoriert hätten. Gleichzeitig ließen staatliche Nachrichtenagenturen aber verlauten: "Wir haben die Demokratie neu definiert."

Tatsächlich dürfte es sich bei den Verhaftungen um den Höhepunkt einer seit Monaten laufenden Kampagne Erdoğans gegen die kurdische Bevölkerung des Landes handeln, der bereits zahlreiche Aktivisten, Journalisten und Lehrer zu Opfer gefallen sind. Im Zuge dieser von der Regierung als "Anti-Terror-Kampagne" bezeichneten Aktionen kam es vor allem im kurdischen Südosten der Türkei zu kriegsähnlichen Zuständen.

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Kundgebung vor dem Parlament in Wien. Foto: Paul Donnerbauer / VICE Media

Die türkische Regierung bombardierte und belagerte monatelang mehrere vor allem von Kurden bewohnte Städte und Dörfer. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wiederum verübte immer wieder Terroranschläge auf Polizeistationen. Erdoğan und die AKP machten dafür unter anderem die HDP mitverantwortlich, die allerdings jegliche Verbindung zur PKK stets zurückwies und die Anschläge verurteilte.

Noch in der Nacht von Donnerstag auf Freitag versammelten sich in der Türkei, aber auch in anderen europäischen Ländern Menschen zu spontanen Solidaritätskundgebungen für die verhafteten HDP-Abgeordneten. Die Proteste hielten auch am Freitagnachmittag an. In der Kurdenmetropole Diyarbakir soll die Polizei dabei scharfe Munition gegen die Demonstranten eingesetzt haben. Zuvor war dort ein Sprengsatz vor einer Polizeistation explodiert. Auch in Istanbul wurde eine Kundgebung von der Polizei gewaltsam aufgelöst.

Polizei löst gewaltsam eine Solidaritäskundgebung für — Ismail Küpeli (@ismail_kupeli)4. November 2016

Nachdem sich in Wien bereits in der Nacht mehr als hundert Menschen vor dem Parlament zu einer spontanen Solidaritätskundgebung versammelt hatten, kam es am späten Freitagnachmittag erneut zu Protesten von österreichischen Kurden und Unterstützern vor dem Parlament.

Redebeiträge gab es unter anderem von Alev Korun, die ihre "Solidarität als gewählte Parlamentariern mit den gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentariern der HDP" betonte. Auch SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder übermittelte eine Grußbotschaft an die "Genossen der HDP".

Die Pro- — neuwal (@neuwalcom)4. November 2016

Immer wieder wurde in Redebeiträgen auch die EU mit in die Verantwortung genommen, die die Türkei nicht nur finanziell unterstütze, sonder Erdoğan mit dem EU-Türkei-Deal auch politisch den Rücken stärke. Ein Demonstrant sagte gegenüber VICE: "Wenn die EU nichts gegen Erdoğan, diesen neuen Hitler, macht, wird er nicht aufgeben, bis alle Kurden tot oder im Gefängnis sind!"

Die über 1000 Demonstranten zogen anschließend begleitet von kurdischer Volksmusik und Sprechchören wie "Tod dem Faschismus überall" und "Erdoğan ist ein Mörder und Faschist" den Ring entlang bis zur türkischen Botschaft, wo sich die Demo schließlich auflöste.

Paul auf Twitter: @gewitterland