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Musik

VICE Reviews

Die neuen Reviews sind da!

AKRON/FAMILY
Sub Verses Dead Oceans
9
Michael Gira hört auf dem neuen Album seiner ehemaligen Backingband die „Pop und Rock-Musik der letzten 50 Jahre, durch den Fleischwolf gedreht, von etwas Batteriesäure und Honig aufgelockert“. Ja, der Mann unseres Vertrauens hört noch sehr viel mehr – z. B. „ergraute Beach Boys, die sie sich bärtig und floh verseucht willentlich der Lyseric Gas Attack ergeben“. Zugegeben, seit dem letzten SWANS-Album könnte der uns auch Bibeln, Schlangenöl oder ein Rolling-Stone-Abo verkaufen – aber Sub Verses ist tatsächlich SO gut.
LESTER BONG

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FREISCHWIMMA
Rostiga Nogl
LiMuPic Records/Rebeat Digital
1
Ich habe in meiner musikalischen Laufbahn wirklich sehr viel durchgemacht. Bob Marley und mein Schweißband in Jamaica-Farben, Nirvana und die beschissenen Tagebücher von Kurt Cobain, die Kooks und die Sackratten meiner Geschlechtspartner bis hin zu heimlich Pitbull und Proletendisco. Aber das hier kann ich einfach nicht.
ISHOULDGET ANEWJOB

ANNA VON HAUSSWOLFF
Ceremony
City Slang
8
Der Hausswolff wurde anlässlich ihres Debüts noch nachgesagt, ihr Gesang klänge doch sehr nach Kate Bush. Ein etwas träger Vergleich war das. Tatsächlich ist ihr verheimlichter Mittelname Legion. Und sie beschwört ihre Orgel mit Hunderten Stimmen. Es kann so passieren, dass irgendwer aus dieser multiplen Besessenheit auch Enya, Loreena McKennit, Marianne Faithfull und Juliane Werding heraushört. Aber wer das Album nur deshalb madig macht, trägt wohl schwer an seinem eigenen Kreuz.
LUKAS MARKUS

LITTLE BOOTS
Nocturnes
On Repeat Records
2
Das Internet und Max Goldt haben mir mal erklärt, dass sowohl bei Tragik als auch bei Komik ein Unterschied entsteht zwischen dem, was geschehen sollte, und dem, was eigentlich geschieht – und dass der nennenswerte Unterschied nur der ist, dass im Tragischen ein Leiden passiert und im Komischen eine Torheit. Nach dieser Definition jedenfalls sind nicht nur die Existenz von Alf Poier oder Hartlauer-Radiospots in beide Kategorien einsortierbar, sondern auch die Kylie-wannabe-Torheit namens Nocturnes der noch vor wenigen Jahren so niedlich mit Synthpop, Einhörnern und DIY-Ästhetik kokettierenden Little Boots, die von einem Leiden namens Hörschmerz ergänzt wird.
CARLTON BANKS

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AUSTRA
Olympia
Domino
2
Ich hatte früher in meiner Parallelklasse eine Hobby-Grufti-Tante, die sich optisch sämtlichen Goth-Trends hingab, aber in ihre Hefter Zeitungsausschnitte von Enrique Iglesias klebte, den sie mehr oder weniger heimlich anhimmelte. Und irgendwie muss ich immer daran denken, wenn mir Austra begegnen, mit ihrer betont unterkühlten Hype-Kälte und diesem ganzen Wir-würden-am-liebsten-den- ganzen-Tag-in-gotischen-Kathedralen-abhängen-Habitus. Zumal ich schon beim letzten Album nicht so richtig verstanden habe, was die da eigentlich von mir wollen. Daran ändert auch Olympia nichts, das mich schon beim ersten Track mit seinem widerlich schiefen Björk-für-Arme-Gesang erschaudern lässt. Austra sind und bleiben Düsternis und Mysterium für Zweitsemester, die sich den echten Scheiß nicht geben wollen oder können, aber auf dem Kopf stehende Totenkreuze irgendwie doch ganz lässig finden.
SIOUXSIE AND THE BAN-SHITS

CLOSE
Getting Closer
!K7
8
Das Motiv der Entfremdung kennen wir aus der Erkennungsmelodie der Postmoderne und von den Warndreiecken, die auf den Alltagshorror des Neoliberalismus hinweisen. Will Saul steht nicht so auf Entfremdung. Er wirft seit rund zehn Jahren Hostien im Zwölf-Zoll-Format unter die Leute, auf dass sie sich alle mal gern haben mögen. Das klappte bislang ganz gut. Eine ganz neue Dimension der interpersonellen Verschmelzungssounds stellt dieses Projekt dar, bei dem in der Löffelchenstellung mit u. a. Applebim, Scuba oder Tanner Ross wärmste Down- und No-Beat-Maschen gehäkelt werden. Das ist stellenweise so beruhigend und gefühlvoll die Weichteile ins Visier nehmend, dass der Weg unter die Kuscheldecke nur in den seltensten Fällen über die Zwischenstation Dancefloor gesucht wird.
ERIKA SCHLAUBERGER

