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Populismus

Fragen, die die populistischen Titelseiten von 20 Minuten aufwerfen

Was bedeutet es, wenn das reichweitenstärkste Medium Unwahrheiten auf seine Titelseite druckt? Könnten die Titelseiten rechtliche Konsequenzen für den Verlag haben?
Zwei 20 Minuten Frontseiten mit den SBI-Inseraten
Screenshot von 20Min E-Paper | Collage VICE Media

Die Titelseite der Gratiszeitung 20 Minuten gab es schon in den verschiedensten Variationen. Denn wer genug Kleingeld hat, kann sich das Cover kaufen. Dies taten schon einige: Ein Student setzte ein Zeichen gegen rechte Politik, Samsung liess sie mit bunten Farbklecksen für eine Designausgabe bedrucken und jüngst warb das Egerkinger Komitee für die Selbstbestimmungsinitiative (SBI) der SVP.

Das Ziel der Initiative ist, das Landesrecht über das Völkerrecht zu stellen. Dafür warb die Gratiszeitung am Dienstag auf ihrer Titelseite, mit einer Abbildung eines Minaretts und einer Suggestivfrage. Direkt unter dem 20 Minuten-Logo steht fett geschrieben: "Sollen türkische Richter unser Minarettverbot aushebeln können?" Dass dies gar nicht möglich ist, und die Frage eine Falschinformation suggeriert, schien 20 Minuten nicht zu interessieren. Am Europäischen Gerichtshof (EGMR) sitzt nämlich nur eine einzige Türkische Richterin: Işıl Karakaş . Und Richter im EGMR können nie alleine über einen Sachverhalt entscheiden.

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Am Mittwoch folgte die zweite Anzeige, die eine geschmacklose Karikatur zeigt: Simonetta Sommaruga, Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, auf einem Podest, die eine Masse an People of Color in die Schweiz winkt. Darüber geschrieben steht: "Der UNO-Mirgrationspakt wird uns Massenzuwanderung bescheren."

Es scheint, als würde das Gratisblatt für genügend Geld so einiges mit sich machen lassen. Dass es aber Falschinformationen und rassistische Karikaturen abbildet, ist dann doch überraschend. Auch wenn das Blatt am Dienstag in einem Artikel einige Fakten richtig gestellt hat: Wir haben Fragen.

Was bedeutet es, wenn das reichweitenstärkste Medium Unwahrheiten auf seine Titelseite druckt?

Der Medienmonitor Schweiz berichtete vergangene Woche, dass 20 Minuten das einflussreichste Einzelmedium der Schweiz ist. Die Zeitung beeinflusst nicht nur das politische Klima, sondern auch den Meinungsbildungsprozess massgeblich.

20 Minuten hat auch schon politische Werbung aus dem Gegenlager gedruckt. Am 7. November wurde das Deckblatt an die liberale Bewegung Operation Libero und weitere Gegner der SBI verkauft. Das Problem bei den aktuellen Inseraten der Pro-Selbstbestimmungsinitiative ist, dass Fehlinformationen verbreitet werden.


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Redaktionen sollten zwar bei Anzeigen nicht direkt mitreden können – genauso wenig wie Anzeigenkunden bei redaktionellen Inhalten –, dennoch können sie gewisse Grenzen ziehen, wer bei ihnen werben darf. Und wer seine Titelseite zu einer einzigen Werbefläche macht, noch dazu für politische Inhalte, der sollte diese Anzeigen prüfen. Nicht auf Meinung, aber auf Fakten.

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Wie ausgewogen berichtet 20 Minuten?

Vor zwei Jahren berichtete das Onlineportal Tsüri.ch von den reisserischen Headlines der 20 Minuten. Ein ganzes Jahr lang hat Tsüri.ch alle gedruckten Ausgaben von 20 Minuten gelesen und analysiert. Dabei kam heraus, dass innerhalb dieser 12 Monate 281 Artikel zu Themen wie Flüchtlinge, Sicherheit, Terror, und den Islam auf dem Gratisblatt erschienen sind – also an mehr als zwei von drei Tagen.

Im Gespräch mit Tsüri.ch berichteten ehemalige Angestellte von 20 Minuten, es sei der stellvertretende Chefredaktor Gaudenz Looser, der die Schlagzeilen und nicht selten die kleinsten Details in Artikel bestimmt. Er habe grossen Einfluss auf die konsequente Polarisierung bei bestimmten Themen. So werde nicht selten ein Konflikt konstruiert, den es gar nicht gibt.

Könnten die Titelseiten rechtliche Konsequenzen für den Verlag haben?

Bei den beiden Inseraten auf den Titelseiten ist kaum ersichtlich, ob sie ein redaktioneller Inhalt oder Werbung sind, nur ganz kleingedruckt steht "Anzeige" in der oberen Ecke. Wir haben den Rechtsanwalt und Medienrechtsexperten Matthias Meier gefragt, ob Werbung so hinterlistig gedruckt werden darf.

