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Antirassismus

Die 'Bild' gibt Tipps, um Alltagsrassismus zu bekämpfen

Und die wären sogar ziemlich gut – wenn das Blatt sie nicht selbst ständig missachten würde.
Foto: Schild (imago | Future Image) | "Bild"-Logo (imago | Steinach)

Besonders einfühlsam mit diskriminierten Menschen umzugehen gehört nicht gerade zu den Stärken der Redaktion der Bild. Als Betroffene unter #metwo ihre Erfahrungen mit Rassismus teilten, krakeelte der stellvertretende Chefredakteur der Bild am Sonntag: "Lassen wir uns nicht einreden, dass wir rassistisch sind." Als Mesut Özil Diskriminierungen innerhalb des DFB thematisierte, ließ die Redaktion den Krypto-Kolumnisten Franz Josef Wagner auf ihn los. Und nachdem in Chemnitz Neonazis auf Menschenjagd gegangen waren und der Außenminister Heiko Maas die Deutschen zum Kampf gegen Rassismus aufgerufen hatte, fragte der Chefkolumnist der Bild, Alfred Draxler, am Montag etwas naiv: "Was soll ich denn jetzt tun?"

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Zwei Tage später lieferte Julia Witt, die Ressortleiterin Leben und Wissen der Bild, die Antwort: "Jeder kann jeden Tag etwas tun!". In ihrem Kommentar erklärte sie Draxler und den Lesenden, wie sie Alltagsrassismus hinterfragen können. Die Tipps, mit denen man Typen mit einer Vorliebe für Nazi-Garderobe "beim Klassenlehrer" outcallen und selber Diskriminierungen vermeiden soll, sind überraschend sinnvoll. Doch die ändern nichts am eigentlichen Problem der Bild.


Auch bei VICE: Chaos in Chemnitz


Witt schreibt: "Wir wäre es, wenn Sie mit Ihrer Sprache anfangen? Der Linksverteidiger mit türkischen Wurzeln ist ziemlich sicher in Deutschland geboren. Er ist Deutscher." Und die Sprachkritik hört für die Journalistin auch nicht auf, wenn jemand am Kneipentisch mit einem rassistischen Witz für ein paar alkoholfahnige Lacher sorgen will: "Nicht zu lachen ist das Minimum", mahnt Witt, "Sie könnten stattdessen fragen, was daran witzig sein soll." Auf Rassismus hinzuweisen, funktioniere Witt zufolge "fast immer": bei Freunden und Freundinnen, der Schwiegermutter und sogar bei Vorgesetzten. Ob sie ihren eigenen auch kritisiert, wenn dieser Rassismus relativiert, lässt sie allerdings offen.

'Bild' trägt selbst zur Stimmung in Deutschland bei

Es stimmt, dass Rassismus oft durch diskriminierende Begriffe reproduziert wird. Und den eigenen Chef oder die eigene Chefin zu kritisieren, wenn in der Büroküche zwanglos das N-Wort gedroppt wird, ist vielleicht unangenehm – hilft aber davon betroffenen Personen. Doch mindestens so wichtig, wie die Sprache und das Benehmen anderer zu kritisieren, ist, sich selbst zu reflektieren. Bevor Chefredakteur Julian Reichelt jetzt also wieder twittert, dass er der Erste gewesen sei, der antirassistischen Journalismus veröffentlicht hat, sollte er auf dem Couchtisch seines Büros vielleicht die letzten Ausgaben der Bild ausbreiten. Denn an der Stimmung in Deutschland und Menschenjagden wie in Chemnitz beteiligt sich die meistgelesene Tageszeitung in Deutschland auch selbst.

Immer wieder machen die Redakteure und Redakteurinnen der Zeitung Stimmung gegen die Asylpolitik, bezeichnen einen ehemaligen Kindersoldaten als "Mörder, der Asyl will" und nennen es eine "Asyl-Masche", wenn muslimische Asyl-Beantragende zum Christentum konvertieren und sich taufen lassen. Dass die Bild-Zeitung sich in widersprüchlichen Meinungen und Positionen verstrickt, mag sicherlich auch an der Vielfalt der Autoren und Autorinnen liegen. Es ist aber auch schlichtweg ein Weg, mit populistischem Krawall den Verkauf anzuregen.

Im Herbst 2015 vertrieb Bild #refugeeswelcome-Pins im Rahmen ihrer asylfreundlichen "Wir helfen"-Kampagne. Die Auflage sank, auf Kai Diekmann folgte Julian Reichelt und der wetzte die Wort-Machete. "Checken Sie Fakten, bevor Sie im Internet Meinungen verbreiten", schreibt Bild-Journalistin Witt. Doch in ihrer eigenen Redaktion wird dieser Tipp nicht immer umgesetzt: Im Februar 2017 erfand die Zeitung etwa einen "Sex-Mob" von Geflüchteten, den es nie gab. Und nach einer Auswertung von Motherboard enthielten von 254 von Bild in Sozialen Netzwerken verbreiteten Artikeln 11 Prozent irreführende oder falsche Informationen. Und genau die können in der ohnehin aufgeladenen Stimmung dafür sorgen, dass unzufriedene Leser und Leserinnen am Ende wie in Chemnitz neben Neonazis durch die Innenstadt ziehen.

Die Bild-Zeitung nach einem einzigen sensiblen Kommentar auf Bild.de als empathischer werdendes Medium zu zelebrieren, wäre naiv. Auch in Zukunft werden medienkritische Journalisten und Journalistinnen viele Arbeitsstunden damit verbringen, Bild-Artikel richtigzustellen und die Klage-Kolumnen verdrossener Mittfünziger-Männer zu analysieren. Rassismus zu hinterfragen, sei anstrengend, schreibt Julia Witt am Ende ihres Kommentars. "Stehen sie jeden Tag auf, um zu Toleranz aufzufordern", fordert Witt. Und vielleicht lernt davon sogar bald ihr eigenes Arbeitsumfeld.

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