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I-WOLF & THECHAINREACTIONS
Flesh & Blood/Skull & Bones
SEAYOU RECORDS
7
Sollten die Labels Ninja Tune und Deutsche Grammophon Gesellschaft jemals gemeinsam ein Projekt angehen, um Elektro, Jazz und E-Musik („Ernste Musik”, das ist ja wohl das beschissenste Wort der Welt, die Abkürzung sogar noch schlimmer) zusammenzuführen, es würde Peter und der I-Wolf rauskommen. Oder diese zwei Alben hier. Schlögl ist Gründer der Sofa Surfers und noch bevor Dorian Concept auf Ninja Tune rauskam, war I-Wolf vor ihm der erste Österreicher auf dem Londoner Label. Mit Flesh & Blood und Skull & Bones legt er uns hier zwei Alben auf einmal vor: Das eine steht fürs Leben, das andere für den Tod, eines ist voller Freude, das andere naturgemäß eher gedämpfter. Konzeptalben gehen ja in der Faustregel ins Auge, aber I-Wolf pulls it off. Besonders geil daran: Songs wie „Let It Go” und „Wicked Paradise” sind sowohl auf der Lebens- als auch auf der Todesseite zu verbuchen, er remixt sich also selbst, aber analog, indem er einfach die Songs neu einspielt.
BONELESS ONE

JUST FRIENDSAND LOVERS
What, Colour?
Fettkakao
6
Just Friends and Lovers sollten unbedingt den Soundtrack für den nächsten Arthouse-„Langweiliger Antiheld-Protagonist lebt in einer langweiligen Welt und langweilt sich”-Film machen. Das ist absolut nicht abschätzig gemeint. What, Colour? ist coole Langeweile und Antriebslosigkeit in musikalischer Person. Und man kann beim Anhören herrlich seine Briefmarkensammlung sortieren und mit ausdruckslosem Gesicht mitsingen.
LIKE I GIVE A FUCK

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MELVINS
Everybody Loves Sausages
Ipecac
8
Coveralben. Die Eitergeschwüre am Arsch der Musikindustrie. Sie werden hingeschissen, wenn der Knebelvertrag mal wieder ganz besonders knebelt. Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, sie nicht wie ein Armutszeugnis der eigenen Kreativität klingen zu lassen: Sie müssen von den Melvins stammen. Sprich: Das Quellmaterial aus dem Schrank holen, dabei weder schmutzige Finger, noch schmutzige Gedanken scheuen, der amorphen Masse ein neues Gesicht geben – Cocktailtomaten, Essiggürkchen und Gasthackfressen wie Jello Biafra, Scott Kelly oder Mark Arm von Mudhoney eignen sich da gut – und schließlich das Wurstwasser exen als sei es Blütennektar. Schon hast du Songs von Venom, Roxy Music und Throbbing Gristle nebeneinander stehen, als sei es das normalste der Welt—und die Originale längst vergessen.
WURST WAR II

SPARROW AND THE WORKSHOP
Murderopolis
Song by Toad/Alive
9
In Glasgow gibt es einen Hügel, auf dem ein alter Friedhof aus der Viktorianischen Zeit steht. Er heißt Necropolis. Die reichen Händler, die Glasgow zur Zeit des Empires mit Tabak, Rum und Zucker großmachten, errichteten sich auf der Necropolis Mausoleen und Denkmäler. Heute ist die Necropolis am Zerbröckeln, und an den kostbaren Handelsgütern des Empires gehen die Bewohner Glasgows heute zugrunde. Glasgow ist eine der ärmsten und kaputtesten Städte Europas. Nirgendwo anders in der EU sterben die Menschen jünger als in Westschottland – an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Drogen und Gangmorden. Wer dort wohnt, macht sich das Leben auf andere Weise schön. Auch Sparrow And The Workshop tun dies. Wir sprechen hier von einem Indie-Trio mit scheißcoolen Melodien und Jills gewaltig schöner Mädchenstimme. Die eingangs erwähnte verfallene Necropolis ist heute übrigens derart mit Grünzeug überwuchert, dass Rehe wild und mitten in der Stadt in Ruhe leben können.
THE BARON

TYGA
Hotel California
Universal
4
Seit ich mir einen neuen Subwoofer gekauft habe, macht HipHop plötzlich wieder Sinn, und so konnte ich es kaum erwarten, mir endlich mal wieder von einer zünftigen Westcoast-Basswalze die Innereien massieren zu lassen. Die Freude hielt leider nur ganze elf Sekunden, dann fiel mir wieder ein, wieso Tyga gemeinhin als beschränktester Lyricist der westlichen Hemisphäre angesehen wird. Kein Scheiß, seine Texte erinnern einfach jedes Mal an einen achtjährigen Sonderschüler, der seinem kleinen Bruder in kurzen Hauptsätzen die Rahmenhandlung von Hustle & Flow erzählt. Irgendwann habe ich den Bass dann einfach so weit aufgedreht, dass Tygas Stimme in einer schockwellenartigen Frequenzimplosion verschüttet wurde, was zwar ganz geil war, aber dann auch nicht mehr sonderlich viel mit Musik zu tun hatte.
MONEY HO’BRIAN

SUMMONING
Old Mornings Dawn
Napalm Records
7
Meine Freundin hat einen ausgeprägten Lord of the Rings-Fetisch. Und wir sprechen hier nicht von harmlosen „Steck’ deinen Bilbo in meinen Beutlin”-Spielchen, nein, ich musste sogar mal in die Notaufnahme, um mein zerbrochenes Narsil wieder zusammenschmieden zu lassen. Summoning sind daran nicht ganz unschuldig, gießen sie doch seit gut zwei Jahrzehnten den geheimen Stromgitarren-Soundtrack zur Saga direkt in die Gehirne meiner weiblichen Zielgruppe. Meine sauroneyed Snake leidet darunter, doch die Musik geht um Mittelerden besser ins Ohr als die von Howard Shore.
ARAPORN