"Eine Werbung muss immer von dem redaktionellen Inhalt getrennt werden. In diesem Falle ist es eine heikle Situation, weil das 20-Minuten-Logo direkt neben der Werbung steht. Da aber beim Umblättern der Seite die richtige Titelseite der 20-Minuten zum Vorschein kommt, wird klar, dass die Frontseite eine Werbung ist. Aus diesem Grund ist es knapp zulässig, ein Inserat auf diese Weise zu schalten", erklärt Meier.

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Zu den Vorwürfen, dass die Frage inhaltlich nicht wahr ist, sagt Matthias Meier: "Die Frage ist natürlich sehr polemisch, aber rechtlich gesehen, ist sie zulässig. Es wird zwar eine Halbwahrheit erzählt, aber keine Lüge. Es wird ja nicht von ‘amerikanischen Richtern’ oder dergleichen geschrieben."

Auch das Inserat vom Mittwoch mit der Karikatur sei rechtlich zulässig: "Die Karikatur ist ebenfalls sehr polemisch und die Darstellung der Zuwanderer sehr verallgemeinernd. Da aber keine Menschengruppe direkt diffamiert wird, ist sie rechtlich noch vertretbar."

Wie viel kostet so eine Anzeige auf der Titelseite der 20 Minuten?

Ein Inserat auf den ersten beiden Seiten von 20 Minuten kostet in der Deutschschweiz ganze 164.500 Franken.

Wie viel Budget hat das SBI-Ja-Lager, dass es zwei Mal hintereinander die Titelseite buchen kann?

Dank der rechtsbürgerlichen Gruppierung, dem Egerkinger Komitee, um SVP-Nationalarat Andreas Glarner, konnte sich das SBI-Lager die Inserate auf den Titelseiten leisten.


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Wie der Tagesanzeiger vergangene Woche berichtete, haben laut Media Focus die SVP-Milliardäre und ihre Unterstützer mehrere Millionen in den Abstimmungskampf gepumpt. Das SBI-Lager habe 2.1 Millionen Franken für Printinserate, Plakatflächen und YouTube-Werbung ausgegeben. Dazu kamen noch mindestens weitere 500.000 Franken für Druck und Versand von Flyern und Abstimmungszeiten.

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Wer vertraut eigentlich noch dem SVP-Nationalrat Andreas Glarner?

Schon in der Vergangenheit nahm es SVP-Nationalrat Andreas Glarner nicht so genau mit der Faktentreue. Ein gutes Beispiel aus jüngerer Geschichte ist der Cervelat-Gate: Glarner erhielt, nach eigenen Angaben, einen Anruf einer besorgten Mutter, die sich bei ihm beschwerte, ihr Kind dürfe auf die Schulreise keinen Cervelat mitnehmen, da die Schweinefleisch-Würste nicht auf demselben Grill wie die Grilladen der Muslime liegen dürfen.

Es folgte eine Medienberichterstattung über die Frage: Nehmen uns diese Ausländer jetzt auch noch unsere Wurst weg?! Dass überhaupt eine Schule ein Cervelatverbot ausgesprochen hätte, liess sich bisher nicht bestätigen. Der Schulleiter der Aargauer Schule äusserte sich aber dazu und meinte, dass nirgends in der Verordnung etwas von einem Verbot stehe. Man solle bloss Rücksicht nehmen. Später behauptete eine Satiresendung, sie hätten Glarner angerufen und die besorgte Mutter gespielt, aber auch dafür gab es keine Beweise. Was aber sicher ist: Glarner verbreitete bereits in der Vergangenheit ungeprüfte Informationen.

Wie soll man mit dieser Art von Werbung umgehen?

Man könnte es wie der Schweizer Rapper und Moderator Knackeboul tun und die Seiten abreissen und wegschmeissen. Auf Facebook rief Knackeboul die Menschen dazu auf, dasselbe zu tun.

Oder man macht’s wie der Student Donat Kaufmann, der schon vor drei Jahren von der SVP genervt war. Damals hatte die Partei sich die ganze 20-Minuten Titelseite gekauft, um für ihren Song und das Video "Welcome to SVP" zu werben.

Kaufmann wollte mit einem Crowdfunding rund 140.000 Franken sammeln, um ein Inserat auf der Frontseite der 20 Minuten zu schalten. Innerhalb von zwei Wochen hatte er es geschafft und ein Cover mit dem Slogan "Aufmerksamkeit kann man kaufen – Unsere Stimmen nicht" drucken lassen.

Man könnte das Inserat aber auch schlichtweg ignorieren und ein "Nein"bei der Abstimmung einlegen.

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