transhumanismus

Dieser Typ kann das Universum hören

Der Künstler Kai Landre identifiziert sich deshalb nicht mehr als Mensch, sondern als Cyborg.
​Kai Landre steht auf einer Wiese mit seinem Cosmic Sense
Albert Santana

Kai Landre hört seit einem Monat das Universum. Er hat ein Gerät gebaut, das die kosmischen Strahlen, die auf die Erde prallen, auffängt und zu Musiknoten übersetzen soll. Für Kai ist dieses Gerät mehr als eine Spielerei. Es ist ein neuer Sinn, den er für sich kreiert hat.

"Nur zum Schlafen ziehe ich meinen Sinn aus", sagt der Künstler aus Barcelona im Skype-Gespräch mit VICE. Er hat Angst, dass er den Prototyp im Schlaf zerstören könnte. Kürzlich hat er seinen Sinn auch an der Universität von Princeton vorgestellt.

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Sein Ziel ist es, einmal ins Weltall zu reisen. "Ich möchte ein Gerät kreieren, wofür ich der Übersetzer bin. Damit mich eine Space Agency in den Weltraum mitnehmen muss", sagt er.

Kai möchte auch kosmische Konzerte geben, um andere Menschen an seinem Sinn teilhaben zu lassen. Doch Kai identifiziert sich gar nicht als Mensch, sondern als Cyborg: Er ist Transhumanist.

VICE: Wie war es, einen Cyborg-Sinn installiert zu bekommen?
Kai Landre: Es war verrückt! Ich höre kosmische Strahlen durch Knochenschall. Es ist wie eine Art Haarband, das einen Druck auf meine Knochen ausübt. So zu hören, ist etwas sehr Neues für mich. Das hat mich am meisten schockiert: Ich konnte Töne hören, wie wenn sie Gedanken in meinem Kopf wären! Es fühlte sich aber total natürlich an. Es ist so, wie wenn ich über Musiknoten nachdenke. Den Sinn dann Tag für Tag zu benutzen, war sehr cool. Ich habe mich auch recht schnell daran gewöhnt. Es gab aber einige Momente, in denen es mir zu viel wurde. Zum Beispiel wenn gerade eh viel los ist und ich mich beeilen muss, dabei jemand mit mir spricht und gleichzeitig höre ich die ganze Zeit den Input von meinem Cyborg-Sinn, das ist manchmal ein bisschen überwältigend.


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Es klingt sehr kompliziert, ein solches Gerät zu bauen. Wie hast du es überhaupt geschafft, damit kosmische Strahlen aufzufangen?
Es gibt zum einen den Empfänger. Das war der schwierigste Teil. Normalerweise sind Empfänger von kosmischen Strahlen so gross wie Häuser. Das in ein Gerät zu übersetzen, das in meine Hand passt, war die grösste Herausforderung. Nebst dem Empfänger gibt es noch den Silicon-Foto-Multiplier, der den Strahl direkt empfängt. Und dann den Arduino, den Computer, der die energetische Dichte der kosmischen Strahlen in eine Musiknote umwandelt. Die Höhe der Noten ist für jeden kosmischen Strahl anders, da jeder eine andere energetische Dichte hat.

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Kai Landre ist Cyborg und kann das Universum hören

Wie war es, das erste Mal das Universum zu hören?
Es war unglaublich und sehr emotional für mich. Nach so vielen Jahren konnte ich endlich im Universum sein. Es war, als könnte ich mit meinen Händen das Universum berühren.

Hast du ein Beispiel, wie es klingt?
Mein Sinn hat einen AUX-Anschluss. Denn ich wollte, dass es andere Menschen auch hören können.

Was fasziniert dich am Universum?
Als Kind wollte ich schon immer diese Realität verlassen. Das Universum war für mich das, was sich von unserer Realität am meisten unterscheidet. Alles ist neu, nur sehr wenig ist darüber bekannt. Ich war oft in Tagträumen über das Universum versunken, weil ich in einer anderen Realität sein wollte. Obwohl ich mich jetzt sehr wohl in meiner Realität auf der Erde fühle, hat sich diese Faszination gehalten.

