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Schweizer Influencerin inszeniert Stalking-Vorfall für eine Social-Media-Kampagne

Wir haben den Verantwortlichen der Kampagne gefragt, ob es OK ist, Menschen für mediale Aufmerksamkeit hinters Licht zu führen.
Antonella Patitucci und "Netzschatten
Screenshots des Case Videos von Netzschatten

Wer Antonella Patitucci auf Instagram folgt, konnte letzte Woche beobachten, wie ein Stalker die Influencerin auf der Social-Media-Plattform belästigte. Was mit Hasskommentaren anfing, endete damit, dass sie im realen Leben verfolgt wurde: Der Stalker veröffentlichte auf seinem Instagram-Profil Fotos, die er heimlich von Patitucci gemacht hatte, und postete sogar ein Video, wie er einen Brief in Patituccis Briefkasten wirft. Darauf folgte eine Drohung in seiner Instagram-Story: "Game over in 2 Tagen, 19 Stunden und 39 Minuten."

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Spätestens zu diesem Zeitpunkt waren ihre Follower und Followerinnen wohl ernsthaft um das Leben der Influencerin besorgt. Am Sonntagabend ging Antonella Patitucci offline und sagte ihren 56.500 Followern, dass sie Angst habe und rechtliche Schritte prüfen werde.

Am Dienstagabend meldete sich die Zürcherin zurück und löste den Horror auf: Alles war nur erfunden. Zusammen mit Studierenden der Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK), des Studiengangs Cast, inszenierte sie den Stalking-Vorfall. In der Schweiz existiert, anders als in Deutschland, der Strafbestand Stalking nicht, deshalb möchte die Kampagne "Netzschatten" auf Cyberstalking aufmerksam machen und das Gesetz verschärfen, um Betroffene zu schützen und möglichst präventiv weitere Fälle zu verhindern.

Doch Patituccis Followers sind nicht begeistert, sie haben sich Sorgen gemacht und sind schockiert, dass sie hinters Licht geführt wurden. Und es wirkt, als würde Patitucci die Aktion etwas bereuen. In ihrem Aufklärungsvideo entschuldigt sie sich bei ihren Followern: "Wir haben eine Grenze überschritten." Trotzdem sei es ihr extrem wichtig, auf das Problem aufmerksam zu machen.

Ist die Situation eskaliert oder war alles so geplant? Wir haben mit Nico Lypitkas darüber gesprochen, der als Leiter der Vertiefung Cast / Audiovisual Media verantwortlich für die Kampagne ist.

VICE: Wie sind Sie auf die Idee für die Social-Media-Kampagne gekommen?
Nico Lypitkas: Die Idee für die Kampagne kam von den Studierenden. Sie haben sich schon früh für das Thema Cyberstalking interessiert und mit Fachleuten und Betroffenen darüber gesprochen. So entstand die Idee, eine Social-Media-Kampagne mit einer Influencerin zu lancieren.

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Was war das Ziel der Kampagne?
Wir wollten auf Cyberstalking und die Rechtslage in der Schweiz aufmerksam machen. Betroffene können in der Schweiz nämlich rechtlich nur sehr eingeschränkt dagegen vorgehen. Das Ziel war mit einer eigenen Erzählweise über Social Media auf das Problem hinzuweisen und eine gesetzliche Grundlage für den Strafbestand Stalking zu fordern.

Habt ihr die Influencerin Antonella Patitucci dafür bezahlt?
Nein, das ganze Projekt ist ohne Geld ausgekommen. Die Studierenden investierten, ohne kommerziellen Nutzen, ihre Zeit und ihr Können in die Kampagne.

Was für Reaktionen gibt es auf die Kampagne?
Die Reaktionen sind sehr vielfältig. Einerseits sind sie sehr positiv – es kamen sogar Betroffene aus dem Influencer-Bereich auf uns zu –, andererseits polarisierte es sehr, dass wir diesen Stalking-Vorfall inszeniert haben. Diesen Zwiespalt muss man aushalten.

Ist es OK, Menschen hinters Licht zu führen, um mediale Aufmerksamkeit zu bekommen?
Ja, wir haben Leute getäuscht, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, das war Teil der Inszenierung. Man muss immer abwägen, wie weit man gehen kann. Wir wollten beispielhaft zeigen, wie ein Stalking-Fall ablaufen kann, und nicht nur auf einer Meta-Ebene darüber diskutieren.

Besteht jetzt nicht die Gefahr, dass beim nächste Stalking-Vorfall die Leute denken, es sei wieder ein Fake?
Das glaube ich nicht. Ich denke, das Thema wird jetzt mehr ins Bewusstsein der Menschen gerufen. Wir möchten Leute dazu ermutigen, darüber zu sprechen und auf unserer Webseite kann man sich umfassend über das Thema informieren.

Viele Fans haben sich Sorgen um die Influencerin gemacht, war das euer Ziel?
Nein, das war nicht das eigentliche Ziel. Eine Geschichte muss aber immer emotional sein, um eine Wirkung zu entfalten. Antonella hat das sehr gut gemacht und ihre Reichweite und ihr Gesicht für diese wichtige Sache eingesetzt.

Antonella Patitucci sagt in ihrem Erklärungsvideo, die Aktion habe eine Grenze überschritten und sei eskaliert. Seid ihr derselben Meinung?
Meiner Meinung nach haben wir keine Grenze überschritten. Der Fokus liegt bei vielen auf den Mitteln, die wir verwendet haben. Ich denke aber, wir haben unser Ziel erreicht und viel Aufmerksamkeit auf ein wichtiges Thema gelenkt und so eine Diskussion gestartet.

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