Wie nimmst du die Welt durch deinen neuen Sinn wahr?
Ich habe durch den Sinn gemerkt, dass es viel mehr gibt als unseren Planeten. Nicht alles, was hier passiert, ist die absolute Wahrheit oder das Einzige, was geschehen kann. Es gibt viele Realitäten und es fühlt sich an, als würde ich in einem Spiel leben.

Hilft dir das dabei, mit Schwierigkeiten umzugehen?
Ja, sehr. Denn es ist so, als könnte ich alle Vorstellungen und Ideen ausblenden, mit denen ich nicht einverstanden bin. Alle sozialen Regeln, denen Menschen folgen und die auf der Erde existieren. Die uns sagen, was wir tun sollen und was nicht. Dieser Gedanke, dass wir die einzige intelligente Spezies im Universum sind. Jetzt sehe ich die Realität als etwas, das ich mitgestalten kann. Ich kann jetzt so leben, wie ich will, denn nichts ist wahr, nichts ist komplett real. Und nur weil wir auf einem Planeten sind, heisst das nicht, dass das der einzige Ort ist, wo wir sein können. Ich fühle mich, als wäre alles für mich offen.

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Glaubst du, die Menschen nehmen das Leben manchmal zu ernst?
Die Menschen haben uns gezeigt, wie man leben soll, wie man nicht leben soll und welche Regeln man im Leben befolgen soll. Ja, ich glaube, Menschen nehmen das zu ernst. Denn das ist nicht real. Das ist etwas, was wir kreiert haben. Tiere zum Beispiel haben das nicht. Das hat mich sehr zum Denken angeregt. Als ich angefangen habe, nicht mehr in den sozialen Normen zu leben, habe ich gemerkt, dass die Welt nur ein physischer Ort ist und wir darauf leben. Wir können die Realität selbst kreieren.

Das klingt sehr befreiend.
Das ist es. Ich fühle mich durch den Sinn befreit und frei.

Kai Landre ist Cyborg und kann das Universum hören

Mit welchen sozialen Normen auf der Erde kannst du nicht viel anfangen?
Zum Beispiel, dass wir verschiedene Zeiten für verschiedene Dinge etabliert haben. Wir sollen am Morgen aufwachen, tagsüber leben und arbeiten und nachts schlafen gehen. Wir arbeiten, dann heiraten wir, dann sterben wir. Aber wir können unser Leben auch ganz anders leben. Es sind solche Dinge, Normen, die wir nicht aktiv wählen, die aber entscheiden, was in unserem Leben passieren soll.

Es geht beim Cyborg-Sinn also auch um Freiheit.
Ja, denn du kannst aus diesen Regeln raustreten.

Fühlst du, dass du jetzt mehr du selbst bist?
Ja, sehr. Es ist eine grosse Identitätsfrage. Wenn du ein Cyborg wirst, wirst du transmenschlich. Du machst also auch eine Transition. Es geht nicht nur darum, die Technologie bei dir selbst anzuwenden, sondern auch darum, deine Identität zu ändern. Ich fühle mich jetzt mehr wie ich selbst. Denn ich identifiziere mich sehr mit den Ideen des Cyborgismus.

Was sind die Werte, die Cyborgs teilen?
Mehr mit der Natur des Weltalls und der Natur des Planeten verbunden zu sein. Die Möglichkeit zu haben, mit anderen Spezies verbunden zu sein und nicht zu denken, dass wir die einzige Spezies sind, die mit der Realität interagieren kann. Nicht die Welt zu verändern, in der wir leben, sondern uns selbst zu verändern. Das ist ein grosser Punkt des Cyborgismus, sich selbst der Welt anzupassen, damit es für dich einfacher ist, in ihr zu sein. Von da kommt auch das Wort Cyborg. Das Wort wurde von der NASA erfunden, um einen Menschen zu beschreiben, der sich technologisch daran anpasst, im Weltall zu sein.

Fühlst du dich durch andere Menschen als Transhumanist anerkannt?
Total. Das ist schon passiert, bevor ich ein Transhumanist wurde. Ich habe mich nicht immer wie ein "normaler" Mensch verhalten und mich nicht immer als Mensch identifiziert. Aber jetzt, da ich zum Cyborg transitioniere, nehmen mich die Leute noch weniger als Menschen wahr.

Fühlt sich das gut an?
Sehr.

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